Eine Analyse von Boris Akimow
"Das Geld regiert die Welt, allein das Geld, hab ich gesagt. Wer anderen Idolen folgt, im Wettrennen des Lebens, der hat verloren", diese Zeilen der Band N.O.M. aus Sankt Petersburg schienen mir in meinem Knabenalter nur ein Scherz zu sein. Bald wurde mir klar, dass es sich um keinen Scherz handelte, sondern um die Philosophie der zeitgenössischen Zivilisation. Die Wirtschaft treibt die Welt an. Das Kapital ist ihr Herz und Hirn zugleich. Und sollte an der Welt etwas nicht in Ordnung sein, so ist keine Heilung möglich, ohne einen chirurgischen Eingriff in die lebenswichtigen Organe der Zivilisation vorzunehmen.
Wir befinden uns in einer Situation, in der eine nachhaltige Entwicklung zum wichtigsten globalen Phänomen wird. Die Vereinten Nationen und andere internationale Organisationen widmen den Fragen der nachhaltigen Entwicklung zahlreiche Konferenzen, Berichte und Strategien. Jedes große globale Unternehmen hat eine eigene Strategie der Nachhaltigkeit. Jeder auch nur halbwegs anständige Politiker, jede Person des öffentlichen Lebens und jeder Geschäftsmann schließt sich dem Diskurs über nachhaltige Entwicklung an.
Die nachhaltige Entwicklung ist in gewissem Sinne eine neue säkulare Weltreligion. Generell anerkannt ist die Feststellung, dass der Mensch den Planeten nicht in dem bisherigen Umfang beanspruchen kann. Wir haben die Grenzen der Ausbeutung erreicht. Und das betrifft nicht nur den ökologischen Aspekt. Es schwindet nicht nur die biologische Vielfalt, sondern auch die soziale und kulturelle Vielfalt der Welt. Der Mensch an sich wird infrage gestellt. Die Globalisierung bringt die Menschheit in eine äußerst prekäre und verletzliche Lage, indem sie alle Arten von biologischer und kultureller Vielfalt zerstört. Die globale Welt schafft eine posthumane Realität, in der die "blühende Komplexität" der Weltkultur durch einen Raum des universellen Konsumenten ersetzt wird.
Wir beobachten das Verschwinden der kulturellen Vielfalt, wir verlieren die Polyvariabilität des menschlichen Lebens, es verschwinden Sprachen, Nationen, Ethnien für immer. Wir sind dabei, das jahrhundertealte Kulturerbe der Menschheit zu verlieren. Das sind alles Symbole und Zeichen einer neuen Ära – einer Ära höchst instabiler soziokultureller Entwicklung. Der russische Philosoph Konstantin Leontjew erklärte bereits Ende des 19. Jahrhunderts den "durchschnittlichen Europäer "zum Symbol des globalen Bürgertums", zum Feind dessen, was er die "blühende Komplexität" des Lebens selbst nannte. "Irdisch radikaler Kitsch" ist auch sein Begriff, mit dem er im kulturwissenschaftlichen Sinne die Herausbildung einer Konsumgesellschaft im 20. Jahrhundert vorwegnahm. Gerade die Entstehung einer Gesellschaft des endlosen Konsums hat zu dem grundlegenden Paradigma der Inkonsistenz geführt, in dem wir uns heute befinden.
In einem soziokulturellen Sinne tritt an die Stelle des Blütenstands einer facettenreichen Welt, in der es Dutzende und sogar Hunderte von menschlichen Identitäten gibt, eine einzige übergeordnete Identität des Verbrauchers. Wenn überhaupt diese neue menschliche (oder posthumane?) Identität ein Gefühl der eigenen Standfestigkeit und Wohlhabenheit erlangen kann, dann nur durch den Prozess des endlosen Konsums. Man könnte Descartes auf diese etwas banale Weise paraphrasieren: Ich konsumiere, also existiere ich. Worin liegt aber der Grund für dieses Modell der menschlichen Identität? Warum ist das, was gemeinhin als Erfolg bezeichnet wird, ein notwendiges Ergebnis des immer weiter steigenden Konsums?
