Dreist, Dreister, Merkel? Regierung will NSA-Untersuchungsausschuss Selektorenliste vorenthalten

Seit Monaten hält Merkels Kanzleramt den NSA-Untersuchungsausschuss bezüglich der Freigabe der sogenannten Selektorenliste hin. Alles müsse erst mit Washington besprochen werden, so die Regierung. Nun ist eine Entscheidung gefallen: Den parlamentarischen Kontrolleuren soll der Einblick in die brisanten Dokumente verwehrt werden. Auch der Militärische Abschirmdienst (MAD) und Ursula von der Leyens Verteidigungsministerium sehen sich neuen Vorwürfen ausgesetzt. Da möchte man die Überwacher gerne an ihr eigenes Mantra erinnern: "Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten."
Dreist, Dreister, Merkel? Regierung will NSA-Untersuchungsausschuss Selektorenliste vorenthalten© Fabrizio Bensch

Untersuchungsausschüsse gelten in Deutschland als das schärfste Schwert des Parlaments zur Kontrolle von Regierungshandeln und zur Aufdeckung von Missständen, die die Exekutive zu verantworten hat. Für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses reichen daher ein Viertel der Parlamentsstimmen aus. Regierungskontrolle soll nicht durch die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag verhindert werden können. Derzeit gibt es zwei aktive Untersuchungsausschüsse: Einen im Zusammenhang mit der so genannten Edathy-Affäre, einen weiteren bezüglich der weltweiten Massenbespitzelung durch NSA und BND. Dieser so genannte NSA-Untersuchungsausschuss (kurz: NSAUA) ist seit März 2014 aktiv und eine direkte Folge der Veröffentlichungen Edward Snowdens.

Deutschland ist damit weltweit das einzige Land, das Snowdens Enthüllungen parlamentarisch untersucht. Entsprechend brisant ist dieser Vorgang damit auch für die globale Debatte zu Überwachungs- und Geheimdienstfragen. Seit seines Bestehens wird der NSA-Untersuchungsausschuss jedoch aktiv von der Regierung behindert, wie etwa durch die Ablehnung, Edward Snowden als Zeugen vorzuladen. Denn aufgrund der parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse stellen die Koalitionsparteien CDU/CSU und SPD auch die Mehrheit im Untersuchungsausschuss. Spätestens hier beginnt die politische Manipulation, denn Vertreter der Regierungsparteien haben mitunter nur ein geringes Interesse, Vergehen in den eigenen Reihen aufzuklären. Gleichsam verfügt die Regierung hier über bedeutende Einflusskanäle in das Gremium, das diese eigentlich kontrollieren soll.

Nichtsdestotrotz scheint die Angst der Merkel-Regierung vor dem Untersuchungsausschuss immens zu sein, denn mit Martina Renner (Die Linke) und Konstantin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen) sind hier auch zwei Oppositionspolitiker in dem Gremium vertreten, die mit ihrem Stab immer wieder echten Aufklärungswillen beweisen.

Lange Zeit plätscherte der NSA-Untersuchungsausschuss seit seiner Einsetzung im März 2014, von der Öffentlichkeit weitestgehend unbeachtet, vor sich hin. Dies änderte sich schlagartig, als ab April diesen Jahres plötzlich der Begriff "Selektorenliste" die Runde machte. Was war passiert? Der Ausschuss deckte auf, dass der deutsche Auslandsgeheimdienst BND seine Bezeichnung wohl dahingehend missverstanden hat, er solle für das Ausland tätig sein. Im Auftrag der US-amerikanischen NSA halfen die Pullacher über ihren Spähposten in Bad Aibling massenhaft deutsche und europäische Bürger, Politiker und Unternehmen auszuspionieren. Selektoren dienen dabei als Suchbegriffe, die Listen, die aus Übersee in das deutsche Überwachungssystem eingespeist wurden, sind sozusagen der Browserverlauf der Geheimdienste, der rauchende Colt bei der Frage "Wie weit gehen die Dienste?" Angeblich, so die Erzählung von BND und NSA, sei die transatlantische Spitzel-Kooperation derzeit unterbrochen. Als belegt gilt nun dennoch: Der BND arbeitete mindestens in der Vergangenheit aktiv gegen deutsche Interessen, missachtete das Grundgesetz und leistete direkte Beihilfe zur Wirtschaftsspionage. Die Bundesregierungen der vergangenen 13 Jahre haben all dies gedeckt und teilweise auch aktiv mitorganisiert.

