Lateinamerika

Friedensprozess ohne Geld: Korruptionsskandal in Kolumbien um verschwundene Millionen US-Dollar

Norwegen, Schweden und die Niederlande fordern eine Überprüfung des Verbleibs der Gelder, die sie Bogota zur Unterstützung des Friedensprozesses in Kolumbien zur Verfügung gestellt hatten. Der Vorwurf der Veruntreuung der Friedensgelder steht weiter im Raum.
Friedensprozess ohne Geld: Korruptionsskandal in Kolumbien um verschwundene Millionen US-Dollar Quelle: www.globallookpress.com © Global Look Press

von Maria Müller 

Bereits im Herbst 2017 zeichnete sich ab, dass die kolumbianische Regierung von Juan Manuel Santos mit den für den Friedensprozess bestimmten Geldern nicht vertragsgerecht umgeht. Die Tatsache, dass Bogota nach über einem Jahr nur 18,5 Prozent seiner Pflichten aus dem Friedensvertrag eingelöst hat, führte in den vergangenen Monaten zu internationaler Besorgnis über den Umgang mit den Friedensgeldern.

Im Sommer 2016 hatten sich die linke Guerillagruppe „Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens – Volksarmee“ (FARC) und Regierungsvertreter nach über 50 Jahren der bewaffneten Konfrontation auf einen endgültigen Waffenstillstand geeinigt. Im Juni 2017 bestätigten die Vereinten Nationen, dass die Entwaffnung der FARC abgeschlossen sei. 

Die Botschafter Norwegens, Schwedens und der Schweiz fragten im März in einem Brief an Präsident Santos nach dem Verbleib der von ihren Ländern für den Friedensprozess bereitgestellten 34,8 Millionen US-Dollar. Gemeinsam mit mehreren Staaten, darunter auch Deutschland und Großbritannien, haben sie zusammen 200 Millionen US-Dollar in den „Großen Kolumbianischen Fonds für den Post-Konflikt“ eingezahlt. In ihrem Brief heißt es wörtlich:

Die Umgangsweise mit dem Fonds befindet sich in einem kritischen Stadium. Daher bitten wir die Regierung Kolumbiens und die Interamerikanische Entwicklungsbank als Verwalter der Gelder um Erläuterungen. (…) Uns beunruhigt die Langsamkeit und fehlende Transparenz bei der Vergabe von Verträgen.

Doch erst als der von der kolumbianischen Regierung unter Verschluss gehaltene Brief der Presse zugespielt und veröffentlicht wurde, bewegten sich die Dinge nach vorne.

Nun machte der Oberstaatsanwalt Néstor Humberto Martínez offen, dass er den Fall schon seit längerem untersuche. Es gebe ein Netz von „Zwischenhändlern“, die gegen Schmiergelder bestimmten Firmen lukrative Verträge für Entwicklungsprojekte zukommen lassen. Die Aufträge würden mit dem „Scheckheft für den Frieden“ bezahlt.

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Der kolumbianische Rechnungshof forderte in aller Eile, dass für die im Jahr 2017 verwendeten Gelder Rechenschaft abgelegt werden müsse. Als erstes wollte er mehr über den Verbleib von über einer Million US-Dollar im Bereich der Sonderjustiz für den Frieden (JEP) erfahren.

Laut Néstor Raúl Correa, dem Generalsekretär dieser neuen Gerichtsbarkeit, seien im vergangenen Jahr 4.717.415 US-Dollar aus dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) und aus dem Fördertopf der Internationalen Organisation für Migration (IOM) verplant und ausgegeben worden. Doch in den Einzelbilanzen tauchten nur 3.767.000 US-Dollar auf. Die Differenz ist bis heute ungeklärt. Am 2. April trat Correa von seinem Amt zurück.  

Als Motiv für seinen Rücktritt verwies er darauf, dass sein Antrag abgewiesen wurde, die Geheimdienst- und Militärarchive unter Aufsicht der Sonderjustiz zu bringen. Damit sei eine der Grundvoraussetzungen für seine Arbeit nicht mehr gegeben.

Auch die Direktorin des großen Kolumbienfonds, Gloria Ospina, kam dem Befehl des Rechnungshofes und der Oberstaatsanwaltschaft nur unzureichend nach, die Finanzen zu durchleuchten. Daraufhin hat sie Präsident Santos am 9. April persönlich entlassen. Ihr folgten weitere Verantwortliche des Fonds.