Die fundamentalen Grundlagen der Konsumgesellschaft liegen in der Sphäre des Kapitals. Zu einem bestimmten Zeitpunkt nahm das Geld – eine sehr gute Erfindung der Menschheit, die als bequemes Tauschmittel entstand – eine hässliche Gestalt an. Eine Gestalt, die in gewissem Sinne eine eigene Subjektivität, eine eigene Logik angenommen hat, die alles andere überlagert. Es ist die Logik der Notwendigkeit einer unaufhörlichen Vermehrung des Kapitals. Das Geld kann nicht einfach sein. Es muss sich ständig vermehren, es muss ständig wachsen. Das Kapital ist es, was uns zu dem gebracht hat, was man als Quintessenz einer kaum nachhaltigen Entwicklung bezeichnen könnte. Das Wesen des Kapitals hat die Konsumgesellschaft hervorgebracht, die ihrerseits die ökologischen und soziokulturellen Grundlagen der menschlichen Zivilisation zerstört.
Der zeitgenössische geisteswissenschaftliche Mainstream-Diskurs geht von der Annahme aus, dass der gegenwärtige Stand des Geldes der einzig mögliche ist. Die dominierende Rolle des Finanz- und Bankensystems ist ein Dogma. Wie soll es anders sein? Die Menschheit als Ganzes neigt zu der Annahme, dass der aktuelle Stand der Dinge (hier meine ich den aktuellen Stand einer beliebigen historischen Epoche) der natürliche und einzig mögliche sei. Doch die Geschichte lehrt uns mit unerbittlicher Regelmäßigkeit, dass die Zukunft fast immer nicht das ist, was sie von heute aus zu sein scheint. Doch wir lernen es nicht. Dasselbe gilt für die Art und Weise, wie die Weltwirtschaft heute organisiert ist. Sie war nicht immer so. Und sie wird nicht immer so bleiben. Doch je eher wir uns der grundlegenden Gefahren bewusst werden, die von ihr ausgehen, desto eher werden wir in der Lage sein, uns zu transformieren. Möglicherweise werden wir größeren Katastrophen dadurch zuvorkommen.
Es gibt optimistische Anzeichen dafür, dass dies möglich ist, beispielsweise der Umstand, dass Geld als Hauptursache für eine nicht nachhaltige Entwicklung gesehen wird – und zwar nicht nur von unkonventionellen Philosophen und Träumern wie mir, sondern auch von systemnahen Akteuren wie der Club of Rome. Ein Vorstandsmitglied des Club of Rome, Bernard Lietar, hat ein Papier über "Geld und Nachhaltigkeit" verfasst. Lietar und seine Kollegen haben der Europäischen Union den Vorschlag unterbreitet, die Rolle des Geldes in der modernen Ökonomie zu überdenken. Die Kernaussage des Berichts lautet, dass Geld in seiner jetzigen Form die Menschheit unter keinen Umständen auf den Weg der nachhaltigen Entwicklung bringen kann. Dazu gibt es einige wirklich erschreckende Zahlen. Das Transaktionsvolumen im Devisenhandel übersteigt inzwischen vier Trillionen [US-Dollar] pro Tag. Der tägliche Export und Import von Waren beträgt weltweit etwa 2 Prozent dieses Volumens. Somit sind 98 Prozent der Transaktionen rein spekulativ. Dabei sind die Derivate noch gar nicht eingerechnet, die sich auf 800 Trillionen US-Dollar belaufen, das Achtfache des weltweiten Bruttoinlandsprodukts. Diese Zahlen veranschaulichen am besten die derzeitige Situation, die alles andere als nachhaltig ist. Dennis Meadows, ein amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler, kommentierte diese Zahlen anschaulich und aufschlussreich: "Das Finanzsystem ist der Hauptgrund dafür, dass unsere Gesellschaft auf einen ungezügelten Zusammenbruch zusteuert."
Die Globalisierung brachte uns zur Dominanz einer einzigen zentralen Währung. Inzwischen scheint sich die Situation vor unseren Augen langsam, aber sicher zu ändern. Auf jeden Fall geriet die Vorstellung ins Wanken, dass der Dollar als Fundament des gesamten globalen Finanzsystems mit der Zeit zu einer immer einflussreicheren und mächtigeren Kraft werden würde. Und diese Idee hat ein langes Leben hinter sich. Bereits zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts – lange bevor der US-Dollar wirklich zu einer bedeutenden internationalen Wertgröße wurde – hatte die Idee des US-Dollars als Symbol einer neuen Weltordnung die Gemüter ergriffen. Und nicht einfach irgendein dollarbasiertes Finanzinstrument, sondern der US-Dollar als eine Art nahezu mystischer Kraft, als ob er mit Subjektivität und einem eigenen Willen ausgestattet wäre.
