Wirtschaft

Handel, solange niemand hinsieht – Europa auf frischer Tat ertappt

Die russlandfeindliche Politik hindert die EU nicht daran, weiterhin ein großer Absatzmarkt für Russland zu bleiben. Experten betonen, dass milliardenschwere Handelsumsätze trotz zahlreicher Einschränkungen weiter bestehen. Allerdings ändert der kumulative Effekt der Sanktionen das Kräfteverhältnis.
Handel, solange niemand hinsieht – Europa auf frischer Tat ertapptQuelle: Gettyimages.ru © ffikretow

Von Nadeschda Sarapina

Erwartungen und Realität

Nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft hat das Handelsvolumen zwischen der EU und Russland 67,5 Milliarden Euro betragen. Für Russland sei dies der dritthöchste Wert nach China und Indien, berichtet die Bild. Russlands Gesamtexport in die 20 größten Handelspartner stieg um 18 Prozent auf 330 Milliarden US-Dollar an.

Moskau hat lange mit Europa zusammengearbeitet, und das lässt sich nicht einfach wegstreichen. Der Finanzanalytiker Michail Beljajew erklärt:

"Zu den USA haben wir Verbindungen nur in der Weltraumbranche und teilweise in der Energiebranche, deswegen löste sich alles schnell und schmerzfrei auf. Mit der EU gelang das nicht, selbst bei Energieträgern. Nach dem Verbot konnten sie etwa 15 Prozent des Defizits nicht ersetzen, wegen der Preissteigerungen brach die Industrieproduktion ein. Mit Düngemitteln, Metallen und Maschinen ist es noch schwieriger. Der Handel läuft weiter, allerdings über Zwischenhändler."

Russlands Export nach Deutschland verminderte sich um 92 Prozent. Dennoch beträgt der Handelsumsatz 9,5 Milliarden US-Dollar mit Deutschland sowie jeweils etwa sechs Milliarden mit Frankreich und den Niederlanden. Der Export nach Ungarn stieg sogar um ein Drittel auf 6,2 Milliarden US-Dollar an.

Die Zählmethode

Sergei Sainullin, Dozent an der Wirtschaftsfakultät der Russischen Universität der Völkerfreundschaft, erklärt: Sicher brach der Handel ein, denn die EU war Russlands erster Partner.

Laut Eurostat verminderten sich seit dem Jahr 2022 russische Exporte in die Alte Welt um 89 Prozent und die Importe um 61 Prozent.

Traditionell kaufte Europa Rohstoffe und verkaufte fertige Erzeugnisse. Olga Belenkaja, Leiterin der Abteilung für makroökonomische Analyse bei der Finanzgruppe Finam, erklärt:

"Über 60 Prozent der Lieferungen in die EU entfielen auf Nickel, Erdgas, Düngemittel, Öl und Schwarzmetalle. All diese Waren wurden auf die eine oder andere Weise sanktioniert. Auch der Gegenstrom an Autos, Elektrogeräten und Plastik verminderte sich drastisch. Ein Teil des Defizits wurde durch Importersatz gedeckt."

Dennoch gibt es kein völliges Embargo: Die EU kauft russische Energieträger über Drittländer weiter. Sainullin fügt hinzu:

"Außerdem steigt wegen der eigenen Betriebsschließungen der Import von Metallen und Mineraldüngern. Im Gegenzug kommen weiterhin chemische und pharmazeutische Produktion, Geräte und Instrumente."

Formell seien die Zahlen zwar eingebrochen, doch es gelte zu berücksichtigen, dass die Wirtschaft ungern Geld verliere und Schlupflöcher zur Umgehung von Verboten ausnutze, fügt Beljajew hinzu. Fertige Erzeugnisse, etwa Autos, lassen sich schwer auf einen anderen Markt umleiten. Deutsche Hersteller kürzen jetzt schon das Personal und stellen die Fließbänder still. Der Experte betont:

"Man muss sich zwangsläufig zu helfen wissen."

Die Aussichten

Dennoch denkt Brüssel über eine Änderung des Konfrontationskurses gar nicht erst nach. Das weitere, inzwischen 19. Sanktionspaket, richte sich gegen russische Banken und Kryptobörsen, eine Reihe von Rüstungsunternehmen sowie gegen indische und chinesische Unternehmen, meldet die EU-Chefdiplomatin Kaja Kallas. Zudem wurde der Kampf gegen die "Schattenflotte" verstärkt, insbesondere wurden Register von Flaggen und Schiffsbauern blockiert und Neuversicherungen von Schiffen verboten. Auf der schwarzen Liste landete Litasco Middle East DMCC – das in den Vereinigten Arabischen Emiraten ansässige Tochterunternehmen des russischen Ölgiganten Lukoil, das die Flotte versorgt.

Spezialisten zweifeln allerdings an der Effektivität dieser Verbote. Beljajew meint:

"Meiner Ansicht nach sieht dieses Paket eher wie eine formelle Erfüllung der Dienstvorschriften aus und wird kaum eine ernsthafte Auswirkung haben."

In der Perspektive riskiere die EU, die eigene wirtschaftliche Vormachtstellung zu verlieren, fügt Sainullin hinzu. In erster Linie werde sich die sinkende Nachfrage auswirken. Aufgrund der Krise in den Bereichen Energie, Metallurgie und Maschinenbau sowie des Chipmangels werde sich die Produktion verringern und die Selbstkosten werden steigen. Europa wird nicht mehr mit China, den Ländern Südostasiens und der Türkei konkurrieren können, vermutet der Experte. Dabei wird die Nachfrage nach strategischen Rohstoffen bleiben, also wird sich die Handelsbilanz zu Russlands Gunsten verschieben.

Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei RIA Nowosti am 29. Oktober 2025.

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