Afrika und China: Partnerschaft der Giganten?
von Timo Al-Farooq
Als ich 2012 über das Drehkreuz Dubai in die ghanaische Hauptstadt Accra geflogen bin, war ich erstaunt darüber, wie viele chinesische Passagiere sich im Anschlussflieger unter den Fluggästen befanden: Hätte ich nicht gewusst, wo es hingeht, hätte ich geglaubt, ich säße in einer Maschine nach Peking oder Shanghai.
Dabei hatte es sich weniger um Touristengruppen gehandelt, sondern um Arbeiter und Berufsreisende: Gruppen von jungen Männern, die als Vertragskräfte chinesischer Bauvorhaben nach Afrika eingeflogen wurden, sowie – wie Kleidung und Habitus vermuten ließen – Geschäftsleute, die dem Marschbefehl "Zǒu chūqū" (Geht raus!) des ehemaligen Präsidenten Jiang Zemin eifrig Folge leisteten: in Polohemden und Khakihosen gekleidete Emissäre jenes chinesischen Staatskapitalismus, der ihr Heimatland seit Deng Xiaopings Strukturreformen der 1970er innerhalb relativ kurzer Zeit zur "Werkbank der Welt" aufsteigen und zum größten und beliebtesten Handelspartner des gigantischen afrikanischen Kontinents werden ließ.
Das war meine erste Lektion in Sachen "Neue Weltordnung im 21. Jahrhundert" im Allgemeinen und "chinesischer Einfluss in Afrika" im Besonderen gewesen.
Zwei Jahre später, als ich eine Freundin während ihres Auslandssemesters an der Universität von Dakar in der senegalesischen Hauptstadt besuchte, sollte ich dieser Allgegenwärtigkeit des Reichs der Mitte auf dem Kontinent auf Schritt und Tritt wieder begegnen. Von den Baustellen der zahlreichen Infrastrukturprojekte über das Getümmel in Downtown Dakar, wo Chinesen zum Straßenbild gehörten wie der Dhuku einheimischer Frauen und die in Boubous gekleidete Männer bis hin zu den westlichen Konsumgütern Made in China in den Regalen der Supermarchés, war es auch im Senegal unverkennbar, dass China aus Afrika nicht mehr wegzudenken war.
Antikoloniale Blutsbrüder seit Bandung, Wirtschaftspartner seit Tiananmen
2020 ist die afrikanisch-chinesische Handelspartnerschaft ungebrochen, und man muss nicht bis in die Zeit der Ming Dynastie zurückgehen, als der große chinesische Seefahrer Admiral Zheng He mehrfach Expeditionen nach Ostafrika unternahm, um den historischen Gründen dieser für beide Seiten fruchtbaren Beziehung nachzuspüren. Die moderne sino-afrikanische Freundschaft geht vielmehr auf die Zeit der Dekolonisierung und deren bipolaren Weltordnung zurück, als 1955 im indonesischen Bandung die Asiatisch-Afrikanische Konferenz stattfand, im Westen besser bekannt als Bandung-Konferenz.
Ziel dieses Gipfeltreffens von 29 Staaten, die damals über die Hälfte der damaligen Weltbevölkerung umfassten und welches ein wichtiger Schritt zur Gründung der Bewegung blockfreier Staaten werden sollte, war die Förderung wirtschaftlicher und kultureller Kooperationen zwischen beiden Kontinenten und die Verurteilung von jeglicher Art von Kolonialismus und Neokolonialismus.
Es war auf dieser Konferenz, dass auch der ideologische Grundstein für Chinas Umgang mit anderen Staaten gelegt wurde, auch den afrikanischen: die bereits ein Jahr zuvor mit dem bereits 1947 unabhängig gewordenen Indien geschlossenen "Fünf Prinzipien der friedlichen Koexistenz", die in etwas abgewandelter Form von allen Konferenzteilnehmern verabschiedet wurden: 1. gegenseitiger Respekt für die territoriale Integrität und Souveränität des Anderen, 2. Nichtaggression, 3. Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten des Anderen, 4. Gleichheit und gegenseitiger Nutzen sowie 5. friedliche Koexistenz. Ein bis dahin präzedenzloser Schulterschluss zwischen den angehenden postkolonialen Staaten, auch wenn die große Dekolonisierungswelle der 1960er Jahre auf dem afrikanischen Kontinenten noch einige Jahre auf sich warten lassen ließ.
