Vereinigung der Internationalen Ärzte: US-geführter "Krieg gegen den Terror" forderte bereits über 1 Million Tote
"Body Count" (Opferzahl), so der Titel einer aktuellen 100-seitigen Studie, welche die deutsche, die US-amerikanische und die kanadische Sektionen der Vereinigung der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) zum zwölften Jahrestages des Beginns des Irak-Krieges gemeinsam veröffentlichten und zeitgleich in Berlin, Ottawa und Washington vorstellten.
Da die Durchführung von Kriegen auch immer auf eine gewisse öffentliche Akzeptanz in der Bevölkerung der kriegsführenden Staaten angewiesen ist, waren, auch was die Opferzahlen betrifft, bisher kaum valide offizielle Daten verfügbar. Die Opferzahlen der Kriege, die der Westen seit über einem Jahrzehnt in Afghanistan, im Irak, in Pakistan und später auch in Libyen führte, wurden vielmehr konsequent nach unten gerechnet, so Jens Wagner (IPPNW), der Koordinator der Studie. Auch in Kreisen der Friedensbewegung und bei aktiven Kriegsgegnern, ging man daher bis dato von weit weniger direkten Opfern durch die westlichen Militärschläge der vergangenen Jahre aus. Bisher kursierten Zahlen, die etwa nur einem Zehntel der in "Body Count" aufgeführten Kriegsopfer entsprechen.
Für Wagner war dies auch der Anlass, die Frage der Kriegstoten wissenschaftlich ergründen zu lassen, wie der Friedensaktivist in einem aktuellen Interview, das Jens Wernicke für die Nachdenkseiten führte, angibt.
Neben den Toten durch direkte Waffengewalt kommen weitere Opfer hinzu: Krieg bringt auch immer die Zerstörung der Umwelt und der sozialen und technischen Infrastruktur mit sich. Hungersnöte sind genauso die Folge, wie steigende Sterberaten durch fehlende medizinische Versorgung oder sozio-ökonomische Konsequenzen. Speziell in Afghanistan und im Irak kommen die Opfer der Langzeitfolgen durch den US-amerikanischen Einsatz von Chemie-Waffen und Uran-Monition hinzu.
Wagner sieht in den hohen Opferzahlen nicht nur menschliches Leid, sondern auch die Ursache weiterer geopolitischer Verwerfungen. So schüre der Tod breiter Bevölkerungsschichten in den angegriffenen Ländern auch Hass auf den Westen und biete Terror-Netzwerken wie dem Islamischen Staat (IS) den idealen Nährboden für ihre Agenda. Aus einem "Krieg gegen den Terror" wird so ein Aufbauprogramm für Terroristen und faschistische Milizen. Ein Militäreinsatz zur Verbesserung einer humanitären Situation sei nichts anderes als der Versuch, "Feuer mit Benzin zu löschen", konstatiert der Koordinator der Studie.
Verfehlungen sieht Wagner auch bei den westlichen Medien. Dass im Krieg immer die Wahrheit zuerst stirbt, ist keine neue Erkenntnis, doch können immer neue Militärschläge nur dann erfolgen, wenn sie durch zustimmende Berichterstattung in den meinungsmachenden Medien flankiert werden. Dazu zähle auch das konsequente Herunterrechnen der Kriegstoten und damit die Verharmlosung der Kriegsfolgen. Organisationen wie die IPPNW sieht Wagner hier in der Pflicht ein Gegengewicht zu schaffen, indem die Folgen der westlichen Geopolitik klar benannt werden. Wagner selbst hat dabei in den vergangenen Jahren seine Sicht auf die Dinge entscheidend geändert:
"Früher war ich überzeugt, dass die Ursachen des Terrorismus so sind, wie sie uns durch die Medien vermittelt werden, also dass vereinfacht gesagt: böse Menschen aus mehr oder wenigerunbekannten Gründen böse Dinge tun. Später habe ich mich aus Sicht der Friedensforschung damit beschäftigt und bin letztendlich zu völlig anderen Schlussfolgerungen gekommen: Entweder ist Terrorismus ein Resultat von Unterdrückung und hauptsächlich sozialen Ursachen – Beispiel Palästina – oder, und das ist die tiefere Ebene der Analyse, bei der man die Historie und die von den Massenmedien gern versteckten Tatsachen des Terrorismus betrachten muss, es handelt sich um ein verdecktes politisches Instrument von Geheimdiensten und mächtigen Interessensgruppen, in aller Regel Staaten."
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