Afrika

Prozess 34 Jahre nach Staatsstreich: Wer ermordete Thomas Sankara?

Er gilt neben Persönlichkeiten wie etwa Patrice Lumumba als eine der Ikonen des Panafrikanismus und Antiimperialismus. Im Alter von 37 Jahren starb auch Thomas Sankara als Präsident Burkina Fasos einen gewaltsamen Tod. Nun soll ein aufsehenerregender Prozess die Todesumstände aufklären helfen.
Prozess 34 Jahre nach Staatsstreich: Wer ermordete Thomas Sankara?Quelle: AFP © Alexander Joe

von Kani Tuyala

Bis heute gilt er für viele Menschen weit über die Grenzen des westafrikanischen Landes Burkina Faso hinaus als eine Ikone des Panafrikanismus und des Kampfes gegen den Neokolonialismus. In vielen Ländern Afrikas wird er von der politisch bewussten Jugend als Inspirationsquelle verehrt. Die Rede ist von Thomas Isidore Noël Sankara. Am 4. August 1983 wurde er als 33-jähriger Offizier und sozialistischer Revolutionär nach einem von weiten Teilen der Bevölkerung mitgetragenen Staatsstreich zum fünften Präsidenten des formell seit 1960 von Frankreich unabhängigen Obervolta. Am ersten Jahrestag der Revolution gab Sankara dem Land einen neuen Namen: Burkina Faso (in etwa "das Land der Aufrechten" in den im Land am weitesten verbreiteten Sprachen Dyula und Mossi).

Kaum Präsident leitete Sankara weitreichende politische und wirtschaftliche Reformen ein, die dem Land die tatsächliche Souveränität sichern helfen sollten. Selbst als bescheiden und integer geltend, machte er sich schnell einen Namen als "Präsident der Armen". Auch aus symbolischen Gründen ließ er sich nicht in einer Staatskarosse chauffieren, sondern saß selbst am Steuer eines Renault 5. Die übrigen Staatsbediensteten wurden ebenfalls verpflichtet, auf den preiswerten Kleinwagen umzusteigen – das billigste damals vor Ort erhältliche Auto.

Zudem wurden die Gehälter aller öffentlichen Bediensteten, einschließlich seines eigenen, radikal gekürzt. Stattdessen wurde ein ehrgeiziges Straßen- und Eisenbahnbauprogramm angestoßen, um "die Nation zusammenzubringen". Burkina Faso erlebte einen Aufwind, der viele von tatsächlicher Unabhängigkeit und Würde träumen ließ. Den auch in Afrika durchaus üblichen Personenkult lehnte er mit dem Hinweis entschieden ab, dass es "sieben Millionen Thomas Sankaras" in Burkina Faso gäbe.

Innenpolitisch konzentrierte sich die "demokratische und volksnahe Revolution" Sankaras in erster Linie auf die grundlegenden Bereiche Nahrung, Gesundheit, Bildung und den Kampf gegen die Korruption. Ein besonderes Augenmerk galt der Sicherstellung der Ernährungssicherheit mit dem Ziel der landwirtschaftlichen Selbstversorgung, um das Land dadurch unabhängig von Importen zu machen. Sankara war 1983 überzeugt:

"Unser Land produziert genug, um uns alle zu ernähren. Leider sind wir aufgrund unzureichender Organisation gezwungen, um Nahrungsmittelhilfe zu betteln. Es ist diese Hilfe, die uns zu Bettlern macht."

Tatsächlich sorgte eine Landreform dafür, dass das arme Land sich schließlich selbst versorgen konnte. Durch die Umverteilung von Land verdoppelte sich zudem die Getreideproduktion innerhalb weniger Jahre, und auch die Baumwollproduktion legte massiv zu. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Landes verdoppelte sich innerhalb von zwei Jahren nach Sankaras Amtsantritt. Des Weiteren wurde eine landesweite und erfolgreiche Alphabetisierungskampagne initiiert, sodass die Alphabetisierungsrate von 13 Prozent im Jahr 1983 auf 73 im Jahr 1987 anstieg. Zur Förderung der öffentlichen Gesundheit ließ die Regierung 2,5 Millionen Kinder gegen Meningitis, Gelbfieber und Masern impfen. Von 1982 bis 1984 sank zudem die Säuglingssterblichkeitsrate von 208 pro 1.000 Geburten auf 145.

