Die EU-Sanktionen werden bald die Wirtschaft erwürgen – die Frage ist nur: Wessen Wirtschaft?
Von Wiktorija Nikiforowa, RIA Nowosti
Das elfte Paket antirussischer Sanktionen, das uns von unseren europäischen "Partnern" vor fast einem Monat versprochen wurde, ist irgendwo verloren gegangen. Wir haben uns bereits darauf vorbereitet, es in ein "Paket mit Sanktionspaketen" (Wortspiel, denn "Paket" ist im Russischen auch der Begriff für Müllbeutel – d. Red.) zu packen, aber bisher gab es statt einer konzertierten Aktion eine Menge Streit, Diskussionen, Zweifel und Ängste.
Europa zappelt und zögert, denn mit den bisherigen Sanktionen hat es sich selbst schon sehr geschadet, und jetzt muss es sich noch weiteren Schaden zufügen. Es erinnert an eine Erzählung von Stephen King, in der ein drogensüchtiger Chirurg auf einer einsamen Insel gestrandet ist und beginnt, sich selbst Gliedmaßen zu amputieren, um nicht zu verhungern. Ein großer Vorrat an Heroin betäubt seine Schmerzen.
Europa hat nur eine ohrenbetäubende, wahnsinnige Propaganda über "Hilfe für die Ukraine" anstelle von Heroin, aber sie wirkt nicht gut als Schmerzmittel. Daher die Zweifel und das Zögern. Von der europäischen Wirtschaft ist nicht mehr viel übrig, und jetzt müssen die Europäer ihr noch ein Stück amputieren.
"Funktionieren Sanktionen überhaupt?", lautet die kühne Frage, die Al Jazeera neulich stellte. Eine gute Antwort darauf ist die inzwischen zweistellige Zahl der Sanktionspakete. Wenn man sich zähneknirschend ein elftes Paket ausdenken muss, bedeutet das, liebe Europäer, dass die vorherigen zehn dummerweise nicht funktioniert haben.
Besser gesagt, sie haben nicht wie erwartet funktioniert. Russlands Pro-Kopf-BIP ist im vergangenen Jahr um 22,3 Prozent gestiegen. Das Land ist in die Top Ten der größten Volkswirtschaften der Welt zurückgekehrt. Die Armut ist in rekordverdächtigem Maße zurückgegangen, und der Wohnungsbau hat in rekordverdächtigem Maße zugenommen. In Bezug auf Inflation und Verschuldung gehört Russland nun zu den erfolgreichsten Volkswirtschaften der Welt.
Gleichzeitig ist Deutschland – die anerkannte Lokomotive der EU – nun auch offiziell in die Rezession gestürzt. Es ist einfach erstaunlich: Einst war es dieser Dampflokomotive gelungen, Spanien, Griechenland und Portugal gleichzeitig aus der Zahlungsunfähigkeit zu ziehen – dafür hatten die lebensspendenden russischen Kohlenwasserstoffe im deutschen Kessel gesorgt. Doch die antirussischen Sanktionen, denen durch die Sabotage von Nord Stream durch die USA noch eins draufgesetzt wurde, haben sie entgleisen lassen. Jetzt wird die Rezession unweigerlich auch die anderen Waggons des europäischen Zuges von den Schienen werfen.
In vielen europäischen Ländern, die Sanktionen gegen Russland verhängt haben, waren die Inflation und der Preisanstieg höher als in unserem Land. Und das sind nicht nur trockene Zahlen. Dahinter verbergen sich Unterernährung, Krankheiten und Massensterben. Der Economist hat errechnet, dass in diesem Winter 68.000 Europäer in ihren Häusern an Kälte gestorben – erfroren – sind, weit mehr als im Jahr davor. Dabei handelt es sich zumeist um ältere Menschen, Rentner, die einfach nicht genug Geld hatten, um ihre Heizungen aufzudrehen.
