Lateinamerika

Charter City Próspera in Honduras: Extraterritoriale Modellstadt im Geist des Neoliberalismus

Ausverkauf und Privatisierung staatlicher Infrastruktur sind Teil jeder neoliberalen Wirtschaftspolitik. Nun geht es noch einen Schritt weiter in Richtung totaler Privatisierung. Vorhang auf für von Investoren geschaffene Städte mit eigenen Gesetzen und eigener Regierung.
Charter City Próspera in Honduras: Extraterritoriale Modellstadt im Geist des Neoliberalismus© prospera.hn

Auf der tropischen Insel Roatán vor der Küste Honduras soll die erste sogenannte Beschäftigungs- und Wirtschaftsentwicklungszone (ZEDE) des Landes entstehen. Die Charter City namens Próspera ist eine von privaten Investoren aus dem Boden gestampfte Stadt mit eigenen Gesetzen und einem eigenen Regierungssystem. Es setzt ein nationales Regierungsprogramm um, das 2013 die Schaffung von privat verwalteten Charter Citys in Honduras erlaubte.

Próspera soll eine Art eigene Verfassung und ein 3.500-seitiges Gesetzbuch mit Rahmenbedingungen für die politische Vertretung und die Beilegung von Rechtsstreitigkeiten bekommen. Nach fast einem halben Jahrzehnt der Entwicklung will die Charter City in diesem Sommer damit beginnen, Bewerbungen von potentiellen Bewohnern zu prüfen. Die ersten Bewohner werden jedoch virtuelle E-Residenten sein, da Próspera noch nicht über bezugsfertige Wohnungen verfügt.

Das Konzept von Charter Citys geht zurück auf eine Idee des US-Ökonomen Paul Romer, Professor an der New York University und später Chefökonom der Weltbank. Das 2009 präsentierte Konzept sah ursprünglich vor, in wachstums- und strukturschwachen Ländern als Mittel zur Armutsbekämpfung Charter Cities zu errichten. Die Regierung eines nicht besiedelten Stückes Land soll dieses komplett an eine ausländische Regierung abgeben und es so unter dessen Legislative, Judikative und Exekutive stellen. Oder wie es Romer zusammenfasst: "Kanada entwickelt ein Hongkong in Kuba." Der Vorteil, laut Romer, liege in der garantierten Rechtssicherheit für die Investoren in der Sonderzone.

Honduras ändert die Spielregeln

Das Ziel sei es, das Wirtschaftswachstum in den Ländern, die das Gebiet zur Verfügung stellen, mit Hilfe von Auslandskapital anzukurbeln. Der US-Ökonom verwies dabei des Öfteren als Beispiel auf Hongkong unter britischer Kolonialherrschaft. Wenig überraschend brachte ihm sein Entwurf den Vorwurf von Neoimperialismus beziehungsweise Neokolonialismus ein. Dennoch begann die honduranische Regierung damit, mit Romer das Konzept der Beschäftigungs- und Wirtschaftsentwicklungszonen (ZEDE) umzusetzen. Romer fungierte als Vorsitzender des Entwicklungskomitees.

Die Kooperation endete jedoch abrupt 2012, als sich der US-Ökonom aus dem Projekt zurückzog und der honduranischen Regierung mangelnde Transparenz vorwarf. Er kritisierte, dass die Regierung ohne Beteiligung des Komitees Verträge mit internationalen Investoren unterzeichnet habe. Auch ist in der honduranischen Umsetzung des Konzepts kein zweiter Staat vorgesehen, an den das Land abgetreten wird und der die Rechtssicherheit garantieren soll.

Zudem hatte der Oberste Gerichtshof von Honduras das Konzept der ZEDE 2012 zunächst für verfassungswidrig erklärt. Das Gericht entschied, dass das Konzept gegen verfassungsrechtliche Vorschriften in Bezug auf die Souveränität des Landes verstoße. Rosalinda Cruz, eine Richterin, die an dem Urteil damals mitgewirkt hatte, erklärte:

"Die drei wichtigsten Elemente des Staates sind das Staatsterritorium, die Staatsbevölkerung und die Staatsgewalt. Und in diesem Fall wurden alle drei Elemente verletzt, weil laut dem Gesetzesentwurf selbst die Bevölkerung nur schwer Zugang zu den ZEDE gehabt hätte. Sie hätte dafür eine Sondergenehmigung gebraucht."