Doch ließ die Regierung in Ouagadougou im ersten Jahr der Präsidentschaft Sankaras auch mehr als zehn Millionen Bäume pflanzen, um der zunehmenden Wüstenbildung in der Sahelzone Einhalt zu gebieten.

Insbesondere auch die Förderung der Frauen lag dem als marxistisch-leninistisch beschriebenen Revolutionär am Herzen. Die weibliche Genitalverstümmelung, Zwangsehen und Polygamie wurden verboten. Parallel dazu berief Sankara Frauen in hohe Regierungsämter und ermutigte sie, Berufe zu ergreifen und die Schule zu besuchen. Die Frauenunion Burkina Fasos wurde gegründet.

Die radikalen innenpolitischen Reformen dienten dem übergeordneten Ziel der Regierung Sankaras: dem Kampf gegen den Neokolonialismus und damit einhergehend die Überwindung des Imperialismus. Als ehemalige Kolonialmacht galt insbesondere Frankreich als Synonym für die imperialistische Ausbeutung im Namen der Zivilisation.

So verzichtete Sankaras Regierung auf jegliche Auslandshilfe, drängte auf einen Schuldenerlass. Vor der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) erklärte Sankara im Jahr 1987: 

"Verschuldung ist eine klug geführte Rückeroberung Afrikas. Es ist eine Rückeroberung, die jeden von uns zu einem finanziellen Sklaven macht."

Sankara legte die Ausbeutung der Bodenschätze in staatliche Hand und wandte sich gegen die Macht und den Einfluss des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank, die er als institutionalisierte Agenten des Neokolonialismus betrachtete. In seiner Rede vor den Vereinten Nationen teilte Sankara seine politischen und gesellschaftlichen Ideen mit der Weltöffentlichkeit und erklärte unter anderem:

"Die neue internationale Wirtschaftsordnung, für die wir kämpfen und weiterhin kämpfen werden, kann nur erreicht werden, wenn es uns gelingt, die alte Ordnung, die uns völlig ignoriert, zu beseitigen, wenn wir auf dem Platz bestehen, der uns in der politischen Organisation der Welt zusteht, wenn wir uns unserer Bedeutung in der Welt bewusst werden und das Recht erhalten, über die Mechanismen zur Regelung der Handels-, Wirtschafts- und Währungsangelegenheiten auf internationaler Ebene zu entscheiden."

Trotz der großen Fortschritte wuchs die Unzufriedenheit im Land, zum Teil aufgrund wirtschaftlicher Probleme und des Widerstands traditioneller Kreise gegen einige von Sankaras progressiven sozialpolitischen Maßnahmen. Nach wie vor und vor allem von weiten Teilen der armen Bevölkerung verehrt, sah sich Sankara mit einer zunehmenden Opposition verschiedener in- und ausländischer Interessengruppen gegenüber der von ihm angestrebten wirtschaftlichen, politischen und auch mentalen Transformation der Gesellschaft konfrontiert, die es auf allen Ebenen zu "dekolonisieren" gelte.

Dies führte zu einem Führungsstil, der als zunehmend autoritär beschrieben wird. Um die ausgerufene Revolution nicht zu gefährden, wurden schließlich Gewerkschaften verboten und die Presse an die Leine gelegt. Dies rief auch Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International auf den Plan. So hieß es in einem 1986 von der Organisation veröffentlichten Bericht etwa, dass politische Gegner mutmaßlich ohne Gerichtsverfahren inhaftiert und schwer gefoltert wurden.