Der französische Kultautor Michel Houellebecq wundert sich in einem Interview:
"Ich hatte eine russische Geliebte, und sie hat mir erzählt, dass selbst in den 90er-Jahren in Russland die Heizung nie abgestellt wurde."
Ja, Michel, wir hatten es nicht leicht, aber wenigstens mussten unsere alten Leute nicht erfrieren.
Um die Europäer zu trösten, hat die britische BBC kurzerhand eine "Dokumentar"-Serie über Russland in den 90er-Jahren gedreht. Dort kommen natürlich nur Dunkelheit, Warteschlangen und leere Regale vor. Es tröstet die Europäer, wenn sie sehen, wie schlecht die Russen leben. Sie wissen nicht, dass wir heute schon lange nicht mehr in jener Lage sind.
Man muss sich fragen: Gegen wen waren die Sanktionen gerichtet? Wirklich gegen Russland? Oder liegt hier eine Verwechslung vor?
Die besondere Gefahr des elften Sanktionspakets besteht für die Europäer darin, dass sie Drittländer "bestrafen" wollen, über die Russland seine Handelsbeziehungen mit dem Rest der Welt fortgesetzt hat. Unter diesen Ländern befinden sich jedoch Wirtschaftsgiganten wie Indien, China und Brasilien. Wie können sie "bestraft" werden? Wollen die Europäer den Handel mit ihnen einstellen? Sie werden mit den Schultern zucken und weitermachen. Europa wird sich wie die berüchtigte Witwe eines Unteroffiziers aus Nikolai Gogols "Revisor" wieder einmal selbst auspeitschen.
Eine weitere Gefahr besteht darin, dass Europa sich in ein Ghetto einsperrt, wenn es versucht, nicht-westliche Länder von Russland abzuschotten. Die mit Russland befreundeten Staaten erfreuen sich eines Wirtschaftswachstums – nicht umsonst haben die BRICS-Staaten im letzten Jahr die G7 beim BIP überholt –, während die unfreundlichen Staaten in der Isolation leiden und in aller Stille, langsam, an Kälte, Hunger und Deindustrialisierung zugrunde gehen. Das Schicksal des Euro als Reservewährung ist unter diesen Umständen höchst fragwürdig.
Die Chinesen beobachten das alles sehr genau, denn sie wissen, dass sie das nächste Ziel des Westens sind. Die Schwachstelle des riesigen Landes ist die große Nahrungsmittelabhängigkeit von seinen zutiefst feindlichen Partnern – vor allem den USA. Nun, China hat das zweite Jahr in Folge in frenetischem Tempo Lebensmittel aufgekauft, um sich für den Fall einer fast unvermeidlichen Konfrontation einzudecken.
Es ist kein Geheimnis, dass Russland mehr als einmal Militärtechnologie mit seinen chinesischen Partnern geteilt hat. Heute können wir mit China ein völlig einzigartiges Know-how teilen: wie man in einem Wirtschaftskrieg mit dem Westen überlebt und sich fortentwickelt. Das funktioniert wirklich.
Vor 100 Jahren hatten die europäischen Länder auf ähnliche Weise versucht, die junge Sowjetrepublik zu ruinieren und in die Knie zu zwingen. Sie hatten die diplomatischen Beziehungen abgebrochen, unsere Diplomaten ermordet, Sabotageakte inszeniert, Waffen an Terroristen geliefert und Embargos verhängt – fast so umfassend wie heute.
Das paradoxe Ergebnis der "höllischen Sanktionen" der 1920er-Jahre war gewesen, dass Europa in die Große Depression gestürzt war, während die Sowjetunion innerhalb weniger Jahre einen bis heute beispiellosen wirtschaftlichen Aufstieg vollzogen hatte und zu einer fortschrittlichen, technologisch hoch entwickelten Industriemacht geworden war, die den Weltkrieg gegen das industrielle Potenzial ganz Europas hatte gewinnen können. Können wir das wieder schaffen?
Übersetzung aus dem Russischen. Die Analyse ist am 5. Juni 2023 auf ria.ru erschienen.
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