Westliche Kritiker des chinesischen Engagements in Afrika unterschätzen diesen gemeinsamen antikolonialen Erfahrungshorizont, wenn sie in ihren eurozentrischen Analysen vom "neuen Kolonialismus" Chinas sprechen. Mit ihrer selektiven Sorge um Menschenrechte verstehen sie auch nicht, wie es sein konnte, dass nach dem Tiananmen-Massaker von 1989, als China vom Westen mit Sanktionen gedroht wurde, viele afrikanische Staaten schlichtweg stillhielten und China sich dafür mit verstärkter Wirtschaftskooperation bedankte. Als sei Realpolitik nur westlichen Staaten vorbehalten, wenn Staaten wie Deutschland oder Großbritannien in großem Stil Waffen nach Saudi-Arabien verkaufen, das auf dem Menschenrechtsindex des Cato Institutes auf Platz 149 rangiert: 149 von 162 untersuchten Staaten, wohlgemerkt.
Die Deckung des erhöhten Rohstoffs- und Energiebedarfs Chinas im Zuge seiner Hyperindustrialisierung seit den 1980er Jahren wäre ohne diese Post-Tiananmen-Hinwendung nach Afrika nicht möglich gewesen und erweist sich – bei aller Kritik – bis heute zum gegenseitigen Nutzen, als "mutually beneficial", wie man im Englischen sagt: von Entwicklungshilfe in Form von Infrastrukturprojekten profitieren schließlich nicht nur Eliten, sondern die gesamte Bevölkerung eines Landes.
Ganz anders als der Top-Down-Ansatz traditioneller westlicher Entwicklungspolitik auf dem afrikanischen Kontinent, bei der man diktierte, Diktatoren die Taschen voll stopfte, nichts baute, aber afrikanische Ressourcen trotzdem auf Maximalniveau ausbeutete. Der Trickle-Down-Effekt der westlichen Elitenförderung auf die unteren Gesellschaftsschichten blieb gänzlich aus.
Infrastruktur gegen Rohstoffe: So geht Win Win
Während die westliche Logik in Afrika bis heute lautet: Wirtschaftshilfe gegen politische Reformen, waren die Chinesen von Anfang an weniger streng: Biete Infrastruktur für Rohstoffe, lautet hier die Devise. Rohstoffe nicht selten auch ganz wörtlich gemeint, denn anders als westliche Geldgeber, die ihr geliehenes Geld auch in Form von Geld wiederhaben wollen, akzeptiert China – wenn es Schulden nicht gleich ganz erlässt – als Zahlungsmittel auch gerne Naturalien wie Erdöl (sogenannte "oil-backed loans") oder den präferierten Zugang zu ihnen.
Es ist diese chinesische Flexibilität, mit der der größte Kreditgeber der Welt längst die Washingtoner Weltbank als einst größten Geldgebers Afrikas abgelöst hat.
Chinas Infrastrukturprojekte in Afrika mögen mit schmeichelhafter Stadiondiplomatie begonnen haben, um sich die Gunst manch afrikanischer Regierung zu sichern, doch umfassen sie längst Schlüsselinfrastrukturen wie Krankenhäuser und Kliniken, hydroelektrische Staudämme und Ölpipelines, Straßen- und Bahnverbindungen.
Allein das Ausmaß der mit chinesischer Hilfe sich im Bau befindenden oder bereits realisierten Eisenbahnprojekte ist beeindruckend: Seit China 1967 die Lizenz für den Bau der sogenannten "Tansam-Bahn" gegeben wurde, die seit ihrer Eröffnung die tansanische Hauptstadt Dar es Salaam mit der sambischen Zentralprovinz verbindet und seinerzeit nicht nur die längste Eisenbahnstrecke im subsaharischen Afrika war, sondern auch Chinas bis dahin größtes Entwicklungshilfeprojekt, hat das Reich der Mitte zentrale Bahnprojekte in Algerien, Angola, Äthiopien, Kenia und Nigeria fertiggestellt.
