Steht Russland vor dem Kollaps? - Trotz Rubel- und Ölpreisverfall droht kein neues 1998

Angesichts des aktuellen Abfall des Rubels prophezeien westliche Medien reihenweise der russischen Wirtschaft einen Absturz wie zu Zeiten der Krise von 1998. Die wirtschaftlichen und finanziellen Fundamentaldaten aber widersprechen dieser Einschätzung. Eine Analyse.
Steht Russland vor dem Kollaps? - Trotz Rubel- und Ölpreisverfall droht kein neues 1998

Als der Rubel zu Anfang der Woche um 22 Prozent nachließ, glaubten Investoren erste Indikatoren zu erblicken, die an die Russlandkrise von 1998, genauer gesagt an den 17. August erinnerten, als der Rubel binnen eines Tages ganze 27 Prozent an Wert verlor.

Ob Banken oder Finanzmarktanalysten: Sie wissen um die prekäre Lage des Rubels, mahnen aber davor, verfrühte Schlüsse zu ziehen, wenn es um die gesamtvolkswirtschaftliche Leistung der Russischen Föderation geht. Die russische Wirtschaft, und das belegen Fundamentaldaten, ist robust aufgestellt.

So weisen Banken seit Tagen ihre Kunden darauf hin, dass kein Grund zur hysterischen Panikmache bestehe, während Medien gezielt oder reflexartig quasi-apokalyptische Szenarien auf den Straßen Russlands beschwören. Doch die Ängste der Bürger, die noch die Umbrüche der 1990er Jahre und den damit einhergehenden menschenverachtenden Wildwest-Kapitalismus miterlebten, sitzen tief.

Am Dienstag überschritt ein US-Dollar die 80 Rubel-Marke. Im Vergleich zum starken Rubel zu Anfang des Jahres (am 1. Januar 2014 notierte der US-Dollar noch bei 33 Rubel) gab die russische Währung um 58 Prozent nach.

Verglichen damit verlief die Situation 1998 weit dramatischer: Binnen sechs Monaten verlor die russische Währung um mehr als 70 Prozent an Wert. Die Inflation stieg sprunghaft an, Banken und Unternehmen von Kaliningrad bis nach Wladiwostok kollabierten, die Arbeitslosigkeit griff um sich.

Russlands Wirtschaft verlor sich in einer noch nie dagewesenen Rezession und Abwärtsspirale. Knapp zwei Jahre brauchte das Land, um sich auf Vorkrisen-Niveau zurückzubewegen.

1998 waren Handels- und Haushaltsüberschuss kein Thema

Der von Russen mittlerweile als Schwarzer Dienstag deklarierte 16. Dezember 2014 brachte die Erinnerungen an damals zwar wieder an die Öffentlichkeit, die Lage hat sich den Wahrnehmungen von Experten zufolge jedoch grundlegend geändert.

Ben Aris, Redakteur und Publizist des Magazins Business New Europe, erläuterte im Interview mit RT:

"Wenn Sie die Rubelentwicklung von heute mit 1998 vergleichen, dann wird schnell klar, dass wir es mit einem Unterschied wie zwischen Nacht und Tag zu tun haben. Damals brach das BIP noch um mehrere Prozentpunkte ein, über lange Zeit wuchs die Wirtschaft nicht mehr und das Land hatte überhaupt keine Devisenreserven. Heute stehen wir vor einem Russland, das einen enorm hohen Handelsüberschuss sowie einen Haushaltsüberschuss von mehr als zwei Prozent ausweist. Darüber hinaus häufte Moskau mit die größten Währungsreserven der Welt an."
Zu Beginn des Monats Dezember lagen Russlands Devisenreserven bei 418 Milliarden US-Dollar. 1998 lagen diese bei nur 16 Milliarden US-Dollar.

"Unsere früheren Krisen waren absolut anders. Heute haben wir mehr als genug Reserven, um allen Prophezeiungen zum Trotz die notwendigen Instrumente in die Wege zu leiten", beteuerte Alexei Devjatov, Analyst der Investmentgesellschaft UralSib Capital, in Moskau gegenüber RT.

