Nordkorea lässt erneut militärisch die Muskeln spielen. Aber worum geht es genau?
Eine Analyse von Tom Fowdy
Nordkorea hat das Jahr 2022 buchstäblich mit einem Paukenschlag begonnen. Die Strategie von Kim Jong-un hinter der Durchführung von zwei Tests mit Hyperschallraketen innerhalb einer Woche ist, damit eine Botschaft an die Biden-Regierung zu senden – eine Botschaft, mit der er hoch pokert. Die beiden Tests fielen zusammen mit einem wichtigen Treffen der Partei, auf dem Kim erklärte, man werde die Verteidigungsfähigkeiten des Landes inmitten einer "zunehmenden Instabilität" auf der Halbinsel stärken. Das Parteitreffen fand anlässlich des zehnten Jahrestags seines formellen Aufstiegs zur Macht nach dem Tod seines Vaters Kim Jong-il statt.
In Anbetracht der jüngsten Tests forderte Kim auch die Stärkung des "strategischen militärischen Muskels, sowohl in Qualität als auch in Quantität". Dieser plötzliche Stimmungsumschwung ist ein Rückschlag bei den Bemühungen des scheidenden südkoreanischen Präsidenten Moon Jae-in, ein Abkommen zur "Beendigung des Koreakrieges" zu schmieden. Pjöngjang weist diese Schritte zurück und sendet damit eine ausdrückliche Botschaft an die Regierung von Joe Biden, für die Nordkorea vorerst nicht zu einer außenpolitischen Priorität gehört.
Wenn es für Beobachter nicht schon länger klar war – die Spannungen bauen sich seit geraumer Zeit langsam, aber schrittweise auf –, erhöht Nordkorea jetzt bewusst den Einsatz und baut trotz einer schlechten Wirtschaftslage seine militärischen Fähigkeiten aus. Nachdem während eines Zeitfensters einer friedlichen Opportunität gegenüber der Biden-Regierung, Nordkoreas Signale während des größten Teils des Jahres 2021 weitgehend unbeantwortet blieben, verschärft Kim nun seine Rhetorik und legt zunehmend Wert auf militärische Botschaften. Dies folgt einer klassischen nordkoreanischen Strategie: Kapital aus der Kluft zwischen den USA und China schlagen, um maximalen strategischen Gewinn zu erzielen, die Provokationen so weit verstärken, dass die Vereinigten Staaten in eine Krise gelockt werden können und sie zwingen, zu Pjöngjangs Bedingungen zu verhandeln. Die Fähigkeit des Landes, so rasch in den Bereich der Hyperschalltechnologie einzusteigen und damit scheinbar das zu überholen, was Amerika im eigenen Arsenal hat, ist auch eine Erinnerung daran, dass die DVRK nicht unterschätzt werden sollte, auch wenn wirtschaftlich wenig für das Land spricht.
Nordkorea macht wie alle kommunistischen Staaten seine politische Agenda deutlich und sendet indirekte diplomatische Botschaften im In- und Ausland durch koordinierte hierarchische staatliche Signale und "Gesten". Um zu verstehen, wie dies funktioniert, muss man nicht nur die Rhetorik des nordkoreanischen Führers beachten, sondern auch seine öffentlichen Auftritte und Aktivitäten, die alle bewusst inszeniert werden, um damit die höchsten Prioritäten zu signalisieren. Als beispielsweise Xi Jinping vergangenes Jahr einen Stützpunkt der chinesischen Luftwaffe in Guizhou besuchte, wurde dieser Stützpunkt bewusst wegen seiner geografischen Nähe ausgewählt, um eine offensichtliche, aber indirekte Botschaft in Bezug auf Taiwan zu senden.
Genauso sind die Dinge, die der oberste Führer in der DVRK tut, niemals willkürlich oder sinnlos, sondern in jedem Fall ein abgewogener Prozess der politischen Botschaft und der Festlegung der Tagesordnung auf höchster Ebene. Als Kim Jong-un im vergangenen Jahr öffentlich den schlechten Zustand der nordkoreanischen Wirtschaft betonte, war dies in der Tat ein Signal an das Ausland, dass die DVRK Verhandlungen, wirtschaftliche Hilfe und die Aufhebung der Sanktionen anstrebte, während zur selben Zeit feindseligere Botschaften von anderen hochrangigen Personen geäußert wurden, wie zum Beispiel von seiner Schwester Kim Yo-jong. Letztes Jahr besuchte er zum 100. Jahrestag der Kommunistischen Partei Chinas auch das Freundschaftsdenkmal zwischen der DVRK und China und betonte dabei die Freundschaft mit Peking. Wenn daher staatliche Medien beginnen, Kims Teilnahme an den Raketentests zu veröffentlichen – was er nicht immer tut –, sollte es offensichtlich sein, wohin er jetzt seine Prioritäten verschiebt.