Daraufhin führte der Präsident von Honduras, Juan Orlando Hernández, eine umstrittene Umstrukturierung des Obersten Gerichtshofs und eine Verfassungsreform durch und erwirkte so doch noch die Genehmigung. Rosalinda Cruz und drei weitere Richterkollegen wurden einfach ausgetauscht. Während Befürworter des Projekts, wie zum Beispiel Barbara Kolm, Präsidentin des Friedrich August v. Hayek Instituts (und Beraterin der honduranischen Regierung bei der Schaffung der Sonderzonen) finden, dass eine derartige Zone "es erlaube, den
Unternehmen, unter idealen Wettbewerbsbedingungen und unter idealen Marktbedingungen zu arbeiten", sehen die Kritiker eher einen neoliberalen Albtraum auf sich zukommen.

Hayek wäre zufrieden

So bemängelte Fernando García, der frühere Wirtschaftsminister des Landes, der im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung eine ausführliche Studie zu den ZEDE geschrieben hat, gegenüber dem Deutschlandfunk unter anderem das Demokratiedefizit in den geplanten Zonen:

"Es war nie die Rede von internen Wahlen, vielmehr soll es einen technischen Sekretär geben, der die Zone regiert. Es soll wohl auch einen Ort geben, an dem die Bewohner sich versammeln und protestieren können, wenn sie das denn wollen. Aber wer diese Bewohner überhaupt sind, die dort bleiben können, ist völlig unklar. Warum? Weil in der ersten Version der Sonderwirtschaftszonen von Paul Romer immer die Rede von unbewohnten Regionen war. Jetzt aber geht es auch um bewohnte Gebiete."

Das lateinamerikanische Nachrichtenportal Amerika21 schrieb schon 2016 unter dem Titel "Honduras als Experimentierfeld neoliberaler Utopien":

"Bislang hat der Staat zugunsten des Wettbewerbs Zuständigkeitsbereiche abgetreten, nun aber soll die politische Steuerung der Gesellschaft selbst dem Wettbewerb überlassen werden. Gleich einer Firmengründung wird eine Start-up-Gesellschaft konzipiert, bei der demokratische Mitbestimmung nicht vorgesehen ist.

Friedrich A. von Hayek wäre zufrieden. Sein Traum einer 'liberalen Utopie', von einem 'wahrhaft liberalen Radikalismus', den er in den 1960ern ersann, ist in Erfüllung gegangen. Und längst träumen andere weiter. Mancher Journalist will mit den Modellstädten ebenso die Strukturprobleme in Mecklenburg-Vorpommern lösen wie die syrische Flüchtlingskrise. In Träumen scheinen eben selbst die absurdesten und abenteuerlichsten Vorhaben möglich. Gefährlich ist es, wenn solche Träume in die Realität umgesetzt werden sollen."

Am 16. März gab die TUM International GmbH, eine Tochtergesellschaft der Technischen Universität München, die zuvor am Projekt "Prosperous Roatán" beteiligt war, bekannt, dass sie sich aufgrund von Hinweisen auf Menschenrechtsverletzungen aus dem Verfahren zurückzieht. Carlos Sierra, Projektkoordinator des Zentrums für Forschung und Förderung der Menschenrechte (CIPRODEH) in Honduras, befürchtet die Bildung einer Art Parallelstaat: "Wir sehen einen Verlust der Souveränität, der zu einem Mangel an Schutz der Bevölkerung gegen Honduras führt Verletzungen der Menschen- und Umweltrechte."

Wie die Deutsche Welle berichtete, kritisiert auch die Gemeindevorsteherin Vanessa Cárdenas die mangelnde Transparenz, mit der die Umsetzung des Projekts Próspera durchgeführt worden sein soll. Gegenüber der Deutschen Welle sagte sie, dass "immer von einem Tourismusprojekt die Rede war, dass es Beschäftigungsmöglichkeiten geben würde, aber niemals von uns." Vor allem mangele es an Klarheit darüber, wie dieses Gebiet in der Crawfish-Rock-Community definiert werden könne. Laut seiner Bevölkerung gehöre das Territorium zur afro-indigenen ethnischen Gruppe der Garífuna, die gemäß dem Übereinkommen 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) über indigene und Stammesvölker geschützt werden müsste. Die zuständigen Behörden lehnten es jedoch ab, die Gemeinden in Roatán als durch das Abkommen geschütztes Volk anzuerkennen.

Cárdenas sieht auch keinen wirtschaftlichen Nutzen für die heimische Bevölkerung. Man habe in den Gesprächen vor der Gründung des ZEDE versprochen, die Gemeinde zu beschäftigen, "aber als sie mit dem Bau in Roatán Próspera begannen, sagten sie uns, dass wir nicht für die Berufe geeignet sind, die sie brauchen", so Cárdenas.

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