Analyse zur Wahl in Venezuela: Harter Kern der chavistischen Wähler ermöglichte den Sieg
von Maria Müller
Der harte Kern der chavistischen Wähler
Laut der obersten Wahlbehörde hat die Regierungskoalition Gran Polo Patriótico (GPP) mit der Partei PSUV des Präsidenten Nicolás Maduro mit 67,6 Prozent einen klaren Vorsprung (nach Auszählen von 82,3 Prozent der Stimmen). Das Ergebnis entspricht der Tendenz der vergangenen Wahlen, wonach in erster Linie der "harte Kern" der Chávez-Anhänger von rund 6,5 Millionen sich immer wieder an den Wahlen beteiligt. Diesmal gab es allerdings starke Verluste für die Regierungskoalition.
Man fragt sich, wieso das @AuswaertigesAmt sich nicht auch daran stört, dass bei den zeitgleich abgehaltenen Parlamentswahlen im #EU-Land #Rumänien, die Wahlbeteiligung -ganz ohne Benzinmangel, Boykottaufrufe & Sanktionen - ebenfalls bei nur 31% lag. #Doppelstandard as usual ...
— Florian Warweg (@FWarweg) December 7, 2020
Ein Teil ihrer früheren Anhänger wählte das Linksbündnis Alternativa Popular Revolucionaria (APR) oder die neue Mitte aus moderaten Oppositionsparteien wie das gemäßigte Oppositionsbündnis "Fortschrittliche Allianz" (AP) mit ihren ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Henri Falcón und Javier Bertucci. Andere Stammwähler blieben fern. In mehreren Umfragen zwischen 2018 und 2020 wurde deutlich, dass über 50 Prozent der venezolanischen Bevölkerung sich mit keiner der vorhandenen Parteien identifiziert und nicht wählt.
Der Aufruf der radikalen Opposition, sich nicht an den Wahlen zu beteiligen, fand in einigen Gegenden im Landesinnern und in manchen Stadtvierteln der Hauptstadt Caracas ein Echo. In den sozialen Netzen kursierten Fotos von weitgehend leeren Wahllokalen.
Prozentuale Ergebnisse
Der GPP erhält über dreieinhalb Millionen und damit 67,6 Prozent der Stimmen. Das gemäßigte Oppositionsbündnis "Avanzada Progresista" mit ihren ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Henri Falcón und Javier Bertucci sowie weitere oppositionelle Bündnisse, darunter eine Abspaltung der "Demokratischen Aktion" (AD), "Lösungen für Venezuela" sowie "Cambiemos", kamen gemeinsam auf 22,14 Prozent und damit auf über eine Million Wähler. Die APR, eine Koalition aus mehreren Linksparteien mit der Kommunistischen Partei Venezuelas (PCV), erzielte 2,73 Prozent. Weitere Parteien und Listen kamen zusammen auf 6,79 Prozent.
#Mussmanwissen: Weil #Maduro verfassungsgemäß Parlamentswahlen mit 107 (!) Parteien (darunter d. christdemokratische Opposition) durchführen lässt, ist er laut dem außenpolitischen Sprecher @cducsubt ein Diktator. #CDU erkennt dafür #Guaido als "leader" 🇻🇪an. Ein Typ ohne Mandat. https://t.co/7TkY6nkqOA
— Florian Warweg (@FWarweg) December 6, 2020
Neues Zwei-Stimmen-System
Gemäß dem neuen Wahlrecht konnten 52 Prozent der Kandidaten durch einen Listenplatz ihrer Partei und 48 Prozent mit einem Direktmandat ins Parlament kommen. Letzteres ermöglichte vor allem den Vertretern kleinerer Regionalparteien und unabhängigen Kandidaten den Einzug in die Abgeordnetenkammer. Insgesamt hatten sich 107 Parteien für die Wahl eingeschrieben, davon 98 der Opposition, 30 mit landesweiter Präsenz, 53 von regionaler Bedeutung, sechs indigene Organisationen von nationaler Reichweite und 18 mit regionaler Bedeutung, das sind 90 Prozent der politischen Organisationen. Insgesamt bewarben sich 14.400 Kandidaten für die Parlamentssitze.