An dieser Stelle möchte ich Michail Bulgakow zitieren, aus seinem Stück "Die Flucht". Das Zitat ist insofern bezeichnend, als dieser Archetypus der Weltwährung in das öffentliche Bewusstsein und die Weltkultur eingedrungen ist, noch bevor der US-Dollar wirklich eine entscheidende Rolle in der Weltwirtschaft zu spielen begann. Der Handelsminister, Genosse Korsuchin, sagt das: "Der Dollar! Der große, allmächtige Geist! Er ist überall! … Und da kommen sie! Sie kommen! Es sind zunächst Tausende, dann Millionen! Ihre Köpfe sind in Stahlhelmen gefangen. Sie kommen! Dann rennen sie! Dann werfen sie sich heulend mit der Brust gegen den Stacheldraht! Warum sie das getan haben? Weil der Dollar irgendwo beleidigt wurde! Doch nun ist Stille in der Welt. Und überall, in jeder Stadt, schmettern die Trompeten jubelnd! Er ist gerächt! Sie schreien nach dem Dollar!"
Eigentlich erinnert es daran, was wir gerade in der Welt beobachten können. Auf jeden Fall kämpft der "kollektive Westen", wie es jetzt heißt, mit genau solchen Absichten. Die Absicht, "Rache für die Beleidigung des göttlichen Dollars" zu nehmen. Bernard Lietar spricht im Bericht des Club of Rome davon, dass "wir an einer kollektiven Blindheit gegenüber unserem Währungssystem leiden. Und diese Blindheit betrifft die Hoheit der Idee einer zentralen Währung". Es herrscht die weitverbreitete Meinung, dass Gesellschaften schon immer ein Monopol auf eine einzige zentralisierte Währung errichtet haben. "In Wirklichkeit", so Lietar, "wurde in vielen Gesellschaften – wie im alten Ägypten und im mittelalterlichen Europa – eine Vielzahl von Parallelwährungen begünstigt. Dies führte zu einer größeren wirtschaftlichen Stabilität und zu mehr Wohlstand. Zu einer Wirtschaft, bei der die Gedanken der Menschen ganz natürlich auf eine weitaus entferntere Zukunft gerichtet waren".
Eine zentralisierte Weltwährung ist eines der wichtigsten Instrumentarien der Ausbeutung, das auf schnelle Ergebnisse abzielt und eine nachhaltige Entwicklung ignoriert. Die ganze Welt befindet sich in einem Zustand, in dem sie fast permanent Schulden tilgen muss, die durch ein zentralisiertes Geldsystem erzeugt wurden. Im Wesentlichen ist es eine Art "Antriebsriemen" für die Weltwirtschaft. Der Präsident von Nigeria, Obasanjo, hat sich zu den Schulden seines Landes geäußert: "Alles, was wir vor 1986 geliehen haben, belief sich auf etwa 5 Milliarden Dollar. Wir haben jetzt 16 Milliarden Dollar zurückgezahlt, und dabei sind wir immer noch 28 Milliarden Dollar schuldig. Wenn Sie mich fragen, was das größte Übel der Welt ist, würde ich sagen, der Zinseszins."
Aus dem Bericht des Club of Rome geht hervor, dass die Entwicklungsländer zu Beginn der 2000er Jahre für jeden Dollar, den sie an internationaler Hilfe erhielten, etwa 13 Dollar für Schuldentilgung ausgaben. In den vergangenen 30 Jahren haben die 60 ärmsten Länder der Welt 550 Milliarden Dollar an Kapital und Zinsen für 540 Milliarden Dollar ihrer Kredite gezahlt und sind noch zur Rückzahlung weiterer 523 Milliarden Dollar verpflichtet. In solch einer Situation sind nachhaltige Entwicklung und souveräne Entscheidungen definitiv kein Thema. Die internationalen Finanzinstitutionen mischen sich in die Angelegenheiten der Schuldnerstaaten ein, indem sie ihnen bestimmte Verhaltensmodelle in Bereichen wie Wirtschaft, Gesellschaftsordnung, Bildung und Außenpolitik vorschreiben.
