Venezuela ist nicht Syrien – Doch die US-Kriegstaktik ist dieselbe
von Eva Barlett
Seit sich Juan Guaidó im Januar selbst zum "Interimspräsidenten" Venezuelas erklärt hat, kommt einem die Rhetorik aus Washington zunehmend bekannt vor. Sie klingt wie die bombastische und hohle Kriegspropaganda im Zeichen einer "humanitären Krise", die wieder und wieder bei rohstoffreichen Ländern zum Einsatz kommt: von Afghanistan über den Irak und Libyen bis zu Syrien. Nun erleben wir es also bei Venezuela.
Das Rezept für einen solchen "Regime Change" lautet gerade heraus: Dämonisiere die Führung des Landes und diejenigen, die sie verteidigen! Unterstütze die Opposition, die unvermeidlicherweise gewalttätig daherkommt und legitimiere deren kriminellen Aktionen! Sanktioniere das Land und attackiere dessen Infrastruktur, um unzumutbare Umstände herbeizuführen! Fabriziere "Fake News" über humanitäre Ereignisse! Organisiere "False Flag"-Vorfälle, um sie der Regierung in die Schuhe zu schieben und sie so zu kriminalisieren! Kontrolliere das "Narrativ"! Beharre darauf, dass eine Intervention zum Wohle der Menschen nötig ist!
In Libyen werden schwarze Afrikaner als Sklaven verkauft, in einem Land, das vom Westen durch den Fake vom humanitären Notstand und rettenden Bombardierungen in Schutt und Asche gelegt wurde.
Venezuela hat über Jahre hinweg und in aufsässiger Weise dem von den USA und Kanada angeführten Wirtschafts- und Propagandakrieg widerstanden, inklusive versuchter Staatsstreiche und Mordanschläge, nur um während der zurückliegenden Monate erneut mit Anti-Venezuela-Rhetorik überzogen zu werden.
Trotz der Spur der Zerstörung, die die US-amerikanischen "Regime Change"-Bemühungen im Laufe der Jahrzehnte in ganz Lateinamerika und im Rest der Welt hinterlassen haben, bestehen einige Leute angesichts derselben Taktiken gegen diese Länder und aktuell gegen Venezuela überraschenderweise darauf, dass es diesmal anders ist.
Venezuela ist nicht Syrien, sagen sie. Diesmal geht es wirklich um ein "korruptes Regime" und um "Menschenrechte" – im Falle Venezuelas gar um eine "humanitäre Krise". Ganz so, als hätten die USA immer nur das Beste für alle Menschen – ihre eigenen eingeschlossen – im Sinn.
Sie ignorieren die mörderischen Sanktionen gegen Venezuela und die Unterstützung der gewalttätigen "Opposition" – eine Opposition, die Menschen bei lebendigem Leib verbrannt hat – sowie die Millionen von US-Dollar, die in dieses ganze Förderprogramm geflossen sind.
Und dann gibt es noch die jüngsten Gewaltaktionen gegen Venezuela, wie den Versuch am 23. Februar, Lastwagen mit humanitärer Hilfe ins Land zu zwingen, und den Putschversuch von Guaidó und Leopoldo López (ein gewalttätiger, rechter Oppositionsführer) am 30. April, mit freundlicher Beihilfe der USA, den die Venezolaner in Massen klar ablehnten.
Die Kollektive – die neuen "Shabiha"
Vor 2011 wussten die westlichen Massenmedien viel Gutes über die Führung Syriens zu berichten, mit Lobpreisungen für Präsident Baschar al-Assad als einen aufgeschlossenen Reformer. Doch sobald die "Regime Change"-Operation losgetreten wurde, verwandelten sich Assad und seine Alliierten in die größten Feinde. Sowohl in Venezuela als auch in Syrien wurden die Präsidenten Maduro und Assad legitimerweise gewählt und genießen breite Unterstützung in der Bevölkerung.