Russische und internationale Wahlbeobachter
Laut dem Nationalen Wahlrat (CNE) kontrollierten insgesamt 1.500 Beobachter den Wahlprozess. Außerdem waren 300 Vertreter, meist Parlamentarier, aus 34 Ländern aller Kontinente in Venezuela anwesend, darunter aus Togo und Südafrika, Kolumbien, Argentinien, Chile, Guatemala, Panama, Peru, Puerto Rico, Spanien, Ecuador, der Türkei und dem Iran.
Russlands Außenminister Sergei Lawrow kündigte am 1. Dezember ein russisches Kontingent von acht prominenten Politikern aus der Staatsduma an. Sie erreichten am 5. Dezember Caracas. Der Präsident des Ausschusses für internationale Politik des russischen Senats, Konstantin Kosatschow, begleitete die Gruppe.
Lawrow kommentierte das Geschehen in Venezuela:
"Ich hoffe, dass die ausländischen Beobachter in Venezuela sich an den objektiven Ergebnissen der Wahlen orientieren und nicht versuchen werden, sie gemäß ihrer geopolitischen Interessen zu bewerten."
Einige ehemalige Präsidenten Südamerikas waren ebenfalls anwesend, etwa Rafael Correa (Ecuador), Fernando Lugo (Paraguay) und Evo Morales (Bolivien). Auch der frühere spanische Präsident José Luis Zapatero sowie der ehemalige ecuadorianische Außenminister Ricardo Patiño waren vor Ort. Des Weiteren begleiteten Mitglieder der Organisation "Rat unabhängiger Wahlexperten Lateinamerikas" (CEELA) und das "Observatorium für Lateinamerika" diesen schicksalhaften Urnengang. Abgeordnete des EU-Parlaments wie der Spanier José Manuel Pineda konnten nur eigenverantwortlich teilnehmen.
Die Europäische Union hatte die Einladung der Regierung Maduro vom August dieses Jahres, an der Wahlbeobachtung teilzunehmen, zunächst mit der Begründung abgelehnt, die Vorbereitungszeit für die Aufstellung einer Mission sei zu kurz. Im Oktober erklärte dann der Europäische Auswärtige Dienst, dass die Bedingungen für demokratische Wahlen nicht gegeben seien.
Präsident Maduro wollte im Falle einer Niederlage zurücktreten
Am 3. Dezember kündigte Präsident Maduro auf einer Wahlversammlung drastische Konsequenzen für den Fall seiner politischen Niederlage bei den Parlamentswahlen an. "Wenn wir gewinnen, kämpfen wir weiter. Aber ich muss auch sagen, das sage ich dem Volk: Ich lege mein Schicksal in seine Hände. Wenn die Opposition gewinnt, lege ich die Präsidentschaft nieder. Ich bleibe dann nicht mehr hier." Und weiter: "Wir mussten fünf schreckliche Jahre des Horrors, des Komplotts, der Verschwörung und der Niederlage erleiden, damit unser Volk sich darüber bewusst wird, dass es ein Irrtum war, die Opposition zu wählen."
Am Montagmorgen kommentierte er über Twitter: "Eine neue Etappe der Rekonstruktion des Parlaments und des Wiederaufbaus unseres Landes hat begonnen. Ich bin stolz darauf, Venezolaner zu sein!"
Reaktion der USA, der EU und lateinamerikanischer Staaten
Wie zu erwarten, da bereits im Voraus angekündigt, erklärten zahlreiche westliche Staaten, die Wahl und ihr Ergebnis nicht anzuerkennen. In kurzen schematischen Formulierungen begründen sie dies mit "mangelnden demokratischen Standards", ohne konkrete Einzelheiten zu nennen.
Vor allem bei einer Reihe von lateinamerikanischen Ländern, in denen horrende Verletzungen solcher Standards zu verzeichnen sind, wirkt das unglaubwürdig. Als jüngstes Beispiel sei nur Brasilien genannt, das im Vorfeld der Kommunalwahlen Attentate und Morde an 82 Kandidaten verzeichnete, was selbst das oberste Wahlgericht Brasiliens dazu veranlasste, die demokratische Qualität der Wahlen zu hinterfragen. Brasiliens Staatsanwaltschaft untersucht die Bolsonaro-Wahl von 2019 erneut wegen Wahlbetrugs. Auch die jüngsten Wahlen in den Vereinigten Staaten scheinen zumindest Mängel aufzuweisen, denn der Sieger steht immer noch nicht eindeutig fest.
