Lateinamerika

Krise in Venezuela: Russland und China auf der Suche nach einer diplomatischen Lösung

Russland und China verstärken ihre diplomatischen Bemühungen um einen Dialog zur Beilegung der Krise in Venezuela. In Oslo und Stockholm wurden Gespräche im erweiterten internationalen Rahmen geführt – doch nur wenig ist bislang nach außen gedrungen.
Krise in Venezuela: Russland und China auf der Suche nach einer diplomatischen LösungQuelle: Reuters © Miraflores Palace/Handout via Reuters

von Maria Müller

Die jüngsten Dialogtreffen in Norwegen und Schweden zur Krise in Venezuela deuten eine Wende der westlichen Staaten im Verhältnis zu Russland, China und Kuba an. Sie haben verstanden, dass beim Thema Venezuela die Verbündeten des südamerikanischen Staates mit einbezogen werden müssen. Nur die USA halten an ihrer einseitigen Politik fest. Washington versucht weiterhin, alle Register für eine militärische Lösung zu ziehen – und erreicht damit das politische Gegenteil.

Der gescheiterte Konfrontationskurs

Sowohl die in Montevideo gegründete Internationale Kontaktgruppe für Venezuela (ICG), bestehend aus EU-Staaten und einigen südamerikanischen Regierungen, als auch die Lima-Gruppe (rechtsgerichtete lateinamerikanische Regierungen und Kanada) änderten die Taktik. Sie haben offenbar eingesehen, dass die bisherige aggressive US-Linie der "politischen Isolierung" Venezuelas, des wirtschaftlichen Erstickens und der Sabotage der Infrastruktur des Landes nicht zum gewünschten Ziel führt.

Im Gegenteil. Die mehr schlecht als recht hinter dem selbst ernannten Interimspräsidenten Juan Guaidó stehende Opposition verlor stark an Zuspruch in der Bevölkerung. Der Aufruf zum gewaltsamen Umsturz und die Drohung mit einer ausländischen Militärintervention offenbarten sich als politische Sackgasse. Gäbe es heute die von Guaidó geforderten vorgezogenen Präsidentschaftswahlen – er würde sie aller Voraussicht nach glatt verlieren.

Und auch die enormen finanziellen Interessen der beiden Weltmächte China und Russland in Venezuela, ihre milliardenschweren Investitionen und Unterstützungen aller Art, können von den westlichen Staaten nicht einfach ignoriert werden.

Die Haltung Russlands und Chinas

Die Haltung Russlands und Chinas war stets auf den Erhalt der inneren Stabilität Venezuelas ausgerichtet, aus Prinzipien des Völkerrechts und um eine langfristig angelegte Rückkehr der Investitionen zu ermöglichen. Seit Jahren fordern sie einen internen Dialog zur Beilegung der Krise in Venezuela und lehnen jede militärische "Lösung" des Konflikts ab.

Im April kritisierte Russlands Außenminister Sergei Lawrow scharf die wiederauferstandene Monroe-Doktrin, nach der sich die USA berechtigt sehen, in "ihrer Hemisphäre" auch militärisch zu intervenieren. Lawrow forderte, dass die Souveränität Venezuelas zu respektieren sei und alle Aktionen im Rahmen des internationalen Rechts stattfinden müssen.

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Am 9. Mai, wenige Tage nach dem gescheiterten Putsch in Venezuela, sagte der Sprecher des chinesischen Außenministeriums Geng Shuang gegenüber Telesur:

Wir bestehen darauf, dass dieses Problem durch einen umfassenden politischen Dialog zwischen Regierung und Opposition sowie durch Konsultationen im Rahmen der venezolanischen Verfassung gelöst werden muss.

Außerdem betonte Geng, dass die Internationale Kontaktgruppe (ICG) auf ihrem zweiten Treffen in Costa Rica am 6. und 7. Mai einstimmig eine politische Lösung befürwortete und eine militärische Intervention ablehnte. China werde deren Arbeit unterstützen, erklärte der Sprecher.

In Costa Rica beschloss die Staatengruppe, den Ex-Präsidenten der interamerikanischen Entwicklungsbank und früheren uruguayischen Außenminister Enrique Iglesias als politischen Berater und Verhandlungsleiter einzuladen. Der über 80-jährige Politiker ist ohne Zweifel einer der besten politischen Kenner Lateinamerikas.    

Eine Änderung in der Strategie der westlichen Staaten

Von nun an entwickelte die ICG eine neue Strategie, der sich die Lima-Gruppe rasch anschloss. Arbeitsteilig versuchten sie, die wichtigsten Verbündeten Venezuelas – Russland, China, Kuba und die Türkei – in die Dialogverhandlungen mit einzubeziehen. Man will die jeweiligen Interessen auf den Tisch legen sowie sich auf eine gemeinsame Marschroute einigen.