Darunter so wichtige wie die Mombasa-Nairobi Railway, die die historische ostafrikanische Küstenmetropole mit der kenianischen Hauptstadt verbindet, und die Addis Ababa - Djibouti Railway, die dem landumschlossenen Äthiopien den Meerzugang im Nachbarland ermöglicht.
Weitere Strecken in Kenia, Uganda, Nigeria, Mali, Guinea und im Senegal befinden sich noch im Bau oder in Planung: die Nigeria Coastal Railway, welche die nigerianische Megacity Lagos mit dem 1.400 Kilometer entfernten Calabar, der Hauptstadt der Küstenprovinz Cross River State, verbinden wird, dürfte das mit Abstand ehrgeizigste Infrastrukturprojekt in dem bevölkerungsreichsten Staat Afrikas sein, der mittlerweile Südafrika als größte Volkswirtschaft des Kontinenten überholt hat dank seiner Ölexporte und Nollywood, der zweitgrößten Filmindustrie der Welt.
Wenn der Westen also "Chinafrika" für diesen Bautrubel kritisiert, dann sollte man sich fragen, was die ehemaligen Kolonialherren eigentlich in ihren 300 Jahren in Afrika nach der Landung der niederländischen Ostindienkompanie am Kap der Guten Hoffnung im Jahre 1652 eigentlich gemacht haben, wenn sie nach ihrem Abzug so wenig infrastrukturelles Vermächtnis auf dem Kontinenten hinterlassen haben.
Im Gegenzug für diese Süd-Süd-Entwicklungshilfe bekommt ein ressourcenhungriges China jenen Zugang zu den wertvollen afrikanischen Rohstoffen (allen voran Erdöl), die es braucht, um seine eigene Wirtschaft auf Kurs zu halten und den gestiegenen Energiehunger eines Landes zu stillen, das binnen drei Jahrzehnten 850 Millionen Chinesen aus der extremen Armut geholt hat.
Der erdölreiche Post-Konfliktstaat Angola etwa ist heute Chinas zweitgrößter Handelspartner in Afrika und ein Paradebeispiel des chinesischen Engagementmodells in Afrika: die chinesische Eximbank gewährte Angola einen Kredit von einer Milliarde US-Dollar zum Wiederaufbau des Landes nach Ende des Bürgerkrieges, den das Land in Öl zurückzahlen darf.
Während in den westlichen Medien die angolanischen Regierungseliten als durchweg korrupt gezeichnet werden, sei diese Art von Finanzhilfe transparenter, so die US-Forscherin Deborah Bräutigam in einem Interview mit dem Brookings Institute: anders als die USA, die für ihr Öl aus Angola direkt bezahlen würden und man daher nicht nachvollziehen könne, wo das Geld eigentlich hingehe, würden die chinesischen Darlehen hingegen nachverfolgbarer sein: das angolanische Finanzministerium führe im Zeichen der Transparenz die Liste aller Projekte auf ihrer Internetseite auf.
Dies soll nicht negieren, dass Korruption in vielen afrikanischen Staaten ein massives Problem ist, sondern lediglich mit dem Irrglauben aufräumen, China sei es, das primär dafür verantwortlich sei, wie es Focus Money in einem sinophoben Beitrag mit dem reißerischen Titel "Größter Gläubiger der Welt: China unterwirft mit seinen Krediten ganze Staaten" befand. Über dem Titel thront als Thema in nicht minder reißerischer Form: "Neue Form von Kolonialismus."
China ist kein neuer Kolonialherr, schließlich gibt es ja noch die alten aus Europa
Der Westen hat nicht immer unrecht, wenn er das chinesische Engagement in Afrika kritisiert: Rassismus gegen afrikanische Arbeiter und deren schlechte Behandlung; Benachteiligung auf dem eigenen Arbeitsmarkt durch eine importierte chinesische Work-Force und die damit verbundene Behinderung von wichtigem Wissenstransfer; die Zerstörung traditioneller afrikanischer Manufakturen durch die Flut an chinesischen Konsumgütern; die Verschlimmerung des "Ressourcenfluchs", durch den andere wichtige Wirtschaftssektoren vernachlässigt werden; Förderung von Korruption: die Liste der Probleme ist lang.