Dennoch verunglimpfen westliche Politiker und Massenmedien, die ihnen als Sprachrohr dienen, beide Länder routinemäßig als "Diktaturen" und die gewählten Präsidenten als illegitim – und unterstützen gleichzeitig ebenso unbeliebte wie undemokratische Marionetten, die sie an deren Stelle als neue Führer platzieren möchten.
Aber die Verteufelung der Regierung allein reicht nicht aus. Auch die Anhänger der Regierung werden ins Visier genommen oder sind einfach verschwunden. In Syrien werden diese Anhänger "Shabiha" (arabisch für "Gespenst") genannt, um sie – und zwar Millionen von ihnen! – in die Ecke von bezahlten Schlägern der Regierung zu stellen und ihnen so ihre Stimme abzusprechen.
Es ist eine äußerst verlogene Taktik, mit der die Stimmen der Massen zum Schweigen gebracht werden – ganz auf der Linie der Massenmedien des Westens, die all diejenigen von uns, die tatsächlich Fragen stellen oder gar die fraglichen Orte aufsuchen, als "Verschwörungstheoretiker" brandmarken.
Dia "Shabiha" Venezuelas sind die Kollektive. Sie werden ebenfalls als staatlich unterstützte Schläger dargestellt und von den tatsächlichen Schlägern der USA als "Terroristen" bezeichnet.
Diese Kollektive sind organisierte Graswurzelbewegungen von Menschen, die sich als Erzieher, Feministinnen, Rentner, Bauern und Umweltschützer zusammenschließen, um unter anderem in ihren Gemeinden die Gesundheitsversorgung zu gewährleisten oder ihre Nation zu verteidigen.
Während westliche Massenmedien und geifernde Politiker wie Marco Rubio und John Bolton diese Graswurzelbewegungen verteufeln, verschleiern sie die tatsächlichen Verbrechen der bewaffneten Oppositionsanhänger. Ein Beispiel aus jüngster Zeit waren Oppositionelle, die das Hauptquartier der PSUV (Vereinigte Sozialistische Partei Venezuelas) in Caracas in Brand steckten und eine Notiz hinterließen, in der sie die Kollektive verfluchten.
In Venezuela war ich einige Zeit lang mit dem Leiter eines Jugendkollektivs von 170 Familien unterwegs. Das Kollektiv hilft der Jugend der Gemeinde bei ihren Bedürfnissen und organisiert Aktivitäten für sie sowie die Bereitstellung erschwinglicher Produkte für die lokale Gemeinschaft. Während der Stromausfälle unterstützte dasselbe Kollektiv Hunderte von Familien bei der Aufrechterhaltung der Wasserversorgung und bei der Lagerung verderblicher Lebensmittel.
Am 30. März hatte ich Hunderte von Mitgliedern eines Kollektivs der Motorrad-Taxi-Gewerkschaft begleitet, die mit ihren Motorrädern quer durch und um die Hauptstadt herumfuhren, um ihre Unterstützung für ihr Land und ihre Ablehnung einer ausländischen Intervention zu demonstrieren. Es waren Frauen und Männer, die mit ihrer physischen Präsenz eine Aussage machten: Sie wollen nicht zulassen, dass ihr Land von innen oder außen angegriffen wird.
Einer der Organisatoren, der sich sehr wohl bewusst ist, wie die Kollektive dargestellt werden, sagte mir: "Wir sind keine Terroristen, die Terroristen sind mit dieser Opposition aus Lakaien gekommen", und fügte hinzu, dass andere Regierungen den Terrorismus nach Venezuela bringen.
Ein anderer Mann sagte mir während der Motorraddemonstration: "Wir leiden unter dem Terrorismus, der uns durch eine US-Marionette namens Juan Guaidó eingepflanzt wurde. Wir sagen dir, Guaidó, und wir sagen dir, Trump: Du hast unser Wasser weggenommen, du hast das Licht weggenommen, aber du hast unsere Seele entfacht, und wir sind entschlossen, das Land mit unserem Leben zu verteidigen, wenn es nötig ist."
