WikiLeaks-Gründer Assange: Ich bin bereit vor dem Bundestags-Untersuchungsausschuss zum NSA-Skandal auszusagen
Seit Mitte dieses Jahres befindet sich die Enthüllungsplattform WikiLeaks um den Australier Julian Assange wieder im Fokus des öffentlichen Interesses. Aus diesem Anlass hat Assange dem Spiegel nun ein Interview gegeben, das sich auch in deutscher Übersetzung im Internet finden lässt.
Assange blickt darin zunächst auf die vergangenen Jahre zurück, die geprägt waren vom Widerstand gegen Sabotage-Versuche seitens der US-Regierung. So setzte die Sperre der Spendenkunden der Plattform zunächst schwer zu. Rund 90 Prozent der finanziellen Ressourcen wurden durch Blockaden abgeschnitten, WikiLeaks-Mitarbeiter mussten Gehaltskürzungen von bis zu 40 Prozent hinnehmen. Das Pentagon hat extra einen Stab von 120 Mann gebildet, um den Kampf gegen WikiLeaks zu führen.
Dennoch gelang es der Enthüllungsplattform alle Mitarbeiter zu halten, eine neue technische Infrastruktur für die anonyme Datenweitergabe zu entwickeln und, wie Assange sagt, "die exklusivste Bibliothek der Welt" zu schaffen. Dank Indizierung und einer Suchfunktion, lassen sich die vormals geheimen Dokumente für Recherchezwecke nutzen, immer mehr Journalisten machen davon Gebrauch. Doch gebe es vor allem im US-amerikanischen Wissenschaftsbetrieb eine Art WikiLeaks-Boykott. Laut Assange ist der Grund hierfür die Tatsache, dass viele wissenschaftliche Institutionen sich heute eher als Kaderschmieden des US-Außenministeriums verstehen. Dies führe zu einer Art unausgesprochenem Gesetz, keine Quelle von WikiLeaks in die eigenen Analysen einzubeziehen.
Kritik äußert Assange auch an Unternehmen wie Google und Facebook. Das Geschäftsmodell dieser Firmen bezeichnet der Australier als "Überwachungskapitalismus". Für die scheinbar kostenlosen Dienste der Internet-Giganten bezahlt der Nutzer mit seinen Daten. Akkumuliert erlauben diese eine signifikante Beeinflussung der Gesellschaft. Entscheidungen, die früher in einer gesellschaftlichen Debatte getroffen wurden, werden heute von IT-Unternehmen diktiert. Im Interview wird klar, dass ein tieferes Problembewusstsein hier überfällig ist.
Im Zentrum der Enthüllungen von WikiLeaks steht aber weiterhin die Arbeit staatlicher, vorwiegend westlicher, Geheimdienste sowie die Hintergründe der geplanten Freihandelsabkommen TTIP, TPP und TiSA. Zudem wurden auch jüngst große Datensätze zu saudi-arabischen Aktivitäten der Medienmanipulation veröffentlicht. Assange sieht sich daher weiterhin starken Angriffen staatlicher Autoritäten ausgesetzt. Jedoch: Im Umkehrschluss verlieren diese durch ihren Kampf gegen WikiLeaks in den Augen der Bevölkerungen zunehmend an Legitimität. Konkret ist dieser Wandel der öffentlichen Meinung auch in Zahlen ablesbar. Während 2010 noch 88 Prozent der Deutschen die US-Regierung positiv einschätzten, sank dieser Wert nach den Snowden-Enthüllungen auf 43 Prozent ab.
Im Interview wird auch deutlich, dass neben der US-amerikanischen NSA vor allem der britische GCHQ als besonders radikal im Abhörverhalten eingestuft werden kann. Assange dazu:
"Der britische Abhördienst GCHQ hat eine eigene Abteilung für diese Methoden. Sie beinhalten Erpressung, fingierte Videos, gefälschte SMS und sogar die Gründung von Scheinunternehmen, die dieselben Namen wie echte Unternehmen verwenden und mangelhafte Ware verkaufen, damit der Ruf der echten Firma ruiniert wird. Das hört sich wie eine verrückte Verschwörungstheorie an, aber durch die GCHQ-Unterlagen, die Edward Snowden zur Verfügung gestellt hat, ist es gut dokumentiert."
Umfangreich geht Julian Assange auch auf die NSA-Überwachung Deutschlands ein und deutet an, woran die zurückhaltende Reaktion der Merkel-Regierung auf die jüngsten Veröffentlichungen liegen mag:
"Wenn Sie als deutscher Politiker wissen, dass die Amerikaner über Jahrzehnte 125 Spitzenpolitiker und Beamte ausgespäht haben, würden Sie sich bestimmt an einige Gespräche erinnern, die Sie in diesen Jahren geführt haben. Und dann würden Sie realisieren, dass die USA all diese Gespräche aufgezeichnet haben und jederzeit auch Mitglieder des Merkel-Kabinetts zu Fall bringen könnten, indem sie Teile dieser Gespräche Journalisten zuspielen."
Assanges Aussage zeigt, dass in einem Umfeld der totalen Überwachung Demokratie faktisch unmöglich ist. Die Bemühungen des NSA-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages lobt der WikiLeaks-Herausgeber und bietet an, sich diesem als Zeuge zur Verfügung zu stellen. Den Obleuten der Parteien Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen bescheinigt er echten Aufklärungswillen.
Was im Falle Edward Snowdens noch erfolgreich verhindert wurde, könnte - in Folge der neuen Tiefe des Überwachungsskandals - nun Realität werden: Die Aussage eines Zeugen, der direkten Einblick in die Überwachungspraktiken von NSA, GCHQ und BND hat.
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