Lateinamerika

Auswärtiges Amt und die Anerkennung von Juan Guaidó: Gefangen in der völkerrechtlichen Sackgasse

Am 6. Dezember stehen Parlamentswahlen in Venezuela an. Der selbst ernannte "Interimspräsident" Juan Guaidó boykottiert die Wahlen. Damit verliert er auch seinen einzigen von der Verfassung legitimierten Posten, den als Abgeordneter. Wird Deutschland ihn trotzdem weiter anerkennen?

Die Bundesrepublik Deutschland und namentlich Außenminister Heiko Maas haben sich mit der anhaltenden Anerkennung des selbst ernannten "Interimspräsidenten" Juan Guaidó in eine völkerrechtlich unhaltbare Position manövriert. Mit den Parlamentswahlen am 6. Dezember, die Guaidó – im Gegensatz zur gemäßigten und dialogbereiten Opposition – boykottiert, verschärfen sich nochmals die völkerrechtlichen Probleme hinsichtlich des Agierens der Bundesregierung.

Die Anerkennung von Guaidó stand von Anfang an auf völkerrechtlich und verfassungsrechtlich sehr wackeligen Beinen.

In der venezolanischen Verfassung ist die Frage der Interimspräsidentschaft sehr klar und unmissverständlich geregelt. Dort heißt es in Artikel 233, auf den sich auch das Auswärtige Amt regelmäßig bezieht, um just damit die Legitimität von Guaidó als "Interimspräsident" zu beteuern, völlig eindeutig, dass "als zwingende Hinderungsgründe bezüglich der Amtsausübung des Präsidenten oder der Präsidentin der Republik" ausschließlich die folgenden Punkte gelten:

  1. Sein oder ihr Tod;
  2. sein oder ihr Rücktritt;
  3. seine oder ihre durch Urteil des Obersten Gerichtshofes verfügte Absetzung;
  4. seine oder ihre durch Attest einer vom Obersten Gerichtshof eingesetzten und von der Nationalversammlung bestätigten medizinischen Kommission bescheinigte dauernde körperliche oder geistige Handlungsunfähigkeit;
  5. die Nichtwahrnehmung des Amtes, die von der Nationalversammlung als solche festgestellt wird;
  6. sowie die Amtsenthebung durch Volksabstimmung.

Nichts von diesen sechs Punkten trifft auf den amtierenden Präsidenten Nicolás Maduro zu. Und dann kommt der entscheidende Teil im Artikel 233, den das Auswärtige Amt bis heute – wohl wissentlich – ignoriert: 

Bis der neue Präsident oder die neue Präsidentin gewählt ist und das Amt antritt, nimmt der Vizepräsident oder die Vizepräsidentin die Präsidentschaft der Republik wahr. 

Die damalige und auch nach wie vor amtierende Vizepräsidentin Venezuelas ist Teil der Maduro-Regierung und heißt Delcy Rodríguez, nicht Juan Guaidó. Zudem begrenzt die venezolanische Verfassung eine "Interimspräsidentschaft" unmissverständlich auf 90 Tage und auf einen einzigen Zweck: die Organisation von Neuwahlen. Guaidó rief sich am 23. Januar 2019 zum Interimspräsidenten aus. Nicht nur, dass er die verfassungsrechtlich begrenzte Amtszeit bis zum heutigen Tage um sage und schreibe 579 Tage übertreten hat, nein, er hat auch keinerlei Anstrengung unternommen, Wahlen zu organisieren. Im Gegenteil, er ruft explizit zum Boykott derselbigen auf. 

Davon abgesehen, verfügt Guaidó nach geltender venezolanischer Verfassung auch gar nicht mehr über das Amt als Interimspräsident. Seine sogenannte "Wiederwahl" am 5. Januar 2020 erfolgte im Widerspruch zu allen von der Verfassung festgelegten Regeln. Guaidó ließ sich nicht im Parlament, sondern im Sitzungssaal einer oppositionsnahen Zeitung wählen, ohne nötiges Quorum. Zudem befanden sich über 30 Abgeordnete zu diesem Zeitpunkt außerhalb des Landes und stimmten via Skype ab, ein Abstimmungsmodus, der in keinem Land der Welt legal ist. 

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Auch völkerrechtlich gibt es starke Zweifel am Agieren der Bundesrepublik. So kommen unter anderem zwei völkerrechtlichen Fachgutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages zu dem Schluss:

Mit dem Verweis auf Art. 233 der venezolanischen Verfassung positioniert sich Deutschland gleichzeitig in einer strittigen Frage des venezolanischen Verfassungsrechts. Dies erscheint unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes der 'Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates' völkerrechtlich ebenso fragwürdig wie die (vorzeitige) Anerkennung eines Oppositionspolitikers als Interimspräsidenten, der sich im Machtgefüge eines Staates noch nicht effektiv durchgesetzt hat.

Völlig unhaltbar wird die Haltung der Bundesregierung aber, wenn sie nach der Wahl am 6. Dezember beschließen sollte, weiterhin an der Anerkennung von Guaidó festzuhalten. Da der selbst ernannte Interimspräsident nicht zu dieser Wahl antritt, wird er dann auch seinen einzig legitimen Posten, den eines Abgeordneten der venezolanischen Nationalversammlung verlieren.

Wird das Auswärtige Amt tatsächlich einen Präsidenten anerkennen, der dann wirklich völlig zweifelsfrei keinerlei Posten mehr innehaben wird, der ihn für das Amt eines "Interimspräsidenten" legitimieren würde. Diese Frage stellte RT-Redakteur Florian Warweg der Sprecherin des Auswärtigen Amtes auf der letzten Bundespressekonferenz am 20. November. Ihre lapidare Antwort: 

Unsere Haltung zu Venezuela haben wir an dieser Stelle in der Bundespressekonferenz wiederholt zum Ausdruck gebracht. Daran hat sich nichts geändert. Wie wir uns nach den Parlamentswahlen in Venezuela positionieren, werden wir entscheiden, wenn es so weit ist, dem wollen wir nicht vorgreifen.

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