Dieselben Motorradfahrer schlossen sich später den Zehntausenden von Venezolanern an, die in einem festlichen Umzug zur Unterstützung von Präsident Maduro auf die Straße gingen. Zwei Wochen zuvor, am 16. März, war ich einige Stunden lang bei einer weiteren solchen Massendemonstration mitgelaufen, um Demonstranten zu filmen, ihre Meinungen zu hören: über den Nicht-Präsidenten Guaidó, über ihre Unterstützung für Maduro und über ihre Weigerung, sich ihr bolivarianisches Projekt zerstören zu lassen.
Am selben Tag suchte ich zuvor nach Anhängern der Opposition, die Guaidó dazu aufgerufen hatte, auf die Straße zu gehen, und die daher an mehreren Stellen in der Stadt zusammengekommen sein sollten. An einem der Orte fand ich stattdessen Maduro-Anhänger, woanders eine Handvoll Guaidó-Anhänger und schließlich in der Oppositionshochburg Altamira ein paar Dutzend Anhänger des "neuen Präsidenten".
In Syrien wiederum fanden in den ersten Monaten des Jahres 2011 und in den folgenden Jahren Massendemonstrationen zur Unterstützung von Präsident Assad statt.
Das Land sanktionieren und dessen Infrastruktur angreifen
Die USA und Kanada verhängen seit Jahren lähmende Sanktionen gegen Venezuela, eine Form der kollektiven Bestrafung.
Der UN-Sonderberichterstatter Idriss Jazairy betonte am 6. Mai die Heuchelei, verheerende Sanktionen und damit verbundene wirtschaftliche Maßnahmen zu verhängen, und zugleich zu behaupten, dass diese dem venezolanischen Volk helfen.
Der UN-Experte Alfred de Zayas nennt Sanktionen treffend eine Form des Terrorismus, "weil sie immer direkt oder indirekt die Armen und Schwachen treffen".
US-Offizielle verharmlosen die drastischen Auswirkungen von Sanktionen, aber die Realität ihrer Wirkung ist erschütternd.
Ein kürzlich veröffentlichter Bericht schätzt, dass die Sanktionen gegen Venezuela in den Jahren 2017 und 2018 rund 40.000 Todesopfer forderten und 300.000 weitere Venezolaner gefährdeten. Vor kurzem starb ein sechsjähriger Junge, der eine Knochenmarktransplantation und eine weitere Therapie benötigte (die von einem Verein im Einvernehmen mit der PDVSA, dem venezolanischen Öl- und Gasunternehmen, durchgeführt werden sollte), weil seine Behandlung aufgrund der US-Sanktionen gegen PDVSA abgelehnt wurde.
Als ich im März in Caracas ankam, waren gerade drei Tage nach dem ersten von zwei großen Stromausfällen in Venezuela in diesem Monat vergangen. Die venezolanische Regierung bleibt für diesen ersten Stromausfall weiterhin bei ihrer Darstellung, wonach die Vereinigten Staaten das Stromnetz Venezuelas durch Cyberangriffe, den Einsatz elektromagnetischer Impulsgeräte und durch physische Angriffe ins Visier genommen hatten.
Elektrische Infrastruktur aufs Korn zu nehmen, ist für die USA kein Fremdwort, und während des ersten Ausfalls schrieb sogar Forbes, dass "die Idee, dass eine Regierung wie die Vereinigten Staaten aus der Ferne in ihr Stromnetz eingreift, durchaus realistisch ist."
Stunden vor dem Stromausfall am 7. März sah Marco Rubio voraus, dass Venezuela "in eine Zeit des Leidens eintreten würde, mit der keine Nation in der modernen Geschichte konfrontiert war."
In Syrien attackierten Terroristen seit 2011 Elektrizitätswerke und Kraftwerke. Syrer in Aleppo lebten jahrelang ohne Strom, nachdem Terroristen die Kontrolle über den Bezirk erlangt hatten, in dem das Kraftwerk liegt. Diejenigen, die es sich leisten konnten, kauften portionsweise Generatorstrom.
Nach dem israelischen Bombenangriff auf das Kraftwerk in Gaza im Jahr 2006 litten die Palästinenser jahrelang an Stromausfällen für 18 oder mehr Stunden am Tag. Aktuell gibt es in Gaza acht Stunden Strom pro Tag.