In einem allgemeineren Kontext zwingt der monetäre Sektor sowohl Staaten und Unternehmen, als auch verschuldete Einzelpersonen, zu einer bestimmten Verhaltenslogik, nämlich zu kontinuierlichem Wachstum, ungeachtet der damit verbundenen ökologischen und sozialen Kosten. Die Ausbeutung im Hier und Jetzt zum Zweck der Kapitalvermehrung und des Kapitalwachstums. Das bedeutet nur eines: Das Konzept des Geldes muss neu überdacht werden. Dabei soll von einem geisteswissenschaftlichen Diskurs ausgegangen werden. Wir müssen anerkennen, dass die gegenwärtige Geldordnung der Hauptfeind der nachhaltigen Entwicklung ist. Die aktuellen wirtschaftlichen, politischen, ökologischen und moralischen Krisen können nicht mit denselben Ansätzen gelöst oder gemildert werden, die sie verursacht haben. Es bedarf neuer Ideen, unkonventionellen Denkens und eines Paradigmenwechsels.
Um eine Analogie aus der Evolutionstheorie aufzugreifen: Ein Fisch taucht aus dem Meer auf und entfacht ein Feuer. Der Fisch sollte aufhören, ein Fisch zu sein, um dieses Problem zu lösen. Wir müssen aus dem bestehenden Finanzparadigma aussteigen und neue Finanztechnologien schaffen, die uns zu einer nachhaltigen Entwicklung führen. Wir benötigen ein anderes Wesen des Geldes. Eine "blühende Komplexität" in der Welt des Geldes. Eine Vielfalt von Währungssystemen ist eigentlich die Antwort darauf, wo dieses alternative Wesen des Geldes zu finden ist – eine Absage an das Monopol eines zentralisierten Geldsystems und die Ermächtigung der lokalen Gemeinschaften, selbst die Quelle des Geldes zu sein. Dies bedeutet nicht die völlige Abschaffung der existierenden Währungen, sondern ermöglicht, Parallelwährungen zu schaffen.
In den vergangenen Jahren wuchs ein massiver und fast immer erfolgloser Erfahrungsschatz mit Kryptowährungen. Allerdings liegt der Grund für diese wenig optimistische Erfahrung einzig und allein darin, dass die neuen Währungen im Wesentlichen dasselbe Problem aufweisen, mit dem die heutige Welt konfrontiert ist: die Aufblähung des spekulativen Finanzsektors. Im Mittelpunkt der Kryptowährungen stand immer die Idee des schnellen Wachstums, der Zyklizität und all der Dinge, die bereits heute die Aussichten auf Nachhaltigkeit zerstören. Andererseits zeigt gerade das explosive Wachstum der Fintech-Branche, dass das Zeitalter der Währungsvariabilität unvermeidlich ist. Und solange wir das Wesen des Geldes, die Gründe für seine Entstehung und Legitimation, nicht ändern, wird die Vielzahl der Währungen die Situation nur verschlimmern.
Zusammenfassend müssen wir: a) akzeptieren, dass die Ära der zentralisierten Währungen zu Ende geht; b) die Gefahr der spekulativen Grundlage von Währungen im Allgemeinen erkennen, einschließlich der auf Spekulation basierenden Vielfalt von Währungen; c) neue grundlegende Ideen für den Aufbau von Wirtschaftsinstrumenten formulieren, die ein Vertrauensumfeld für neue Währungen schaffen, deren Ziel die nachhaltige Entwicklung der Menschheit ist.
Gerade die lokalen Gemeinschaften können die Quelle für neues Geld sein. Schließlich haben verschiedene Gemeinschaften und verschiedene Gebiete unterschiedliche Werte, und lokale Währungen könnten verschiedenen Zwecken dienen – gebunden an lokale Aufgaben, an die natürlichen Eigenheiten des jeweiligen Gebiets. Angesichts der Frage nach dem Separatismus lassen sich verschiedene Antworten darauf finden, warum es keine solche Gefahr ist. Der erste Gedanke, der einem in den Sinn kommt, ist etwa der Aufbau von Gemeinschaftswährungen, die ausschließlich auf einer nationalen Währungsplattform basieren. Für jede Transaktion in der Währung der örtlichen Gemeinschaft wird eine Provision an den Staatshaushalt gezahlt. Dies ist nur eine der Möglichkeiten.
Eine neue Welt, basierend auf der Diversität der lokalen kulturellen, sozialen und anderen Gegebenheiten, einschließlich der finanziellen, hat die Chance, endlich die spekulative Komponente der Wirtschaft zu überwinden und zu mehr Sicherheit und Stabilität zu gelangen. Das Geld soll nicht länger ein Götze sein, wie die eingangs erwähnte Band N.O.M. sang. Es sollte zu seinem ursprünglichen Sinngehalt gelangen, nämlich zu einem bequemen Tauschmittel zu werden.
Übersetzt aus dem Russischen
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