Am 15. Oktober 1987 wurden Sankara und zwölf seiner politischen Weggefährten im "Nationalen Revolutionsrat" bei einem Staatsstreich – mutmaßlich angeführt von seinem früheren Freund und Weggefährten Blaise Compaoré – von Soldaten ermordet. Sankaras Leiche wurde zerstückelt und in einem nicht gekennzeichneten Grab verscharrt, während seine Witwe Mariam und zwei Kinder aus dem Land flohen. Eine Woche vor seiner Ermordung bezog sich Sankara in einer leidenschaftlichen Rede auf Che Guevara, neben Jerry Rawlings, dem Präsidenten Ghanas, eine der wichtigsten politischen Inspirationsquelle Sankaras:

"Che Guevara wurde durch Kugeln, imperialistische Kugeln, unter bolivianischem Himmel niedergestreckt. Und wir sagen, dass Che Guevara für uns nicht tot ist."

In einem Akt der vermeintlichen "Richtigstellung" machte sich Compaoré als neuer Präsident umgehend daran, die sozial-politischen Reformen Sankaras wieder rückgängig zu machen, darunter die Bodenreform und die verstaatlichte Kontrolle der endlichen Ressourcen. Burkina Faso trat dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank bei, um "dringend benötigte" Mittel für den Wiederaufbau der "zerrütteten" Wirtschaft zu beschaffen. Doch auch etwa das von Sankara eröffnete "Institut der Schwarzen Völker" wurde wieder geschlossen (und 2021 wiedereröffnet).

Als enger "Partner" des "treuesten Verbündeten" Frankreich klammerte sich Compaoré 27 Jahre lang an die Macht, bis er schließlich 2014 durch Proteste der Bevölkerung gestürzt wurde. Es handelte sich um einen Volksaufstand, der auch im Geiste Sankaras stattfand. Dieser hatte 1986 u.a. den französischen Präsidenten François Mitterrand in Sachen Menschenrechte bloßgestellt, nachdem dieser Pieter Botha, den Präsidenten des südafrikanischen Apartheidregimes, in Paris empfangen hatte.

Seit der Ermordung Sankaras wird darüber gemutmaßt, dass im Hintergrund die französische Regierung den Staatsstreich orchestriert habe. Dessen ist sich unter anderem die Witwe Sankaras sicher. 2015 exhumierten die Behörden die mutmaßlichen Überreste Sankaras. Laut seiner Witwe Mariam Sankara habe die Autopsie ergeben, dass sein Körper "von mehr als einem Dutzend Kugeln durchlöchert" gewesen sei. Bereits 1997 reichte sie Klage ein, damit die Ermordung ihres Mannes aufgeklärt werde.

Trotz juristischer Bemühungen weigerte sich die französische Regierung über Jahre, entsprechende militärische Dokumente über eine mögliche Beteiligung auch Frankreichs bei der Ermordung freizugeben. Schließlich willigte Paris jedoch ein, die entsprechenden Archive freizugeben und in drei Schritten an Burkina Faso zu übermitteln. Der letzte Teil soll im April 2021 zugestellt worden sein.

Zudem erließ Burkina Faso im Jahr 2016 Haftbefehl gegen den bereits gestürzten Machthaber Compaoré – der sich jedoch in die Elfenbeinküste absetzte und mittlerweile deren Staatsbürgerschaft besitzt. Compaoré hatte jegliche Bemühungen, die Hintergründe der Ermordung Sankaras aufzuklären, blockiert.

Fast auf den Tag genau 34 Jahre nachdem Sankara von Kugeln durchsiebt wurde, begann am 11. Oktober in Ouagadougou nun der seit Jahrzehnten und mit entsprechender Spannung erwartete Prozess, um Licht ins Dunkel zu bringen. Die Witwe Sankaras brachte angesichts des begonnenen Prozesses ihre Erwartungshaltung zum Ausdruck:

"Darauf habe ich schon lange gewartet. Ich will die Wahrheit wissen und wer was getan hat."

