Afrika

Eine Analyse: Präsidentschaftswahl in Libyen steht doch auf der Kippe

Wie schon erwartet, wurde die geplante Präsidentschaftswahl in Libyen auf Eis gelegt, obwohl eine offizielle Ankündigung der Regierung zur Absage der Wahl bislang ausbleibt. Ebenso bleibt diesbezüglich unklar, warum die UNO und der Westen zuvor auf die Durchführung der Wahlen gedrängt hatten, obwohl Libyen bereits polarisiert ist.
Eine Analyse: Präsidentschaftswahl in Libyen steht doch auf der KippeQuelle: AFP © Mahmud Turkia

Eine Analyse von Seyed Alireza Mousavi

In Libyen soll eigentlich am 24. Dezember ein neuer Präsident gewählt werden. Seit Wochen sind bis zuletzt aber die anhaltenden Streitigkeiten über rechtliche Grundlagen der Wahlen sowie über einzelne Kandidaten immer weiter eskaliert. Es wird daher voraussichtlich an diesem Tag keine Wahlen geben, da die Wahlkommission noch immer keine abschließende Liste der zugelassenen Kandidaten veröffentlicht habe, um überhaupt die zugelassenen Kandidaten ihre Wahlkämpfen beginnen zu lassen. Die Funktionäre der Wahlkommission hatten bereits erklärt, das Vorhaben gehöre der Vergangenheit an. Eine offizielle Ankündigung der Regierung zur Absage des bevorstehenden Wahltermins bleibt aber bislang aus. Sie schwieg auch am Wochenende weiter. Der Leiter der Nationalen Wahlkommission (HNEC), Imed al-Sajeh ordnete am Dienstag die Auflösung der Wahlkomitees im ganzen Land an. Mit diesem Schritt wurde faktisch die Präsidentschaftswahl in dieser Woche auf Eis gelegt. 

Eine Gruppe zugelassener Kandidaten forderte am Montag die Wahlkommission auf, "die Gründe offenzulegen, warum es am festgelegten Datum keine Wahlen geben wird", und forderte auch von der Übergangsregierung, "eine endgültige Liste der Kandidaten zu veröffentlichen". Insgesamt hatten knapp 100 Bewerber Unterlagen für eine Kandidatur eingereicht.

Diese Wahlen wurden bereits seit Längerem angedacht – als ein "Schlüsselmoment" in dem von der UNO geförderten Friedensprozess zur Beendigung des Konflikts in Libyen, der seit der von der NATO aufgeputschten Rebellion gegen Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 verschiedene regionale Mächte angezogen und dauerhaft die Stabilität im Mittelmeerraum untergraben hatte.

Anas El Gomati, Direktor des Sadeq Institute, einer in Tripolis ansässigen Denkfabrik, die sich auf libysche Angelegenheiten konzentriert, erklärte, dass die juristische und politische Kontroverse um die Wählbarkeit der Kandidaten der Grund gewesen sei, warum auch internationale Organisationen wie die UNO nicht mehr auf den für den 24. Dezember festgelegten Wahltermin drängen. Die Übergangsregierung sei nicht in der Lage gewesen, Libyens Institutionen – insbesondere das Militär – zu vereinen, Milizen abzubauen oder den Abzug ausländischer Söldner und Kämpfer zu erzwingen, sagte ein UNO-Beamter. Tarek Mitri, ein ehemaliger UN-Gesandter für Libyen, warnte davor, dass "ohne vereinte Streitkräfte die Wahlen eine Bedrohung für den Frieden darstellen" würden. Es bleibt dennoch unklar, warum die UNO und der Westen zuvor auf die Durchführung der Wahlen gedrängt hatten, obwohl Libyen bereits so stark polarisiert ist.

General Chalifa Haftar ist seit Mai 2014 militärischer Befehlshaber der Libyschen Nationalarmee (LNA) im Osten des Landes. Im April 2019 begann Haftar eine letztlich vergebliche Offensive, um die Hauptstadt Tripolis im Westteil des Landes zu erobern.

