Wirtschaft

Die Ukraine reißt ganz Europa mit in ein schwarzes Energieloch

In letzter Zeit war die Ukraine zum x-ten Mal gezwungen, Notstrom von ihren europäischen Nachbarn zu kaufen. Allerdings gibt es immer weniger Anzeichen dafür, dass die Europäer dem Kiewer Regime diese Hilfe gerne gewähren, denn die ukrainische Energiekrise schwappt auf Europa über.
Die Ukraine reißt ganz Europa mit in ein schwarzes Energieloch© Getty Images / Robert Brook

Von Wladimir Dobrynin

Die russischen Raketenangriffe auf ukrainische Kraftwerke haben zu großen Schwierigkeiten bei der Energieversorgung nicht nur ukrainischer Unternehmen und Städte geführt. Vor dem Start der militärischen Sonderoperation und in ihren ersten Monaten exportierte die Ukraine große Mengen an Elektrizität in ihre europäischen Nachbarländer.

Inzwischen aber bittet Kiew die Europäer, den Strom in "die entgegengesetzte Richtung zu pumpen". Die Gründe dafür sind klar. Die Welt schreibt, dass Lastabwürfe innerhalb des Stromnetzes der Ukraine im kommenden Winter eine echte humanitäre Katastrophe auslösen und Millionen Einwohner des Landes zur Flucht nach Europa zwingen würden.

Am Montag haben ukrainische Experten Informationen über Schäden an Energieanlagen veröffentlicht. Nach Angaben von Igor Sirota, des Generaldirektors der ukrainischen staatlichen Wasserkraftgesellschaft "Ukrhidroenerho", gebe es im Land kein einziges Wasserkraftwerk mehr, das nicht angegriffen wird. Insgesamt hätten die ukrainischen Wasserkraftwerke 40 Prozent ihrer Kapazitäten verloren, während die Wärmekraftwerke mehr als 80 Prozent ihrer Kapazitäten eingebüßt hätten. Alexander Chartschenko, der Direktor des ukrainischen Zentrums für Energieforschung, erklärte, dass bei einer Zerstörung der Hochspannungsschaltanlagen, die die ukrainischen Kernkraftwerke versorgen, "ein großer Teil des Landes ohne Strom bleiben könnte".

Bereits den zweiten Tag in Folge wirbt die Ukraine um dringende Energiehilfe aus Europa. Es scheint so, als sei dies für die EU-Länder ein lukratives Geschäft. Zum einen, um mit Stromlieferungen zusätzliches Geld zu verdienen, zum anderen, um genau die Bedrohung zu verhindern, über die die Welt schreibt – die Verschärfung der Flüchtlingssituation.

Aber nein – wir sehen die Vorboten einer Energiekrise in Europa, und seltsamerweise wird der Alarm bezüglich des Problems sehr weit weg von der Ukraine geschlagen. Warum?

Der griechische Premierminister Kyriakos Mitsotakis gibt eine Antwort auf diese Frage. Sein Brief an die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, wird von der Financial Times zitiert. Der griechische Regierungschef teilt mit, dass der Strompreis im August auf dem Großhandelsmarkt seines Landes 130 Euro pro Megawattstunde (MWh) erreicht hat und damit 60 Euro pro MWh höher ist als im Vormonat. Mitsotakis schreibt:

"Einer der Gründe für den sprunghaften Preisanstieg war die Tatsache, dass sich die Stromexporte aus der EU in die Ukraine in diesem Jahr fast versechsfacht haben. Vor dem Krieg war die Ukraine ein Nettoexporteur von Strom.

Wir haben den Eindruck, dass es eine kleine Energiekrise gibt, über die niemand spricht. Die Aufsicht und Kontrolle des europäischen Strommarktes durch die EU-Kommission muss gestärkt werden, denn die derzeitige Situation ist eine 'unverständliche Blackbox' – selbst für Experten."

Weitere Faktoren, die zu dem erheblichen Anstieg der Strompreise in Südosteuropa beigetragen haben, waren geringe Niederschläge, die zu Dammbrüchen, sommerlichen Hitzewellen und Ausfällen in der heimischen Stromerzeugung führten. Mitsotakis fügt hinzu:

"Es gibt eine grundlegende Verzerrung auf dem südosteuropäischen Energiemarkt. Irgendetwas funktioniert nicht richtig. Ich erwarte keine sofortigen Lösungen, aber es sollte sich wenigstens jemand darum kümmern."

Es ist wichtig zu betonen, dass er mit seiner Forderung nach einer Senkung der Strompreise nicht allein ist. Wenige Tage zuvor hatte Mario Draghi, der ehemalige Chef der Europäischen Zentralbank, der mit der Erstellung eines Berichts über die Wirtschaft der EU beauftragt ist, davor gewarnt, dass die hohen Strompreise die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen beeinträchtigen. In seinem Bericht heißt es dazu:

"Die hohen Energiepreise sind zu dem Element geworden, das die Produktivität der europäischen Industrie untergräbt, mit Spitzenpreisen, die zwei- bis dreimal so hoch sind wie in den Vereinigten Staaten."