Konflikte innerhalb der Opposition über die Wahlbeteiligung
Bereits ein halbes Jahr vor den verfassungsgemäß erforderlichen Parlamentswahlen im Dezember 2020 verkündeten die USA und die EU, die Wahlen nicht anzuerkennen, und forderten, sie zu verschieben. Ihre Drohungen zeigten Wirkung, wie sich heute zeigt. Sie ließen jede Stimmabgabe sinnlos erscheinen, denn die schweren Sanktionen würden fortgesetzt, egal, wen man auch wählte. Selbst eine Rückgabe der beschlagnahmten Gold-Milliarden ist demnach für die Venezolaner nicht über die Urnen zu erreichen.
Die westliche Kritik der mangelnden demokratischen Qualität der Wahlen in Venezuela muss an die Kritiker zurückgegeben werden: Wahlen können niemals frei sein, wenn sie unter dem Druck von Wirtschaftsblockaden, Putschversuchen oder drohenden Militärinterventionen stehen.
Ein unregierbares Venezuela
Venezuela soll zum "Failed State" gemacht werden, zum unregierbaren Land mit einer entmündigten Bevölkerung ohne Hoffnung auf reale Alternativen. Selbst die zerstrittene radikale Opposition wurde abgenutzt und zum Bauernopfer dieser Strategie.
Ihr bisheriger Anführer Juan Guaidó rief zum Boykott der Parlamentswahlen auf. Wahlen ja oder nein – das alte Dilemma der Opposition führte erneut zu internen Spaltungen und Parteiausschlüssen. Der oberste Gerichtshof entschied nach Klagen von betroffenen Parteifraktionen zugunsten der Wahlbefürworter, rehabilitierte sie und übergab ihnen den Parteienvorsitz.
Nach Auffassung des Gerichts besteht die Essenz politischer Parteien darin, die Demokratie zu verkörpern und sich demokratischen Wahlen zu stellen, anstatt zu deren Boykott aufzurufen. Ein europäisches Gericht hätte wohl analog entschieden.
Selbst die traditionellen Oppositionsführer Leopoldo López und Henrique Capriles kritisierten zeitweise die politisch sterile Blockadehaltung und gerieten damit in Konflikt mit den eigenen Organisationen. Bei Versammlungen ihrer Parteibasis fand die Forderung nach Beteiligung ein starkes Echo, der Ruf nach politischen Vorschlägen, um die existenziellen Probleme der Bevölkerung zu lösen, wird lauter.
Die Parteiführer kehrten jedoch kurz vor dem Wahltermin wieder zu der Verweigerungshaltung zurück. Direkte Drohungen aus Washington bis hin zu Sanktionen gegen "Dissidenten" der Opposition, die sich in der politischen Mitte gruppieren wollen, haben offenbar Wirkung gezeigt.
Volksbefragung der Opposition
Vor den Wahlen warb der Immer-noch-"Interimspräsident" Guaidó für eine Volksabstimmung als ergänzende Aktion zum Boykott. Im Zentrum seiner Initiative steht die Bitte an die "internationale Gemeinschaft", die Wahlen nicht anzuerkennen.
Außerdem fordert er eine "ausländische Assistenz und Kooperation für die Rettung der Demokratie". Zusammen mit der Rücktrittsforderung an Maduro enthält das Ganze eine bedenkliche Perspektive. Denn selbst wenn Maduro sich zurückziehen würde, bräuchte die Opposition die Hilfe der atlantischen Mächte, um das Land regieren zu können.
Die Volksabstimmung wird nach den Wahlen vom 7. bis 12. Dezember durchgeführt werden. Laut Umfragen soll die Popularität des Vorschlags nur gering sein. Ohne technische Infrastruktur ist eine Transparenz der Stimmenauszählung kaum möglich.
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