Wirtschaft

Eurozone ist "sicher gelandet" – in der Rezession

Die Eurozone ist offiziell in Rezession. Das Bruttoinlandsprodukt der zwanzig Länder der Einheitswährung ist nach Zahlen von Eurostat auch im ersten Quartal 2023 geschrumpft. Das Schrumpfen in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen definiert das, was Wirtschaftswissenschaftler als Rezession bezeichnen.
Eurozone ist "sicher gelandet" – in der RezessionQuelle: Gettyimages.ru © Wolfram Steinberg/picture alliance

Von Pierre Lévy

Diesmal ist das Urteil eindeutig. Die Eurozone ist offiziell in eine Rezession geraten. Die Zahlen wurden am 9. Juni vom offiziellen Institut Eurostat veröffentlicht: Das Bruttoinlandsprodukt der zwanzig Länder der Einheitswährung ist auch im ersten Quartal 2023 geschrumpft, wenn auch nur um ein Promille. Ein ähnlicher Rückgang war Ende 2022 festgestellt worden. Dieses Schrumpfen in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen definiert das, was Wirtschaftswissenschaftler als Rezession bezeichnen.

Zwar werden wirtschaftliche Phänomene immer von mehreren Ursachen bestimmt, aber ein Punkt steht wohl unbestreitbar fest, auch wenn sich die politischen Führer der EU in dieser Hinsicht natürlich bedeckt halten: Die von Brüssel gesteuerten Sanktionen gegen Russland (bisher zehn aufeinanderfolgende Pakete, die seit März 2022 beschlossen wurden) und die Gegensanktionen, die sie damit von Moskauer Seite provozierten, spielten eine entscheidende Rolle bei dem wirtschaftlichen Absturz der Eurozone. Und das, obwohl die Region nach dem heftigen Corona-Schock und den durch die COVID-19-Pandemie verursachten Engpässen in den Produktionsketten auf einen kräftigen Aufschwung hatte hoffen können.

Der drastische Anstieg der Energiepreise entschied das jedoch anders. Es muss betont werden: Es sind die aus politischen Gründen verhängten dramatischen Selbstbeschränkungen der Importe Öl-, Kohle- und Gaslieferungen, die das Wachstum der EU heute belasten, und nicht etwa der Krieg direkt.

Alle Analysten sind sich darin einig, dass der drastische Anstieg der Preise für jegliche Kohlenwasserstoffe als Rohstoff eine wichtige Rolle bei der Rezession gespielt hat. Zwar sind die Ölpreise heute wieder auf dem Rückzug (für wie lange?), aber die steigenden Energiepreise verbreiten ihre Auswirkungen immer noch in alle Euro-Volkswirtschaften und belasten die Länder dieser gemeinsamen Währung.

Die Folgen sind besonders deutlich bei der Inflation der Lebensmittelpreise zu sehen: Die Preise schossen im Mai 2023 um 13,4 Prozent in die Höhe. Der Agrar- und Ernährungssektor ist nämlich von den hohen Preisen für Treibstoffe, Düngemittel, die Heizung von Gewächshäusern, des Transports und anderswo stark betroffen. Über alle Sektoren hinweg verlangsamt sich zwar die Inflation in der Eurozone etwas, bleibt aber sehr hoch: im Mai 6,1 Prozent (im Jahresvergleich), 7 Prozent im April, wobei der Höchststand im November letzten Jahres bei 10,1 Prozent lag.

Die Haushalte mussten nicht nur die steigenden Kraftstoffpreise und die horrenden Heizkostenrechnungen dieses Winters bewältigen, sondern müssen sich also auch beim Lebensmitteleinkauf einschränken. Es überrascht nicht, dass der Konsum als der wichtigste Wachstumsmotor daher zurückgeht.

Hinzu kommt die restriktive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB): Die Bank hat ihren Leitzins in weniger als einem Jahr von minus 0,5 Prozent auf plus 3,25 Prozent angehoben. Ein beispielloser Anstieg, der übrigens am 15. Juni noch einmal um eine Stufe steigen könnte.

Die Banker der EZB in Frankfurt am Main rechtfertigen sich genau damit, dass sie die Inflation, die durch die Energiepreise ausgelöst wird, auf diese Weise angeblich bekämpfen wollen. Doch diese bewusst verordnete Zinserhöhung belastet die reale Wirtschaft stark. Denn der Anstieg der Kreditkosten betrifft nicht nur Hauskaufprojekte privater Haushalte, sondern ebenso die Investitionen von Klein- und mittelständischen Unternehmen (KMU).