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Während US-Außenminister Mike Pompeo am 14. Mai in Moskau seinen russischen Amtskollegen Sergei Lawrow besuchte, bemühte sich die kanadische Regierung um ein besseres Verhältnis zu Kuba.

Die kanadische Außenministerin Chrystia Freeland besuchte den sozialistischen Karibikstaat am gleichen Tag, um über die Krise in Venezuela zu sprechen. Kubas Präsident Miguel Diaz-Canel twitterte, er habe mit dem kanadischen Premierminister Justin Trudeau gesprochen, der wiederum erklärte, dass sowohl Kanada als auch die Lima-Gruppe "anerkennen, dass Kuba potenziell in der Lage ist, eine positive Rolle für das Wohlergehen und die künftige Stabilität Venezuelas zu übernehmen".

Auch Kubas Außenminister Bruno Rodríguez und die Hohe Vertreterin der EU-Außenpolitik, Federica Mogherini, führen inzwischen einen "herzlichen" Dialog über die Krise in dem südamerikanischen Land. Man habe vereinbart, in Kontakt zu bleiben.

Die westlichen Staatengruppen werden versuchen, das Vertrauensverhältnis zwischen Kuba und der venezolanischen Regierung unter Präsident Nicolás Maduro zu nutzen, um sie für die westlichen Forderungen zugänglicher zu machen. Ob sie ihrerseits dazu bereit sind, Abstriche bei ihrem bisherigen ultimativen Forderungskatalog zu machen und ihre aggressive Rhetorik herunterzufahren, ist jedoch unklar.   

Denn in der Abschlusserklärung in Costa Rica erwähnte die Internationale Kontaktgruppe die US-Sanktionen mit keinem Wort, als ob sie nicht existierten. Deren für die venezolanische Wirtschaft desaströsen Folgen lasteten sie hingegen ausschließlich Caracas an.

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Das erste Verhandlungstreffen in Norwegen 

Am 21. Mai wurde die Welt dann von einem mehrtägigen Treffen in Norwegen zwischen Vertretern der Regierung und Opposition Venezuelas überrascht. Nach Erklärungen des norwegischen Außenministeriums gab es im Vorfeld monatelange Sondierungsgespräche zwischen den gegnerischen Lagern, doch stets unter dem Mantel der Verschwiegenheit. Der norwegische Fernsehsender NRK teilte mit, dass die ersten Kontakte für ein künftiges Dialogtreffen in Kuba stattgefunden hatten. 

Zur Erinnerung: Norwegen nahm bei den kolumbianischen Friedensverhandlungen in Kuba eine Vermittlerrolle ein und wird deswegen von Venezuela geschätzt, das als Garantiestaat ebenfalls daran teilnahm.

Das Treffen zwischen Vertretern der venezolanischen Konfliktparteien fand an einem geheimen Ort nahe Oslo unter Ausschluss der Presse statt. Immerhin sind die Teilnehmer bekannt. Seitens der venezolanischen Regierung waren Jorge Rodríguez, Minister für Kommunikation und Information, sowie der Außenminister Jorge Arreaza und der Gouverneur von Miranda, Héctor Rodríguez, anwesend. Für die Opposition nahmen der frühere Rektor des Nationalen Wahlrates, Vicente Díaz, der Kommunikationsfachmann Fernando Martínez Mottola, der Vizepräsident der Nationalversammlung, Stalin González, sowie der Berater Gerarde Blyde teil.

Die norwegische Außenministerin Ine Eriksen Søreide informierte nach Abschluss des Treffens:

Die Parteien haben ihre Bereitschaft gezeigt, bei der Suche nach einer vereinbarten und verfassungsmäßigen Lösung für das Land voranzukommen, die politische, wirtschaftliche und Wahlfragen einschließt.

Als einziges Pressemedium veröffentlichte die Tageszeitung ALnavío in Madrid einige Diskussionspunkte: einen neuen Wahlrat zu schaffen, die Verfassunggebende Versammlung aufzulösen, eine größere Zahl chavistischer Abgeordneter ins Parlament einzuladen und vorgezogene Neuwahlen innerhalb eines Jahres durchzuführen, bei denen Maduro kandidieren kann. Laut Verfassung sind die nächsten Parlamentswahlen 2020 fällig, Präsidentschaftswahlen aber erst 2025.

OAS-Sekretär Luis Almagro untergräbt Verhandlungsprozess

Wie bei allen früheren Verhandlungsversuchen bemühte sich der Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), Luis Almagro, auch dieses Mal darum, die Verhandlungen zu blockieren. Er erklärte gleich zu Beginn, das Treffen in Oslo sei ein Fehler, denn es gehe in Venezuela nicht um einen Konflikt zwischen zwei Parteien, sondern um das Ende einer Diktatur.

