Russland öffnet der Blockchain die Pforten
Von Elem Chintsky
Im August wurde bekannt, dass Russland im kommenden November nicht nur das Bitcoin-Mining legalisieren wird – die ganze Finanzinfrastruktur des Landes wird auf "Blockchain-Freundlichkeit" umgeeicht. Wobei schon ab dem 1. September grenzüberschreitende Abrechnungen und der Börsenhandel mit Kryptowährungen im Rahmen eines sogenannten "experimentellen Rechtsprozesses" erlaubt ist. Letzteres bedeutet, dass im Laufe dieses Testlaufes Daten und Erfahrungen gesammelt werden, die dann in spätere Gesetzesanpassungen münden werden. Somit wurde einer Ära der Ungewissheit ein Ende bereitet. Betrachtet man die geplanten Reformen, so ergeben sich für Moskau viel mehr Vor- als Nachteile.
Aus den meisten Experten-Kammern hört man von der weltweit anmutenden, nahenden, interdisziplinären Finanzkrise, die sogar das Ende des US-Dollar-Paradigmas nach sich ziehen soll. Mit dem Tango zwischen Systemmedien und den Bürgern, welcher unter anderem um eine nie ganz verifizierte Rezession tänzelt, werden beschwichtigende wirtschaftswissenschaftliche Definitionsveränderungen betrieben. Stets ist dann die Rede von der parallel verlaufenden Genese des BRICS-Systems, das seit einigen Jahren offen an einem neuen, weitestgehend eurasischen Finanzstandard werkelt, zu dem sich mehr und mehr Länder hingezogen fühlen – darunter auch NATO-Mitglieder wie zuletzt etwa die Türkei.
Russland und China kaufen jährlich Rekordmengen an Gold für die eigenen Lager und vitalisieren damit im Hintergrund laufend ihre eigenen Nationalwährungen mit langwierigen Wertanlagen, die nationale Kreditfähigkeit und die Widerstandsfähigkeit gegen äußere, politisch motivierte Finanzmanipulationen. Die jüngst getroffene Entscheidung Moskaus bezüglich der Blockchain und ihrer zentralisierten und dezentralisierten Wertanlagen muss in diesem größeren Rahmen verstanden werden.
Die gerade erwähnten, externen Abrechnungen in Form von Kryptowährungen werden Importe erleichtern und als Alternative zum SWIFT-System dienen. Offensichtlich wird somit der Druck westlicher Sanktionen, der ohnehin in der "freien Welt" als viel schwächer als gewünscht empfunden wird, noch weiter gesenkt. Weiter zitiert RIA Nowosti einen Experten, der erklärt, dass "dies besonders wichtig ist, da sich die Banken [bisher] weigern, Zahlungen aus Russland anzunehmen, weil sie befürchten, unter sekundäre Sanktionen zu fallen."
Mit dem allgemeinen Schritt zur Legalisierung wird auch die Entwicklung von inländischen Kryptobörsen – also Plattformen, die im russischen Rechtsraum gegründet und betrieben werden – nicht nur die grenzüberschreitende Abwicklung vereinfachen und billiger machen. Auch die bisherige Unkenntnis über sowie die Berührungsängste mit den neuen digitalen Finanzinstrumenten werden innerhalb des russischen Verbrauchermarktes dramatisch gesenkt werden.
Von einer neuen, wachsenden Versiertheit mit der neuen Blockchain-Industrie würde die russische Gesellschaft insgesamt profitieren. Bisher blieben den russischen Bürgern nur ausländische Kryptobörsen, wie Binance oder KuCoin, um mit den neuartigen Finanzinstrumenten zu handeln oder in sie zu investieren. So wird also ein Beitrag zur Verbesserung der eigenen Fintech-Industrie geleistet und Russlands Wettbewerbsfähigkeit im globalen Finanzsektor gesteigert.
Es heißt, dass sowohl das Finanzministerium als auch die Zentralbank Russlands an der Einrichtung einer staatlich kuratierten, inländischen Kryptobörse arbeiten. Der bereits angekündigte "digitale russische Rubel" wird sicherlich von dort aus als eurasisches Pendant zu den westlichen digitalen Zentralbankwährungen (CBDC) emittiert. Angeblich sollen bereits die Meinungen einiger größerer russischer Marktteilnehmer eintrudeln, die einen solchen Schritt zu einer staatlichen Kryptobörse als logisch und notwendig erachten.
Zumal ähnliche Plattformen in anderen Ländern erfolgreich arbeiten und bisher nicht die Rede davon ist, dass man sich zwischen staatlich und privat gegründeten Börsen im Land entscheiden muss. Hier kommt indes die Frage der Regulierungen ins Spiel, zu denen es bisher wenig Einsichten gab. Zumindest solange die "experimentelle Phase" läuft, sind allzu große staatliche Besteuerungen oder monetäre Eigentumseingriffe nicht zu erwarten, da man an der Staatsspitze versteht, wie hemmend sich das auf die technologische Innovation auswirken könnte.
Auch hier ist das Potenzial für einen vorher nie vermuteten Fluss an ausländischen Investitionen immens, sofern Russland bei der Gestaltung dieses neuen Rechtsraumes klug und fortschrittlich genug vorgeht. Eines der Vorbilder könnte Singapur sein, das kürzlich der privaten Kryptobörse OKX eine lukrativ-exklusive Lizenz gewährt hat – nämlich eine sogenannte Major Payment Institution (MPI)-Lizenz, die in diesem Fall die singapurischen Finanzbehörden verleihen. Eine MPI gehört zu der umfassenderen Kategorie der "Lizenzen für Zahlungsdienstleister". Kurz gesagt, nicht jeder kriegt sie, was auf einen ambitionierten Wettbewerb hinter den Kulissen schließen lässt.
Grundsätzlich wäre in diesem Moment der Zeitenwende ein neues "Bitcoin-Wettrüsten" zu antizipieren, wenn man den Verlautbarungen eines Donald Trump Glauben schenkt, der die USA unter seiner zweiten Präsidentschaft in die "Krypto-Hauptstadt des Planeten" verwandeln möchte.
Eine der wohl eindringlichsten Schlussfolgerungen aus Russlands Entscheidung, sich institutionell und verbraucherrechtlich der Blockchain-Technologie und dem Kryptowährungsmarkt zu öffnen, ist, dass sich das ganze Unterfangen des Westens, sich sanktionspolitisch an Russland für seine Trotzigkeit und Eigenständigkeit zu rächen, umso mehr als vergeblich erweist.
Und hinzu kommt noch, dass Moskau mit der BRICS-Gruppe in nur wenigen Jahren einen unter anderem durch Gold gedeckten eurasischen Stablecoin – eine supranationale Zentralbankgeld-Einheit – entwickeln und emittieren wird. So öffnet sich ein neuer, finanztechnischer Raum, der den Russen noch mehr Optionen gibt, einen eigenen Weg zu gehen. Einer, dem sich jedes friedfertige, vernünftige Land jederzeit anschließen kann.
Elem Chintsky ist ein deutsch-polnischer Journalist, der zu geopolitischen, historischen, finanziellen und kulturellen Themen schreibt. Die fruchtbare Zusammenarbeit mit RT DE besteht seit 2017. Seit Anfang 2020 lebt und arbeitet der freischaffende Autor im russischen Sankt Petersburg. Der ursprünglich als Filmregisseur und Drehbuchautor ausgebildete Chintsky betreibt außerdem einen eigenen Kanal auf Telegram, auf dem man noch mehr von ihm lesen kann.
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