Offensichtlich sind die USA und ihre Verbündeten bestens vertraut mit dem Konzept, Infrastrukturen für Elektrizität und Wasser anzugreifen und zu sabotieren, um dadurch höllische Lebensbedingungen für die Menschen des betroffenen Landes zu schaffen.
Hungersnot und die Krise der Ernährung aus Abfällen
Zur Situation in Syrien geht jedes Mal, wenn ein von al-Kaida & Co besetztes Gebiet befreit wird, ein Aufschrei durch die Massenmedien, der die massenhaft hungernden Zivilisten beklagt und dafür der syrischen Regierung die Schuld gibt. Obwohl der Hunger tatsächlich jedes Mal das Ergebnis des Hortens von Lebensmitteln und der Kontrolle von Hilfsleistungen durch Terroristen ist.
Das Propagandastück der hungernden Zivilisten wird nun in Venezuela erneut aufgeführt, wobei westliche Medien eine Epidemie von leer stehenden Regalen und Menschen, die sich von Abfällen ernähren, an die Wand malen.
So behauptete etwa Jorge Ramos, Journalist bei Univision, drei Männer gefilmt zu haben, die aus einem Müllcontainer essen, nur wenige Häuserecken und Minuten vom venezolanischen Präsidentenpalast Miraflores entfernt. In Wirklichkeit filmte Ramos in Chacao, einer Hochburg der Oppositionellen, die fast sieben Kilometer bzw. im Hauptstadtverkehr eine gute halbe Stunde vom Palast entfernt ist.
Ende März war ich mit einem jungen Leiter eines Kollektivs in dessen Stadtviertel Las Brisas im Westen von Caracas unterwegs. Um seinen Standpunkt zu veranschaulichen, dass der westliche Hype um den Massenhunger Unsinn ist, klopfte er an die Türen in diesem Unterschichtenviertel und fragte die Leute, ob sie hungern würden und ob sie heute gegessen hätten. Die meisten, die wir trafen, waren durch die seltsame Frage irritiert (offensichtlich haben sie Rubios Twitter-Feed nicht gelesen).
In der hügeligen Wohnanlage von Ciudad Mariche bestanden die Einheimischen ebenfalls darauf, dass es keine humanitäre Krise gibt. Ein Mann sagte mir: "Wir verhungern nicht. Wir haben viele allgemeine Probleme, aber keinen Hunger. Dies ist keine humanitäre Krise. Sagen Sie Ihren Regierungen: Das ist kein Kampf gegen Maduro, das ist ein Kampf gegen ein Volk, das versucht, frei zu sein."
Andere Staaten in Syrien, Venezuela: "illegal" – nur die USA nicht
Nach Ansicht des Rüpels der Welt haben nur die USA das Recht, in souveräne Nationen einzugreifen, obwohl ihre ungebetenen Interventionen illegal sind.
Die USA fahren gegen die Verbündeten Venezuelas wie Kuba und Russland schweres Geschütz auf, indem sie etwa von Russland bizarrerweise behaupten, dass es sich ohne Zustimmung der Regierung in Venezuela einmischt, obwohl diese Behauptung im offenen Widerspruch zu einem diesbezüglichen bilateralen Abkommen zwischen Russland und Venezuela steht.
Die scheinheilige Haltung der USA hat das Bündnis Russlands mit Venezuela nicht beeinträchtigt. Moskau kündigte seine Absicht an, eine "UN-Koalition von Ländern zu bilden, um der eventuellen Invasion Venezuelas durch die USA entgegenzuwirken."
Auf jeden Fall wird Venezuela – ebenso wie Syrien – nicht so leicht überholt werden, mit seinen 200.000 Mann starken Streitkräften und seinen fast zwei Millionen Mann starken Milizen, die sich auf die Verteidigung ihres Landes vorbereiten.
Eva Bartlett ist freiberufliche Journalistin und Rechtsaktivistin mit langjähriger Erfahrung im Gazastreifen und in Syrien.
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