Asien

Jürgen Todenhöfer zu Afghanistan: "Katastrophale Niederlage des Westens"

Der frühere CDU-Bundestagsabgeordnete und heutige Publizist Jürgen Todenhöfer äußert sich im RT-Interview zu den aktuellen Ereignissen in Afghanistan. Er kritisiert die westliche Politik deutlich und setzt auf Gespräche mit den Taliban, die beim Wort genommen werden sollen.

"Eine katastrophale Niederlage des Westens, die das Selbstvertrauen des Westens tief erschüttern wird." So schätzt Jürgen Todenhöfer im RT-Interview die aktuellen Ereignisse in Afghanistan ein. Er widerspricht darin dem Eindruck, "die Menschen seien aus dem Paradies vertrieben worden". Das Land am Hindukusch sei kein Paradies gewesen angesichts der extrem schlechten Lebensbedingungen für die Mehrheit der Afghanen, so der heute 80-jährige ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete und Verlagsmanager.

Die bisherigen Machthaber in Afghanistan und Bündnispartner der USA seien korrupte und "schlicht kriminelle Schwerverbrecher". Für Todenhöfer gab es in dem Land aber "auch gute Entwicklungen". Dazu zählt er mehr Rechte für Frauen sowie für Kinder. Der Fortschritt bei den Frauenrechten ist aus seiner Sicht "eigentlich der wichtigste Punkt".  Dieser müsse in Gesprächen mit den Taliban gesichert werden.

Todenhöfer verweist darauf, dass die Taliban angekündigt haben, dass es für die Frauen im Rahmen der Scharia Rechte geben wird. Ebenso, dass bisherige Regierungsmitarbeiter und Soldaten der afghanischen Armee eine Amnestie bekommen. Für ihn ist die Frage, ob diese "relativ positiv klingende Sachen" nur Propaganda sind, um die Weltöffentlichkeit ruhig zu stellen, "oder ist das echt gemeint?"

Er sieht darin eine Chance – "und zwar deswegen, weil das im Interesse der Taliban-Führung selbst liegt. Das heißt, die Taliban haben ein eigenes Interesse, diese Politik, die sie jetzt erklärt haben, diese etwas tolerantere Politik durchzuführen, weil sie nur so überleben können."

Heuchelei, Lügen und Fehleinschätzungen

In seinem 2019 veröffentlichten Buch "Die große Heuchelei" stellte Todenhöfer fest, der "Westen" betreibe mit edlen Vorwänden weltweit eine brutale Interessenpolitik. Gegenüber RT sagt er mit Blick auf Afghanistan, dass in der Bundesrepublik der Einsatz am Hindukusch unter anderem damit begründet wurde, dass damit Mädchen der Schulbesuch ermöglicht werden sollte. Doch die Bundespolitiker hätten sich später, als er nachfragte, nie an diese Aussage erinnern können, berichtet Todenhöfer. "Die wussten gar nicht mehr, welche Lüge sie damals im Deutschen Bundestag im Dezember 2001 gebracht haben. Das wussten die nicht mehr."

Es habe nie einen Einmarsch in ein anderes Land, einen Krieg gegeben, um Demokratie einzuführen oder Schulbesuche zu ermöglichen, stellt er klar, – "auch nicht, um Menschenrechte zu verteidigen". "Nie erschlägt man Menschen für Demokratie", betont er. Darum sei es in all den Kriegen nie gegangen, stattdessen nur "um Macht, um Vormacht".

Er habe "derartige Fehleinschätzungen in dem Ausmaß noch nie erlebt" sagte Todenhöfer auf die Frage nach dem anscheinend überraschenden Vormarsch und Sieg der Taliban. Der Westen habe dabei zu sehr seinen bisherigen Bündnispartnern in Kabul, den Warlords und korrupten afghanischen Politikern, vertraut. Er verweist im Interview auf die Stimmung in der Bevölkerung des Landes und auf die unterschiedlichen Gruppierungen der Taliban.

Todenhöfer stellt fest, dass mit dem Aufkommen des Islamischen Staates (ISIS) in Afghanistan die westliche Politik vollends gescheitert ist. Das angebliche Ziel, dort den Terrorismus zu vertreiben, sei nie erreicht worden.

Todenhöfer war als Jurist, Autor, Politiker und Manager tätig und von 1972 bis 1990 Mitglied des Budnestages und von 1987 bis 2008 Vorstandsmitglied bei Huber-Burda-Media. Als Abrüstungsexperte der CDU-Fraktion drängte er 1982 auf eine Reduzierung der sowjetischen und US-amerikanischen Interkontinentalraketen. Zugleich war er einer der populärsten deutschen Befürworter der von den USA unterstützten Mudschahedin und des Guerillakriegs gegen die sowjetische Intervention in Afghanistan. 

Er gilt als ausgewiesener Kenner der Weltpolitik und ist inzwischen ein erfolgreicher Publizist. In Folge des "11. September" kritisierte er die US-amerikanisch angeführte Interventionen in Afghanistan und dem Irak. Er besuchte zahlreiche Konflikt- und Kriegsgebiete in der Welt, darunter mehrmals Afghanistan. Dort war er 1980 das erste Mal. Über seine Erlebnisse in den Krisengebieten hat er in mehreren Büchern berichtet.

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