Dass die hohen Strompreise die Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen, ist noch nett ausgedrückt. Die stark steigenden Energiekosten (dank der Ablehnung von billigem Pipeline-Gas aus Russland) zwingen große Industrieunternehmen in der EU zur Verlagerung in die USA, wo Strom viel billiger ist.

In den vergangenen Tagen wurde die Presse in Europa durch Berichte erschüttert, dass der führende deutsche Automobilhersteller Volkswagen mehrere seiner Werke schließen möchte. Der Elektrokonzern Siemens Energy und das größte deutsche Chemieunternehmen BASF haben ihr Investitionskapital bereits von Deutschland in die Vereinigten Staaten verlagert. Milliarden von Euro dieser und mindestens 224 anderer deutscher Unternehmen werden in die US-amerikanische statt in die deutsche Wirtschaft investiert.

Die vollständige Abschaltung der Kernkraftwerke, die früher bis zu 20 Prozent des Stroms in Deutschland lieferten, hat ebenfalls zum Anstieg der Strompreise in Deutschland beigetragen. Die Kernkraftwerke wurden bereits 2002 als "besonders umweltgefährdend" eingestuft und mussten daher im Rahmen eines Programms zur Ökologisierung der Wirtschaft abgeschaltet werden.

In den 20 Jahren, die seither vergangen sind, ist es den Deutschen gelungen, ihre Netze von Wind- und Solarkraftwerken auszubauen, wobei sie etwa 600 Milliarden Euro in diesen Bereich investiert haben. Dies hat jedoch keine Stabilität auf dem Energiemarkt gebracht (aufgrund der Instabilität der erneuerbaren Energien selbst – Windstille, Wolken am Himmel oder Nachteinbruch). Laut einer Analyse europäischer Wissenschaftler, die im Sustainable Energy Journal veröffentlicht wurde, wären die Einsparungen bei den CO₂-Emissionen genauso hoch (25 Prozent) gewesen, wenn die gleiche Geldmenge in den Bau und die Entwicklung eines Netzes von Kernkraftwerken investiert worden wäre. Dabei hätte die Industrie aber 300 Milliarden Euro mehr an Finanzmitteln erhalten.

Die Ukraine hat bereits Stromlieferungen aus der Slowakei, Polen, Rumänien, Ungarn und Moldawien angefordert. Die ukrainische staatliche Energiegesellschaft "Ukrenerho" erklärte, dass "die Stromimporte aus Europa nur vorübergehend sein werden". Es gibt jedoch keine Anzeichen dafür, dass Russland die Intensität der Angriffe auf das ukrainische Energiesystem angesichts der Besetzung von Teilen der Region Kursk durch die ukrainische Armee verringern wird.

Dies bedeutet, dass der Bedarf der Ukraine an Stromimporten weiter steigen wird und die Probleme Europas im Energiesektor zunehmen werden.

Während die Behörden einiger osteuropäischer Länder ihre "Besorgnis" zum Ausdruck bringen und Briefe an Brüssel schreiben, hat die polnische Führung ihre Bereitschaft bekundet, Kiew mit Strom zu helfen. Da Polen jedoch derzeit Strom ganz nach dem Motto "wir haben selbst nicht genug" erzeugt, schlägt Warschau vor, das Problem durch die Inbetriebnahme stillgelegter kohlebefeuerter Wärmekraftwerke zu lösen.

Dies verstößt zwar gegen die Bedingungen des sogenannten "Big Green Deals" (eines europaweiten Plans zur Senkung der CO₂-Emissionen), aber man muss die Emissionen ja nicht zählen, wenn es um die Möglichkeit geht, einerseits die eigene Energiekapazität zu erhöhen und andererseits eine politische Geste eines Verbündeten zu machen  – genauer gesagt, um mit dem Verkauf von Strom an die Ukraine Geld zu verdienen und gleichzeitig Geldstrafen für die Nichteinhaltung des "Big Green Deals" zu vermeiden. Bei dieser Gelegenheit erklärte der polnische Premierminister Donald Tusk:

"Dies wird das Problem nicht global lösen, aber es wird den Ukrainern helfen, den Winter 2024/25 zu überleben."

Auch die Tschechische Republik ist besorgt über die bevorstehende Stromknappheit. Josef Sikela, der Industrie- und Handelsminister der Tschechischen Republik, hat bereits ein Schreiben an die EU-Kommissarin für Energie, Kadri Simson, gerichtet, in dem er seine Besorgnis über das bevorstehende Auslaufen des Abkommens über russische Gaslieferungen durch die Ukraine zum Ausdruck bringt. In dem Schreiben heißt es, dass "der Ersatz von russischem Gas durch aus anderen Ländern importiertes Flüssiggas die Kosten für die Stromerzeugung im Lande erhöhen wird".

Die Europäer sehen, dass die fortgesetzte Unterstützung der EU für die Militäraktion in der Ukraine die EU-Wirtschaft zunehmend wie ein Bumerang trifft. Aufgrund des Souveränitätsverlustes haben diese Länder jedoch keine andere Wahl, als ihrem Oberherrn, den Vereinigten Staaten, zu gehorchen. Europa steuert bewusst auf eine Energiekatastrophe zu und die Ukraine hilft dabei, wo sie nur kann.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 16. September 2024 zuerst auf der Website der Zeitung Wsgljad erschienen.

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