Im Jahre 1998 führte die Moskauer Zentralbank irrtümlicherweise massive Währungsinterventionen durch, bis Spekulanten diese schließlich ausnutzten und der Kreml seinen Schuldverpflichtungen nicht mehr gerecht werden konnte.

Sberbank CIB Analyst Wladimir Pantyuschin quittierte den Pessimismus des Westens mit Unverständnis:

"Vor 16 Jahren lag vor uns allen ein Trümmerfeld, heute sind wir in guter Form."
Die russische Notenbankchefin Elvira Nabiullina leitete eine Abkehr von der traditionell interventionistischen Geldpolitik ein, die Moskau bisher gegenüber dem Rubel verfolgte. Ziel ist es, den Rubel zur frei konvertierbaren Währung umzustrukturieren. Um den Rubel zudem vor weiteren Stürzen zu beschützen, wurde der Leitzins auf 17 Prozent erhöht. Auch ein Währungs-Rückkaufprogramm ist bereits im Gange, um die Kapitalflucht ausländischer Investoren zu kompensieren.

Konvertierbarkeit des Rubels steht nicht in Frage

Ben Aris von Business New Europe findet, dass ein frei konvertierbarer Rubel der russischen Zentralbank definitiv mehr Flexibilität verleihen werde und konzedierte:

"Natürlich sollten wir einen Kollaps als mögliches Risiko nie außer Betracht ziehen, aber die Reserven Russlands sind sicherlich hoch genug, um dem aktuellen Druck standzuhalten. Die Gefahr ist vielmehr, dass russische Bürger aus Panik Banken stürmen, was den russischen Bankensektor aus dem Gleichgewicht werfen könnte. Dessen Folgen könnten zu einer echten Finanzkrise führen."
Um weiterhin adäquat auf die Volatilität des russischen Finanzmarktes reagieren zu können, trafen sich am Dienstag Zentralbankchefin Elvira Nabiullina und Regierungsvertreter des Kremls, um weiterführende marktpolitische Maßnahmen zu besprechen.

Analyst Devyatov erklärte, dass eine Option, die die russische Nationalbank noch nicht ausspiele, eine direkte Zurverfügungstellung von Devisen für finanzbedürftige Unternehmen wäre. Die "Rettungsaktion" müsste ein Kapitalvolumen von 20 bis 30 Milliarden US-Dollar umfassen, damit die betroffenen Unternehmen ihren finanziellen Verpflichtungen gegenüber ihren Gläubigern gerecht werden könnten.

Rubel- oder Ölkrise?

Der Rubelverfall von 1998 wurde, so wie heute, durch fallende Ölpreise verursacht. Damals lag der Preis bei 18 US-Dollar pro Barrel. Der aktuelle Preis für das Fass Erdöl liegt trotz des großen Preisverfalls weit über den damaligen Einkaufspreisen bei rund 60 US-Dollar.

Das Fatale: Die russische Regierung kalkulierte ihr Haushaltsbudget mit aus heutiger Sicht zu hohen Durchschnittspreisen. So ging der Kreml zunächst von 100 US-Dollar pro Barrel, später 80 US-Dollar aus. Die Fehlkalkulation könnte Folgen für die Haushaltsplanung des kommenden Jahres mit sich ziehen und im Ergebnis ein Defizit hervorrufen.

Auch heute glaubt Aris eine starke Korrelation zwischen der Entwicklung des internationalen Ölpreises und der russischen Wirtschaft zu sehen:

"Was wir hier sehen, hat vielmehr mit einer internationalen Ölkrise zu tun, als mit einem Rubelkollaps. Der russische Staatshaushalt ist stark abhängig vom Ölpreis."
Auch Wladimir Pantyushin pflichtet den Aussagen Aris bei und erläuterte, Algorithmen, mit denen Händler und Investoren gerne hantieren, bewiesen, dass fallende Energiepreise mit einem Kursverfall des Rubels einhergehen.

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