Eineinhalb Monate sind seit dem Bekanntwerden der Selektorenliste nun vergangen, der Untersuchungsausschuss fordert seitdem unermüdlich die Herausgabe ebendieser, die Regierung mauert und lügt. Man befinde sich im "Konsultationsverfahren" mit den US-Amerikanern, so die Hinhaltetaktik. Wie die Süddeutsche Zeitung gestern berichtete, hat sich das Kanzleramt nun offenbar zu einer Entscheidung durchgerungen. Wenig überraschend: Dem Untersuchungsauschuss  soll sein Recht auf Kontrolle verweigert werden. "Völkerrechtliche Verträge" mit den USA stünden dem im Weg. Dass genau dieses Völkerrecht gerne vergessen wird, wenn es etwa um die Ermordung von Zivilisten mit Drohnen, gesteuert auch über das deutsche Ramstein, geht, scheint die Regierung hierbei nicht als größeren Widerspruch zu erkennen. Bezeichnenderweise sind es auch hier wieder die Geheimdienste BND und NSA, die eine tragende Rolle in Obamas völkerrechtswidrigen Drohnenkrieg spielen. Nun soll also das Aufdecken derartiger Geheimdienstverbrechen rechtswidrig sein. Ein ganz besonderes Lehrstück orwell'scher Realiätsverdrehung seitens der Regierung.

Anstatt dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss den Einblick in die Selektorenliste zu gewähren, wie es selbst SPD-Vertreter fordern, soll nach dem Willen des Kanzleramtes nun ein "Sonderermittler" eingesetzt werden, von dessen Urteil die Kontrolleure dann auf Gedeih und Verderben angewiesen wären. Wenig überraschend, dass die Regierung für sich auch das Recht in Anspruch nehmen will, diesen Sonderermittler zu ernennen. Deutlicher kann man korruptes Verhalten nicht fördern. Anstelle eines Gremiums, das die Regierung nicht vollends unter Kontrolle hat, soll eine Einzelperson das Geschehen bewerten, die zudem vom Kreis der Verdächtigen selbst ernannt wird. Heribert Prantl spottet deshalb in der Süddeutschen Zeitung:

"Die Regierung will selbst bestimmen, wer die parlamentarischen Kontrollrechte in Sachen BND und NSA wahrnimmt. Das ist so, als würde Sepp Blatter bestimmen, wer gegen ihn und die Fifa ermittelt."
Auch Konstantin von Notz und die stellvertretende Bundestagspräsidentin Petra Pau (Die Linke), zeigen sich entsetzt ob dieses Vorhabens und kündigen den Gang vor das Verfassungsgericht in Karlsruhe an. Pau stellt klar, dass ein Sonderermittler zwar durchaus ein legitimes Instrument für einen Untersuchungsausschuss ist, dieser aber immer nur die Obleute im Ausschuss unterstützen darf, niemals dürfe er mehr Akteneinsicht haben als der Ausschuss selbst oder diesem gar übergeordnet sein. Auch sei ein solcher Sonderermittler - wenn überhaupt - vom Parlament einzusetzen, nicht von der Regierung:
"Das Parlament muss, wenn es einen Sonderermittler einsetzt, den vollständigen Einblick in alles haben, was dieser sieht, und nicht die Regierung.

[...]