Neben dem Hauptangeklagten Compaoré zählen dessen ehemaliger Stabschef und rechte Hand, General Gilbert Diendéré, und 14 weitere Personen zu den Angeklagten. Zu diesen zählt des Weiteren Diébré Jean Christophe, der Arzt, der die Sterbeurkunde Sankaras unterzeichnete. In dieser hieß es, dass der ehemalige Präsident eines natürlichen Todes gestorben sei. Christophe wird die Fälschung eines öffentlichen Dokuments vorgeworfen. Compaoré ließ zwischenzeitlich über seine Anwälte mitteilen, dass er den "politischen Prozess" ablehne und daher boykottiere. Während ihm das Militärgericht der "Komplizenschaft bei der Ermordung" Sankaras und des "Angriffs auf die Staatssicherheit" beschuldigt, bestreitet Compaoré jegliche Verwicklung in den Tod des charismatischen Präsidenten.

Ebenfalls in Abwesenheit angeklagt ist Hyacinthe Kafando, der ehemalige Sicherheitschef Compaorés, gegen den ein internationaler Haftbefehl erlassen wurde. Ihm wird vorgeworfen, die Gruppe angeführt zu haben, die die Ermordung von Sankara und zwölf weiteren Personen durchgeführt hat. Nach Ansicht des Anwalts Benewende Stanislas Sankara, der die Angehörigen des getöteten ehemaligen Präsidenten vertritt, handele es sich bei dem nun laufenden Prozess um "einen Sieg und einen Schritt in die richtige Richtung".

"Es ist eine Angelegenheit des burkinischen Volkes – und, wie ich sagen muss, aller Afrikaner. Es geht also nicht nur um die Familie von Thomas Sankara."

Vor wenigen Tagen wurde der Prozess mit der Vorlage einer Liste von 60 Zeugen fortgesetzt. Unter den Zeugen befinden sich der ehemalige französische Außenminister Roland Dumas, der ehemalige Kulturminister im Elysée Jack Lang sowie Jean-Christophe Mitterrand, der Sohn des ehemaligen französischen Präsidenten François Mitterrand. Der jüngere Mitterrand war zum Zeitpunkt der Ereignisse als Berater seines Vaters für afrikanische Angelegenheiten tätig. In einem Interview beschrieb Mitterand junior 2017 die Beziehungen Frankreichs zu Burkina Faso und fand auch Worte über Sankara:

"Die Beziehungen zwischen Frankreich und Burkina waren gut, wir hatten keine besonderen Probleme. Natürlich ging er uns manchmal mit bestimmten Dingen auf die Nerven – die oft nicht der Wahrheit entsprachen –, aber das tat dem Dialog keinen Abbruch. Wenn man einen intelligenten Mann wie ihn vor sich hat, ist das faszinierend."

Frankreich sei "zu keinem Zeitpunkt" und in keiner Weise in die Geschehnisse rund um die Ermordung Sankaras verwickelt gewesen, versicherte Jean-Christophe Mitterrand des Weiteren.

Vor wenigen Tagen räumte ein Beschuldigter vor Gericht in Ougadougou den Vorwurf der "Mittäterschaft bei der Gefährdung der Staatssicherheit" ein. Ja, er habe dabei geholfen, das Killerkommando zur Ermordung Sankaras zu transportieren, erklärte demzufolge der ehemalige Gefreite Yamba Elise Ilboudo. Er habe jedoch keine Kenntnisse über die näheren Hintergründe gehabt und sei sich dem eigentlichen Auftrag nicht bewusst gewesen. So habe er auch weder an Treffen zur Planung des Attentats noch am Mordanschlag selbst teilgenommen. Es sei erwähnter Hyacinthe Kafando gewesen, der ihn angewiesen habe, die Einheit zur Kabinettssitzung zu chauffieren, an der Sankara zum Zeitpunkt seiner Ermordung teilnahm. Am 15. Oktober 1987 sei er mit anderen Männern "im Haus von Blaise Compaoré" gewesen.

Die Vereinigung "Gerechtigkeit für Thomas Sankara, Gerechtigkeit für Afrika" brachte derweil ihre Befürchtung zum Ausdruck, dass der Prozess nicht zur Aufklärung der mutmaßlichen internationalen Beteiligung an den Geschehnissen im Jahr 1987 beitragen werde.

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