Inzwischen laufen gegen zehn „Vermittler“ Untersuchungsverfahren, weil sie von begünstigten Firmen bis zu zwanzig Prozent der Projektkosten für Verträge einforderten. Einer davon ist der Lebenspartner von Gloria Ospina. Er erhielt von ihr den lukrativen Auftrag, ein neues spezifisches Digitalsystem für Projektmittel zu entwerfen, obwohl das Finanzministerium bereits eines besitzt (SIIF), das man dafür hätte verwenden können.

Friedensgelder nun von privater Treuhandgesellschaft verwaltet  

Schließlich verpasste Präsident Santos dem gordischen Knoten einen Hieb: Er übergab das gesamte Millionen-Management für den Nachkonflikt einer privaten Treuhandgesellschaft namens FIDUPREVISORA. Sie werde auch Rechnungsprüfungen durchführen. Doch das Konsortium genießt in dem lateinamerikanischen Land nicht den besten Ruf.

Die Verwaltungsgesellschaft erhält 0,30 Prozent der von ihr betreuten Finanzen als Kommission. Dazu noch einen monatlichen Betrag von über 100.000 US-Dollar. Bis zu diesem Zeitpunkt unterstand der Fonds direkt dem Sekretariat des Präsidenten. Die vier Teile des Großen kolumbianischen Friedensfonds sollen nun offiziell überprüft werden. Das sind der „Fonds für die nachhaltige Entwicklung Kolumbiens“, der internationale UNO-Fonds, derjenige der Europäischen Union und der Weltbank-Fonds.

Wenige Tage zuvor legte der kolumbianische „Hohe Rat für den Nachkonflikt“ eine Bilanz der bisherigen Maßnahmen zum Verwirklichen des Friedensvertrags vor. Demnach seien 88,3 Prozent der dafür bestimmten Gelder aus dem Haushaltsbudget an konkrete Projekte gegangen. Auch die 7,1 Millionen US-Dollar der Weltbank habe man verschiedenen Initiativen zugeordnet.

Zum Vorwurf der Veruntreuung sagte der kolumbianische Vizepräsident Oskar Naranjo:

Doch von dem ‚Fonds für die nachhaltige Entwicklung Kolumbiens‘, in den Norwegen, Schweden und die Schweiz 34,8 Millionen US-Dollar einzahlten, haben wir noch keinen einzigen Dollar ausgegeben. Deswegen können wir die Gelder auch nicht veruntreut haben.

Bauernproteste: Landreform kommt nicht voran 

Dennoch gibt es Kritik an der geringen Effizienz beim Umgang mit den Geldern, was sich beispielsweise auch an großen Zahlungsverzögerungen zeigt. Fälle von Vetternwirtschaft bei der Vergabe von Posten und Aufträgen treten in den obersten Rängen auf. Die Initiativen der Nationalen Agentur zur Wiedereingliederung, der nationalen Agentur für Landreformen, die Sonderjustiz für den Frieden und die Produktionsprojekte für neue Arbeitsplätze stagnieren. Die Pflichten gegenüber den indigenen Bevölkerungsgruppen der Departments Cauca und Nariño wurden bis jetzt nicht erfüllt, die acht Millionen Opfer werden nur schleppend, wenn überhaupt, entschädigt.

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Bereits im Dezember 2017 bestätigte der Präsident des kolumbianischen Rechnungshofes Edgardo Maya vor dem Kongress, dass er seinen Kontrollbericht über die Friedensgelder nicht vorlegen kann. „Aufgrund der gegenwärtigen Probleme gibt es nicht genug Informationen um zu prüfen, wie und ob diese Mittel eingesetzt wurden“, sagte Maya und wies darauf hin, „dass im mittelfristige Haushaltsplan (MFMP) die vom Opfergesetz vorgeschriebenen Entschädigungen absolut nicht berücksichtigt werden. Auch für die integrierte Landreform wurden bisher keine Finanzen bereitgestellt.“

Anfang 2018 hat Präsident Santos der enttäuschten Landbevölkerung verkündet, es gebe nur wenig Geld, sie solle sich mit „kollektiven Entschädigungen“ zufriedengeben – etwa einer Straße oder einer Schule – und auf das ihr geraubte Land verzichten. Auch für die Reformen in der Landwirtschaft, um den Koka-Anbau einzudämmen, seien kaum Mittel vorhanden. Santos halbierte den Plan und legte ihn weitgehend auf Eis.

Zahlreiche protestierende Bauern starben in den letzten Monaten durch Kugeln von Polizei und Militär, ihre Sprecher wurden entführt und ermordet.

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