Ein Sonderermittler wäre nur ein Helfer, um bestimmte Vorgänge vorzusortieren, aber die Bundesregierung hat ja sehr deutlich gemacht, dass sie das so nicht will, sondern dass sie ihn als Ersatz für tatsächliche Untersuchungen will, und das darf sich das Parlament nicht bieten lassen. Das sage ich auch den Kolleginnen und Kollegen der Fraktionen, die im Moment die Koalition tragen."

Wie beim gesamten bisherigen Umgang mit dem Überwachungsskandal, beweist die Merkel-Regierung auch hier mal wieder ein groteskes Verständnis von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass das Kanzleramt gezielt und aktiv die Auflösung dieser Prinzipien forciert. Vorwürfe des Landesverrates, nicht nur durch den BND, auch durch die Regierung erhärten sich durch solch ein Agieren, anstatt dass diese entkräftet werden. Die eindeutige Taktik des Hinhaltens und Verschleppens, in der Hoffnung, das Interesse der Öffentlichkeit lege sich schon wieder, ist zudem eine dreiste Respektlosigkeit der Regierenden gegenüber der Bevölkerung und deren Recht auf Aufklärung.

So häufen sich die Stimmen, die all dies nicht mehr "nur" noch als Überwachungsskandal interpretieren. Wie schon RT Deutsch vor rund einem Monat, mahnen nun auch die Blätter für deutsche und internationale Politik an, dass die Vorgänge sich zunehmend zu einer ausgewachsenen Staatskrise verfestigen:

"Die Verweigerungshaltung des Kanzleramts hat zur Folge, dass sich die Machtverhältnisse innerhalb der staatlichen Ordnung verschieben – zugunsten der Regierung und zulasten des Parlaments. Längst geht es somit in der BND-Affäre um weitaus mehr, als um illegale Spionage – nämlich um den Erhalt der grundrechtlich verankerten Gewaltenteilung.

[...]

Diese Staatskrise hat sich über Jahre im Verborgenen und gewissermaßen schleichend aufgebaut. Ihre Anfänge liegen gut 13 Jahre zurück.

[...]

Diese Aufklärungssabotage folgt einem bereits bekannten Muster. Systematisch hat die Regierung in den zurückliegenden zwei Jahren die parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste behindert.

[...]

Bei alledem geht es nicht darum, die Arbeit deutscher Geheimdienste vor aller Welt offenzulegen, sondern um die Verteidigung der parlamentarischen Demokratie. Andernfalls unterhöhlen ausgerechnet jene Kräfte unsere Freiheit, die diese zu schützen vorgeben."

Wie die Süddeutsche Zeitung und das Handelsblatt melden, gibt es nun auch neue Hinweise, dass der Militärische Abschirmdienst (MAD) entgegen seiner bisherigen Bekundungen nun doch dem Verteidigungsministerium geholfen haben soll, Journalisten zu bespitzeln, die kritisch über das Heckler & Koch-Sturmgewehr G36 berichteten. Neben Angela Merkel gerät auch Ursula von der Leyen damit erneut unter Verdacht, rechtswidriges Geheimdienst-Gebaren zu decken. Bleibt noch die Frage, was der deutsche Inlandsgeheimdienst Verfassungsschutz eigentlich so alles treibt und wie tief dieser in die Morde des NSU verstrickt ist.

Nein, weder Regierung noch deutsche Geheimdienste handeln im Interesse der eigenen Bevölkerung, vielmehr arbeiten diese Organisationen gezielt gegen die Belange einer demokratischen und rechtsstaatlichen Gesellschaft und missachten sowohl das Grundgesetz wie auch grundlegende Regeln von Respekt und Anstand. Die Aufklärung all dieser Verstrickungen wird aktiv zu verhindern versucht, wichtige Dokumente - allen voran die Selektorenliste - sollen dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss vorenthalten werden. Da möchte man BND und Kanzleramt gerne einen Satz zurufen, den diese sonst nutzen, um ihre unkontrollierten Überwachungseifer gegen die eigene Bevölkerung zu rechtfertigen: "Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten." Zu verbergen haben BND und Kanzleramt offenbar eine Menge.

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