Die Kandidaturen von Saif al-Islam Gaddafi, einem Sohn des ehemaligen Revolutionsführers Muammar al-Gaddafi, sowie von dem faktisch im Nordosten Libyens herrschenden General Haftar hatten für Aufsehen gesorgt, da teils beiden "Kriegsverbrechen" vorgeworfen werden.

Die Wahlkommission hatte Gaddafis Kandidatur zunächst vor etwa zwei Woche abgelehnt. Der Grund dafür war eine Verurteilung wegen "Kriegsverbrechen aus dem Jahr 2015". Ein Berufungsgericht gab jedoch dem Einspruch von Gaddafi gegen seinen Ausschluss von der Präsidentschaftswahl in Libyen statt. Damit kehrte der Sohn des ermordeten früheren libyschen Staatsoberhaupts in das Rennen um das Amt des Staatspräsidenten Libyens zurück.

Da verschiedene bewaffnete Gruppen faktisch das gesamte Territorium von Libyen kontrollieren, war die geplante Durchführung der Wahlen im Dezember ohnehin bereits eine ziemlich unrealistische Option. Berichten zufolge zogen letzte Woche in der Nacht zum Donnerstag bewaffnete Gruppen in die Nähe wichtiger Regierungsgebäude der Hauptstadt Tripolis. In der südlichen Stadt Sabha kam es zu heftigen Gefechten zwischen Kräften der Libyschen Nationalarmee (LNA) von General Haftar und Anhängern der bisherigen Übergangsregierung mit Sitz in Tripolis. 

Ein Grund für die derzeitige Blockade sind angeblich die Ambitionen von Abdul Hamid Dbeiba, Anfang des Jahres ernannt zum Ministerpräsident der Übergangsregierung, die eigentlich den Auftrag hatte, Wahlen zum vereinbarten Termin vorzubereiten. Dbeiba stand von Beginn an unter dem Verdacht, den Wahlprozess womöglich verzögern zu wollen, um seine eigene zukünftige Position im Land zu sichern. Insbesondere verkündete Dbeiba bereits, dass er selbst bei der Präsidentschaftswahl antreten will, obwohl sich die Kandidaten für die Übergangsregierung seinerzeit verpflichtet hatten, nicht zur Präsidentschaftswahl anzutreten. Unter UN-Vermittlung hatten die Konfliktparteien im März eine Übergangsregierung gewählt. Diese löste offiziell die Regierung mit Sitz in Tripolis sowie die Gegenregierung mit Sitz im Osten des Landes ab.

Dbeiba hat mächtige Rivalen, wobei seine "Widersacher" inzwischen eine "Anti-Dbeiba-Allianz" gebildet haben sollen. Der frühere Innenminister Fathi Bashaga aus Westlibyen, ebenso der ostlibysche Militärführer Haftar, zählen unter anderem dazu. Außerdem soll sich dieser Allianz auch Aguila Saleh, der Vorsitzende des Abgeordnetenrates, angeschlossen haben.

Die FAZ spekuliert unter Berufung der Beobachter, dass ein einfaches Kalkül hinter dem "Zweckbündnis" der Dbeiba-Rivalen stecke: "Einer aus ihrem Kreis wird die Wahl schon gewinnen – die anderen bekommen dann wichtige Posten."

Libyen ist in den letzten Jahren zum Schauplatz zahlreicher Stellvertreterkonflikte geworden, unter anderem unter Beteiligung von Ägypten, Russland, der Türkei und der Vereinigten Arabischen Emirate. Aber es ist schwer zu sagen, wie viel Einfluss diese Staaten auf die ungewissen Wahlen haben können. Muammar al-Gaddafi war 2011 durch eine NATO-Intervention gestürzt worden. Das Land versank danach im Chaos und Bürgerkrieg. Seither florieren auch Sklaven-, Drogen-, Waffen- und Menschenhandel in Libyen.

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