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Kaum ertönte Almagros Kritik, relativierte Venezuelas selbst ernannter "Interimspräsident" Juan Guaidó die Bedeutung seiner Teilnahme. Es handele sich nicht um einen Dialog, verlautbarte er, sondern um Gespräche darüber, dass Maduro sich zurückziehen müsse, um "das Schlimmste" zu verhindern. Das Schlimmste – damit ist eine militärische Intervention gemeint. Schlussendlich verkündete Guaidó dann, das Treffen in Oslo sei ergebnislos abgebrochen worden.

Strategie der Erpressung mittels Militärintervention geht weiter

Während der Gespräche in Norwegen verabschiedete das von der Opposition dominierte Parlament in Venezuela den Wiedereintritt in die interamerikanische Verteidigungsgemeinschaft TIAR. Somit könnte ein Truppenkontingent aus amerikanischen Staaten, beispielsweise aus den USA, Brasilien und Kolumbien in Venezuela unter dem Etikett "militärische Unterstützung" intervenieren und so das internationale Recht und die Vereinten Nationen umgehen.

Das russische Außenministerium reagierte prompt: Am 27. Mai warnte Lawrow davor, dass bedingungslose Positionen gegenüber der Maduro-Regierung keinen Verhandlungsspielraum zuließen: 

Wir fordern alle beteiligten Staaten nachdrücklich auf, den Beginn des politischen Prozesses in Form von Verhandlungen zwischen den wichtigsten politischen Kräften dieses Landes zu unterstützen, ohne der venezolanischen Regierung ultimative Forderungen aufzuerlegen.

Am 5. Juni bezog sich Lawrow indirekt auf den TIAR-Beschluss der venezolanischen Nationalversammlung. Auf Twitter schrieb er: "Wir glauben, dass gewaltsame Schritte in Venezuela, die den UN-Sicherheitsrat umgehen, zu einer Katastrophe führen." Lawrow forderte die USA auf, den Dialog nicht zu behindern. 

Russlands Kontakte zur Opposition 

In einem Interview mit dem russischen Portal RBC offenbarte Lawrow außerdem Details über die russischen Kontakte zu verschiedenen Vertretern der venezolanischen Opposition. Russland habe auf deren Ersuchen hin mehrfach Gespräche geführt – allerdings "nur mit der legalen Opposition", wie der Außenminister betonte. 

Dabei haben wir stets darauf bestanden, dass ein nationaler Dialog notwendig ist. Wir sind auch nicht damit einverstanden, dass Juan Guaidó den Dialogaufruf der Internationalen Verhandlungsgruppe von Montevideo hochmütig zurückwies, während Präsident Maduro damit einverstanden war", erklärte Lawrow. 

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Beim Gipfeltreffen der Präsidenten Russlands und Chinas am 5. Juni in Moskau wurde auch die Venezuela-Frage erörtert. Wladimir Putin und Xi Jinping riefen gemeinsam zum politischen Dialog auf und appellierten an alle Akteure des Konflikts, sich gegen jede militärische Intervention zu stellen.  

Putin und Xi sicherten eine enge und permanente Zusammenarbeit in der Venezuela-Frage zu und bekundeten die Absicht, die Beziehungen zu den Ländern der Region zu vertiefen. 

Internationales Verhandlungstreffen in Schweden 

Am 14. Juni gab es dann ein neues Treffen in Schweden. Weder Vertreter der venezolanischen Regierung noch der Opposition waren anwesend. In einer kurzen Erklärung, die auf der offiziellen Webseite der schwedischen Regierung veröffentlicht wurde, heißt es: 

Die schwedische Regierung hat in Stockholm ein Treffen mit einigen wichtigen internationalen Akteuren organisiert, um die gegenwärtigen Bemühungen um eine friedliche, politische und demokratische Lösung der Krise in Venezuela zu unterstützen und die schwierige Situation des venezolanischen Volkes zu lindern.

Auch bei diesem Treffen hatten Pressevertreter keinen direkten Zugang, Diskretion ist angesagt. Russland sandte Alexander Schtschetinin, Direktor für Südamerika im Außenministerium. Enrique Iglesias, nun als diplomatischer Vertreter der europäischen Kontaktgruppe, fand sich ebenfalls ein. Auch UN-Beamte sowie Vertreter des Vatikan, Kubas, der Türkei und der Europäischen Union nahmen teil. Die Vereinigten Staaten lehnten eine Teilnahme ab. Bisher gibt es keinerlei öffentliche Informationen über Inhalte oder Ergebnisse des Treffens in Stockholm.

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