Angesichts der Inflation sei die Rezession sogar ein "Teil der Lösung", erläuterte der Chef der Deutschen Bundesbank Joachim Nagel im Oktober letzten Jahres, was einigen europäischen Staats- und Regierungschefs gar nicht gefiel. Unter diesen Bedingungen könnte sich der Trend einer Rezession durchaus noch länger fortsetzen.

Ein sehr bemerkenswertes Element in diesem düsteren Bild stellt Deutschland dar, das besonders stark betroffen ist. Deutschland, das allein mehr als 30 Prozent der Wirtschaft des Euroraums ausmacht, verzeichnete im letzten Quartal 2022 einen Rückgang der Wirtschaft um sogar 0,5 Prozent und im ersten Quartal 2023 wiederum um 0,3 Prozent.

Doch dies ist keine Überraschung: Das Land ist stärker industrialisiert als der Durchschnitt seiner Nachbarn und war vor allem eines der Länder, die am stärksten auf russisches Gas angewiesen sind. Die selbstverschuldete plötzliche Abkehr von russischen Importen ist ein weiterer Beweis dafür, dass der Wille, "Moskau zu bestrafen", der besonders von Berlin hinausposaunt wurde, zwar Russland wahrscheinlich geschadet hat, sich aber mit Sicherheit auch gegen seine Urheber gewendet hat.

Teure Energieträger sind also ein Problem, das besonders die Bundesrepublik belastet (während die südlichen Länder wie Spanien oder Portugal, die weniger von Russland abhängig sind, eher weniger schlecht abschneiden; die französische Wirtschaft ihrerseits stagnierte in den letzten beiden Quartalen bei 0 Prozent und dann bei +0,2 Prozent).

Doch die energieintensiven Industrien in Deutschland sind im Jahresvergleich um 11 Prozent geschrumpft. Und immer mehr große Konzerne (einschließlich der Ikone VW wegen ihrer künftigen Batterieproduktion) sowie mittelständische Unternehmen forcieren ihre Pläne zur schnellstmöglichen Standortverlagerung. Laut einer kürzlich durchgeführten Umfrage des Bundesverbands der deutschen Industrie haben 16 Prozent der mittelständischen Unternehmen eine Standortverlagerung eingeleitet, und 30 Prozent planen diese.

Sie wollen nach Nordamerika, wo die Energiepreise viel niedriger sind. Dies hat den deutschen Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck dringend dazu veranlasst, sich neue Mechanismen zur Subventionierung der deutschen Stromgroßverbraucher auszudenken – Pläne, die bei der EU-Kommission in Brüssel aber auf wenig Gegenliebe stoßen könnten, sollten sie jemals umgesetzt werden.

Wie dem auch sei: Das geopolitische Paradoxon ist bemerkenswert. Auf der einen Seite posaunt das westliche Lager mehr denn je seine angeblich gefestigte Einheit hinaus. Aber wenngleich die USA energietechnisch praktisch nicht von Russland abhängig sind, so stehen die europäischen Verbündeten dabei an vorderster Front, um die Folgen ihrer eigenen Sanktionspolitik zu spüren. Washington gewinnt also in jeder Hinsicht.

So ist der Konsum in der Eurozone im Vergleich zu Vor-Corona-Zeiten (Ende 2019) um 0,9 Prozent zurückgegangen, während er in den USA um 8,5 Prozent gestiegen ist.

Historisch gesehen haben die wirtschaftspolitisch jeweils Verantwortlichen in Deutschland (also in Westdeutschland bis 1989) versucht, eine treue Ausrichtung auf "Uncle Sam" mit einer eigenen Politik auszubalancieren, die auch ihre eigenen globalen Interessen fördert. Das betraf nicht nur insbesondere die "Wiedervereinigung" des Landes mit der verhassten DDR, sondern auch die weitgehend friedliche "Erweiterung" der EU. Es ist offensichtlich, dass heute der transatlantische Flügel in Berlin die Oberhand gewonnen hat. Dies geht zulasten der ostwärts orientierten Kräfte (wie Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder) und vor allem auch der objektiven Interessen der deutschen Bevölkerung.

Es bleibt abzuwarten, wie lange das noch so weitergehen kann.

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