Kiew - Die verlorene Hoffnung

Wie ist die Stimmung vor Ort, was denken die Kiewer über die Maidan-Bewegung und die neue Regierung, wie wird in der ukrainischen Hauptstadt über den Bürgerkrieg im Osten des Landes berichtet? Um darauf Antworten zu finden, hat sich unsere Redakteurin Anna Schalimowa auf den Weg in die ukrainische Hauptstadt gemacht. In loser Folge wird sie für RT Deutsch über ihre gesammelten Erfahrungen und Eindrücke berichten.
Kiew - Die verlorene Hoffnung

Dort wo in Berlin oder anderen Hauptstädten riesige Plakate unterschiedlichster Konsummarken die Straßen schmücken, sind es in Kiew Slogans wie "Ruhm der Ukraine" oder "Ruhm den Helden" sowie Fotos der Toten des Maidans. Mit ihren Gesichtern wird nicht nur an die vergangenen Zeiten erinnert, sondern gleichfalls an eine kriegerische Zukunft. Für die „gefallenen Helden“ sollen weitere zukünftige Heroen ihr Leben im Krieg lassen. Der Sieg, so schallt es von allen Seiten, ist der Ukraine sicher.

Fragt man die Passanten in Kiew, so schauen die meisten mit Stolz auf die Maidan-Bewegung zurück, die sie im vergangen Winter noch an bessere Zeiten glauben ließ. Doch mit großem Unbehagen schauen sie in die Zukunft.

 

Am Anfang war es eine zentrale Idee schildern mir viele Menschen in Gesprächen auf der Strasse, und so erläutert es mir auch ein gebürtiger Kiewer, der als ausgebildeter Ökonom, wie er selbst sagt, momentan nichts anderes machen kann, als gleichzeitig noch zwei weiteren Tätigkeiten nachzugehen:

„Wir wollten dass die Korruption, die bereits so fest im Land verankert ist, endlich ein Ende findet. Wir waren es einfach leid, dass weder Krankenhäuser noch Verwaltungsbehörden oder die Vertreter der Politik ohne Bestechung ihren Dienst verweigerten.“

„Gut ausgebildet sind wir alle, aber so bezahlt, dass es zum Leben reicht, werden leider die wenigsten“, fügt er hinzu.

Nicht für die Annäherung an die EU haben die Menschen auf dem Maidan demonstriert. Die EU sei ein "nettes Nebenprodukt", aber das Hauptaugenmerk der Menschen vor Ort lag vor allem auf einer dauerhaften wirtschaftlichen und politischen Verbesserung im eigenen Land, insbesondere der Kampf gegen Korruption und Vetternwirtschaft. Das zumindest versichern mir alle Befragten.

 „Stellen Sie sich vor, Sie müssen zum Amt, egal aus welchem Grund. Und stellen Sie sich weiter vor, die Damen und Herren vor Ort versuchen alles, um Ihnen wo es nur geht Steine in den Weg zu legen. Genau so funktioniert das hier. Für einige Bestätigungen oder Änderungen müssen sie über Tage und Wochen warten. Ich habe da einfach keine Zeit für. Wann sollte ich da schließlich noch arbeiten? Und eben genau dann fängt man an, Teil des Ganzen zu werden und zu bezahlen.“

Dies gibt mir in einem Gespräch, ein in Kiew sehr erfolgreicher Direktor einer privaten Zahnarztklinik zu verstehen.

Zermürbt, so erklärte man mir vielfach, war die Bevölkerung von solchen Verhältnissen. Nach Reformen wurde verlangt und dafür standen wohl auch die Toten vom Maidan ein. Aber positive Veränderungen brachte ihr Tod nach allgemeiner Einschätzung schlussendlich nicht.

Janukowitschs Abgang sollte der Bevölkerung dazu dienen, wieder an ein selbstbestimmtes Leben ohne einen Koffer voller Bestechungsgeld, glauben zu können. Wie die Maden im Speck vergriffen sich die Politiker am eigenen Land. Heute sagen die Kiewer, zu sehr waren sie gewöhnt an die Frechheiten der Oligarchen in der RADA (ukrainisches Parlament), aber irgendwann war es dem „einfachen Mann“ dann doch zu viel.

Doch der Mensch ist und bleibt ein Gewohnheitstier. Fragt man, ob die Korruption nun der Vergangenheit angehört, erntet man lediglich ein müdes Lächeln.Ein Leben ohne Bestechung kann sich hier niemand vorstellen:

„Auf eine wirtschaftliche Verbesserung kann ich momentan nicht hoffen. Man weiß nicht was der morgige Tag bringt. Nichts scheint sicher. Wir haben uns gewünscht, dass das Leben mit der Maidan-Bewegung eine Verbesserung mit sich bringt. Doch heute muss ich sagen, es ist alles schlechter geworden, so schlecht wie nie zuvor.“

Ergänzt der junge Ökonom und schließt unser Gespräch mit den resignierenden Worten:

„Und ansonsten denk ich dass das Land in baldiger Zukunft einfach ausverkauft wird. Also alles was man verkaufen kann, wird auch verkauft.“

Auch wenn der Präsident der Ukraine im Ausland ein gerngesehener Gast zu sein scheint, wird er von seinen Landsleuten lediglich als „das kleinere Übel“ bezeichnet.

"Poroschenko ist eben ein Geschäftsmann, ein Oligarch, der weiß, wie der Hase läuft."

Das zu mindestens betont ein junger Mann, von breiter Statur, in der Uniform des Azow-Bataillions bei einem Gespräch mit mir in der Kiewer Metro.

Von Krediten aus der EU, der IWF oder Reformen hat vor Ort noch niemand etwas bemerkt. Wohin das Geld geht, dass die Bevölkerung irgendwann selbst zurückzahlen muss, kann sich hier jeder denken.

Ob die finanziellen Hilfen aus dem Westen jemals den Ukrainern selbst  zu Gute kommen sollten, hat man sich vor Ort gänzlich aufgehört zu fragen. So scheint das Land in einer profunden Hoffnungslosigkeit gefangen.

„Die einzige Idee die ich bezüglich der Kredite habe, ist das jegliche Ausgaben die für das Militär bestimmt wurden, also alle ausländischen Kredite, insofern investiert werden, dass die Politiker das Geld einfach in ihre Fabriken stecken um dann damit Kriegsausrüstung herzustellen (z.B. schusssichere Westen) und diese wiederum weiterverkaufen,“ mutmaßt ein älterer Herr auf der Straße und verweist auf die Waffenfabriken im Besitz des ukrainischen Präsidenten.

Doch unabhängig woher und wohin das Geld auch fließt, einen wirklichen Unterschied macht in seinen Augen das Ganze auch nicht mehr.

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