Warum passiert das alles? Vor allem, weil Pjöngjangs Angebote zum Dialog von den USA ignoriert wurden. Die DVRK hat die Jahre 2020 und 2021 vorsichtig überstanden, vor allem, weil sie versuchte, die Trump-Regierung auszusitzen, um sich dann der neuen Biden-Regierung zu nähern. Auch die COVID-19-Pandemie, auf die das Land mit einer Abschottung von der Außenwelt reagierte, spielte eine Rolle. Während dieser Zeit festigte sich Nordkoreas Entschlossenheit, da dem Land klar geworden war, dass die USA wenig Interesse daran haben, den Ball aufzunehmen und mit Pjöngjang zu verhandeln. Die Regierung Biden fokussierte sich auf China, und das neue geopolitische Umfeld in Washington, das sich gegen Peking richtet, hat auch Nordkoreas Kosten-Nutzen-Kalkül verändert.
Während China in den vergangenen Jahren eher bereit war, mit Washington bei der Verhängung harter Sanktionen gegen Pjöngjang zusammenzuarbeiten, existiert dieses Umfeld nicht mehr. Die strategische Bedeutung der DVRK hat sich für Peking verändert, was die Chinesen noch risikoscheuer gegenüber Maßnahmen gegen die DVRK macht. Aufgrund dieser Entwicklung, hat Pjöngjang gespürt, dass genau wie während des Kalten Krieges – also vor 1991, als man China gegen die UdSSR ausgespielt hat – sein Spielraum größer geworden ist und daher auf lange Sicht eher Zerrüttungen verursachen und Sanktionen erdulden wird, um dadurch Vorteile für sich selbst herauszuziehen. Chinas Kooperation bei den Sanktionen gegen Nordkorea im Jahr 2017 erfolgte vor der vollständigen Neuausrichtung der US-Außenpolitik gegenüber China. Der UN-Sicherheitsrat ist jetzt in Bezug auf Nordkorea gespalten und kann keine gemeinsamen Erklärungen mehr abgeben, um das Land zu verurteilen. Trotz der verzweifelt angeschlagenen Wirtschaft des Landes glaubt Kim nun, dass er eine stärkere Hand hat, um Zugeständnisse von allen Seiten zu gewinnen, indem er die nuklearen und ballistischen Raketenkapazitäten Nordkoreas weiter vorantreibt, um die Aufmerksamkeit Amerikas zu erregen, aber letztendlich dafür nur wenige Konsequenzen zu befürchten hat.
Mit einem Wort, es ist eine "Nichts-zu-verlieren"- oder "Win-Win"-Haltung, und diese Haltung wird den Ton für dieses Jahr vorgeben. Pjöngjang interessiert sich nicht für die Friedensgesten aus Südkorea, weil es von Seiten der USA keine ernsthaften Zugeständnisse sieht. Nordkorea hat auch kein Interesse daran, sein Nuklearprogramm aufzugeben und bereitet sich darauf vor, hart mit demjenigen zu verhandeln und zu feilschen, der ab März Präsident in Seoul sein wird, was den Friedensplan und das politische Vermächtnis von Moon Jae-in in Trümmern liegen lässt.
Durch die Demonstration seiner Hyperschallfähigkeiten – etwas, das die USA selbst noch nicht entwickeln konnten – zeigt Pjöngjang Entschlossenheit und Absicht und findet neue und überraschende Wege, um im Wettrüsten auf der Halbinsel dabei zu bleiben und sich zu einem gefährlichen Gegner zu entwickeln. Es ist sehr typisch für Nordkorea, dass es selbst dann, wenn es eine schädliche Wirtschaftskrise mit schlimmen Folgen für seine Bevölkerung durchmacht, danach strebt, einen langfristigen strategischen Kampf zu führen, um zu versuchen, zu seinen eigenen Bedingungen zu gewinnen.
Das Weiße Haus hat sich hartnäckig in seinen Standpunkt der "vollständigen Denuklearisierung" festgebissen, aber das wird nicht eintreten, und auf lange Sicht, könnten die Folgen einer zunehmend leistungsfähig werdenden DVRK, den USA auf die Füsse fallen. Die Weichen sind gestellt, aber wie weit wird Pjöngjang gehen, um Amerikas Aufmerksamkeit zu erregen? Könnte es erneut eine Reihe von nuklearen oder ballistischen Raketen testen? Es ist in jedem Fall ratsam, den Blick im Jahr 2022 nicht von dieser Region abzuwenden, die sich rasant zu einem Pulverfass entwickeln könnte.
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Übersetzt aus dem Englischen.
Tom Fowdy ist ein britischer Autor und Analytiker für Politik und internationale Beziehungen mit Schwerpunkt Ostasien. Er twittert unter @Tom_Fowdy
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