Afrika

Nach zehn Jahren Chaos in Libyen: Sohn Gaddafis fordert eine Rückkehr zur Vergangenheit

Zehn Jahre nach seiner Flucht meldete sich der zweitälteste Sohn des früheren libyschen Staatsoberhaupts Muammar al-Gaddafi zurück auf der politischen Bühne. Aufgrund der Verwurzelung des Landes in einer Vielzahl von Stammesgemeinschaften hatte er bereits 2011 vor Bürgerkrieg, Massenmigration und dem Aufstieg terroristischer Gruppen gewarnt.
Nach zehn Jahren Chaos in Libyen: Sohn Gaddafis fordert eine Rückkehr zur VergangenheitQuelle: AFP © Dario Lopez-Mills

Zehn Jahre nach seiner Flucht meldete sich der zweitälteste Sohn des getöteten früheren libyschen Staatsoberhaupts Muammar al-Gaddafi zurück auf der politischen Bühne. Saif al-Islam al-Gaddafi sprach am 30. Juli mit der New York Times über die Lage in dem Bürgerkriegsland und machte dabei auch Andeutungen, bei der im Dezember geplanten Präsidentschaftswahl womöglich selbst anzutreten. Bis zu dem aktuellen Interview, das laut der US-Zeitung in einer Villa in der libyschen Stadt Sintan geführt wurde, hatte es seit Juni 2014 kein öffentliches Lebenszeichen des Gaddafi-Sohnes gegeben.  

Gaddafi habe in letzter Zeit seine Abwesenheit vom öffentlichen Leben genutzt, um die politischen Strömungen im Nahen Osten zu beobachten und die politische Kraft seines Vaters neu zu organisieren, berichtet die New York Times. Der Sohn des libyschen Revolutionsführers glaube, dass seine Bewegung die verlorene Einheit des Landes wiederherstellen könne.

Die Politiker hätten der Bevölkerung nichts als Elend gebracht. "Sie haben das Land vergewaltigt – es ist auf den Knien", sagte Gaddafi der New York Times über diejenigen, die Libyen in den vergangenen zehn Jahren beherrscht hatten. Nun sei es "Zeit für eine Rückkehr zur Vergangenheit". "Es gibt kein Geld, keine Sicherheit. Hier gibt es kein Leben. Gehen Sie zur Tankstelle – es gibt keinen Diesel. Wir exportieren Öl und Gas nach Italien – wir beleuchten halb Italien und haben hier Stromausfälle. Es ist mehr als ein Misserfolg. Es ist ein Fiasko", erklärte Gaddafi. Zehn Jahre nach der "Euphorie ihrer Revolution" würden die meisten Libyer Gaddafis Einschätzung wohl zustimmen, schlussfolgert die New York Times.

Der US-Journalist fragte Gaddafi, ob er noch ein Gefangener sei. Der Sohn des getöteten Revolutionsführers entgegnete, er sei ein freier Mann und organisiere seine politische Rückkehr.

Die Rebellen, die ihn vor einem Jahrzehnt verhaftet hatten, seien von der Revolution enttäuscht worden, betonte Gaddafi. Die Milizionäre hätten schließlich erkannt, dass er ein mächtiger Verbündeter sein könnte. Gaddafi lächelte, als er seine Verwandlung vom einem Gefangenen zum Prinzen beschrieb. "Können Sie sich das vorstellen?", sagte er. "Die Männer, die früher meine Wachen waren, sind nun meine Freunde."

Muammar al-Gaddafi war 2011 durch eine NATO-Intervention gestürzt worden. Das Land versank im Chaos und Bürgerkrieg. Sklaven-, Drogen-, Waffen- und der Menschenhandel florieren seither in Libyen. Im von Krisen heimgesuchten Land haben sich Mafiabanden, Milizen und Behörden zu illegalen Netzwerken zusammengeschlossen. Der Terrororganisation IS errichtete mittlerweile ein Mini-Kalifat an der libyschen Küste. Langsam hätten die Libyer begonnen, anders über Saif al-Islam zu denken, der die Fragmentierung Libyens in den frühen Tagen der Revolte von 2011 prophezeit hatte, kommentiert die New York Times.

Die Proteste und Unruhen in Libyen 2001 hatte Gaddafi junior als das Werk von Drogenabhängigen und Kriminellen gebrandmarkt. Er warf den Libyern im Ausland vor, die Ereignisse auszunutzen und Gewalt zu schüren. Damals warnte er davor, dass Libyen anders als Ägypten und Tunesien sei: "Aufgrund der Verwurzelung in einer Vielzahl von Stammesgemeinschaften könnte das Land leicht in Ministaaten und Emirate zerfallen." Der Sohn des Revolutionsführers hatte damals schon Bürgerkrieg, unkontrollierte Grenzübergänge, Massenmigration und Islamismus vorausgesagt.