Doch was die westliche Kritik unglaubwürdig macht ist einerseits ihr fehlender Altruismus, denn es geht ihm eher um verlorene Privilegien statt um ehrliche Sorge um afrikanische Lebensstandards; andererseits der Paternalismus, mit dem sie kommuniziert wird. Als könnten Afrikaner nicht für sich selbst sprechen.
Diese Unart kolonialer Bevormundung lässt nicht nur die von Afrikanern selbst geäußerte Kritik verstummen, sondern traut ihnen auch nicht die "agency" zu, ihre eigenen Probleme selbst zu lösen. Dadurch wird das alte Zerrbild des passiven Afrikaners als "white man's burden" bedient, der ohne westliche Fremdhilfe angeblich nicht aus dem Quark kommt.
Der ruandische Staatspräsident und Ex-Rebellenführer Paul Kagame, dessen Ruandische Patriotische Front (RPF) dem Genozid an den Tutsis durch Hutus quasi im Alleingang ein Ende machte, hat in einem Interview mit dem deutschen Handelsblatt Afrikas Beziehungen zu Europa und China am Besten zusammengefasst:
Die Chinesen bringen mit, was Afrika braucht: Investitionen und Geld für Regierungen und Unternehmen. China investiert in Infrastruktur, baut Straßen. Man sollte den Hinweis auf Menschenrechte nicht als Entschuldigung dafür nehmen, dass kein Kapital fließt.
Auf die Frage, ob es sich hierbei nicht um einen neuen Kolonialismus handle, antwortete Kagame:
Wieso denn neuer Kolonialismus? Der alte durch westliche Länder hat doch noch gar nicht aufgehört. Wenn überhaupt, handelt es sich um eine zusätzliche Kolonialisierung. Aber ich sage ganz klar: Es liegt an den Afrikanern selbst, dies hinzunehmen oder eben nicht.
Habt Ihr das gehört, lieber Westen? "Es liegt an den Afrikanern selbst". Und nur zur Erinnerung: das kleine Ruanda zählt heute – trotz widrigster Post-Konflikt-Bedingungen nach dem Genozid von 1994, bei dem binnen sechs Wochen 800.000 Menschen zum Teil auf barbarischste Weise getötet wurden und der die größte Fluchtbewegung seit der Teilung Indiens im Jahre 1947 auslöste – zu Afrikas größten ökonomischen Erfolgsgeschichten. Auch dank China.
Der neue "Wettlauf um Afrika"
Der Westen, allen voran Exportweltmeister Deutschland, bleibt nicht tatenlos und versucht mittlerweile, nicht nur verlorengegangene Wettbewerbsvorteile in Afrika sich mühsamst wiederzuholen, sondern diese auch im Gewand des Multilateralismus zu tun, damit er ja über jeden Kolonialismusverdacht erhaben bleibt: der 2017 unter dem damaligen deutschen G20 Vorsitz initiierte Compact with Africa (CwA), ist ein solches Beispiel für westliche Aufholjagd nach einem nicht einholbaren China.
Doch auch dieser neue "Scramble for Africa" ist nicht frei von alten kolonialen Angewohnheiten. Auf der Internetseite des CwA heißt es nämlich:
Der G20 Compact mit Afrika ... bringt reformgesinnte afrikanische Länder, internationale Organisationen und bilaterale Partner aus der G20 und darüber hinaus zusammen, um länderspezifische Reformagenden zu koordinieren.
Wieder das berüchtigte R-wort "Reform". Sogar zweimal in einem Satz.
Der Erfolg dieser vielbeworbenen Initiative ist jedoch ziemlich überschaubar: Bis heute machen lediglich zwölf afrikanische Staaten mit. Zwölf von 54 wohlgemerkt, bzw. 55, da die Afrikanische Union im Gegensatz zur UN die Westsahara als eigenständigen Staat anerkennt.
Mit wem der Rest lieber zusammenarbeitet, das können Sie, liebe Leser und Leserinnen, sich nach der Lektüre dieses Beitrags ja wohl selber denken.
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