Bis zum Ausbruch des libyschen Konflikts im Februar 2011 wurde Gaddafi junior im Westen weithin als die beste Hoffnung des Landes auf schrittweise Reformen angesehen, berichtet die New York Times. Im Zuge der Aufstände und westlichen Militärintervention war er auf der Flucht von Rebellen gefasst und in der westlibyschen Stadt Sintan in Haft gekommen. Dort verbrachte er nach eigener Aussage mehrere Jahre mit kaum Kontakt zur Außenwelt.

Die libysche Übergangsregierung ist seit März im Amt. Sie löste offiziell die Regierung mit Sitz in Tripolis sowie die Gegenregierung mit Sitz im Osten des Landes ab. General Chalifa Haftar ist seit Mai 2014 militärischer Befehlshaber der Libyschen Nationalarmee (LNA). Im März beauftragte das libysche Parlament Premierminister Abdul Hamid Dbeiba damit, eine Übergangsregierung bis zu den Wahlen im Dezember zu führen. Dabei bleibt unklar, wie Haftars Nationalarmee in die neue Regierung integriert werden soll. Hinter der Fassade der Einheit ist Libyen effektiv immer noch in zwei Teile geteilt. Viele Libyer befürchten, dass derzeitige relative Frieden nicht von Dauer sein wird. Die Wahlen werden diesen Riss wahrscheinlich auch nicht kitten. Sie könnten das Land sogar wieder in den Krieg führen.

Am 24. Dezember sollen die libyschen Präsidentschaftswahlen stattfinden. Die begrenzten Umfragedaten in Libyen deuten darauf hin, dass eine große Anzahl von Libyern – in einer Region bis zu 57 Prozent – "Vertrauen" in Gaddafi junior ausdrückt, berichtet die New York Times. "Saifs Anziehungskraft wurzelt in der Nostalgie nach der Diktatur seines Vaters, ein Gefühl, das in Libyen und in der gesamten Region immer häufiger vorkommt", kommentiert die Zeitung.

Vom Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) wird Saif al-Islam wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen gesucht. Ein Gericht in Tripolis verurteilte ihn zudem 2015 in Abwesenheit zum Tode. Er sei "zuversichtlich, dass diese juristischen Probleme wegverhandelt werden können", wenn eine Mehrheit der Libyer ihn "als ihren Anführer wollen", sagte Gaddafi der US-Zeitung.

Sobald Gaddafi wieder in der Öffentlichkeit auftaucht, beeilen sich regierungsnahe stehende Medien in Ägypten, ihn zu verteidigen und ihre Unterstützung für ihn zu verkünden. In seiner TV-Sendung Bel War'a wel Alam, die am 31. Juli ausgestrahlt wurde, warb der der ägyptischen Regierung nahestehende Journalist Neshat al-Dhehi für Gaddafis Kandidatur bei den anstehenden Wahlen in Libyen. Dhehi warf ausländischen Geheimdiensten vor, die libysche interne Szene zu manipulieren und das Bild von Gaddafi junior zu "verzerren", um ihn von einer Kandidatur für die libyschen Wahlen abzuhalten, berichtet Al-Monitor

Im September 2018 soll es zu einem Treffen zwischen hochrangigen Beamten aus Ägypten sowie den Vereinigten Arabischen Emiraten und Gaddafi gekommen sein, bei dem sie die Zukunft Libyens und die Möglichkeit diskutiert hatten, ihn erneut zu nutzen, um einige libysche Stämme zu vereinen. 

Der libysche Analyst Faradsch Farkasch sagte inzwischen der Deutschen Presse-Agentur, Gaddafis Auftritt in den Medien schade ihm und verringere seine Chancen, irgendetwas zu erreichen. Ob die Wahlen wie geplant am 24. Dezember stattfinden können, bleibt derzeit unklar. Als möglicher Kandidat für das Präsidentenamt gilt neben Gaddafi der frühere Innenminister Fathi Baschagha. Als Gegenspieler genannt wird auch General Haftar, der mit Anhängern und Verbündeten weiterhin große Teile im Osten Libyens beherrscht.

Libyen ist in den letzten Jahren zum Schauplatz zahlreicher Stellvertreterkonflikte geworden, unter anderem Ägypten, Russland, die Türkei und die Vereinigten Arabischen Emirate mischen dort mit. Aber es ist schwer zu sagen, wie viel Einfluss diese Staaten auf die anstehenden Wahlen haben könnten. Für die Vereinigten Staaten, die die NATO-Kampagne anführten, Saifs Vater zu stürzen, wäre, so die New York Times, die Wiederbelebung der Gaddafi-Dynastie zumindest peinlich.

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