Exporte schwächeln: Deutschlands Außenhandel erstmals seit 1991 im Defizit
Wie die Wirtschaftsnachrichtenagentur Bloomberg am Montag berichtet, ist die Außenhandelsbilanz Deutschlands erstmals seit 1991 ins Negative gerutscht: Deutsche Verbraucher, Unternehmen und der Staat geben mehr für nach Deutschland eingeführte Waren, Güter und Dienstleistungen aus, als die deutsche Wirtschaft im Ausland an Erlösen erzielte.
Das Defizit summierte sich im Mai des laufenden Jahres auf immerhin rund eine Milliarde Euro. Im Ergebnis des Jahres 2021 führt das Statistische Bundesamt noch einen Außenhandelsüberschuss von 172 Milliarden Euro an.
Die Daten des deutschen Bundesamts für Statistik bestätigen das. Allerdings führt die Statistik im Mai noch einen nominellen Überschuss von 500 Millionen auf. Negativ ist der saisonal bereinigte Wert.
Den Grund sehen die Experten darin, dass inflationsbedingt die Kosten für die laufenden Importe im Mai um 2,7 Prozent gestiegen sind, während die Exporterlöse zugleich um 0,5 Prozent fielen. Für das Letztere dürften insbesondere die Auswirkungen der antirussischen Sanktionen, aber auch die allgemein weltweit schwächelnde Konjunktur, verantwortlich sein.
Die Preise für Importe wie Energie, Nahrungsmittel und von der Industrie verwendete Teile waren im Mai um mehr als 30 Prozent höher als vor einem Jahr, während die Preise für Exporte im selben Zeitraum nur etwa halb so stark stiegen.
Good Morning from #Germany, which is falling as an economic powerhouse on a global scale. Germany’s trade surplus is gone. Foreign trade balance came in at MINUS €1bn in May, which is the 1st negative print since 1991 due to its energy problems & weakness in manufacturing. pic.twitter.com/HnRBwNaQon
— Holger Zschaepitz (@Schuldensuehner) July 4, 2022
Auch wenn die Daten inflationsbereinigt weniger bemerkenswert aussehen, wird der Außenhandel immer noch einen negativen Beitrag zum deutschen Wachstum leisten, das ebenfalls in realen Werten berechnet wird, sagte Oliver Rakau, Wirtschaftswissenschaftler an der Oxford School of Economics in Frankfurt am Main, gegenüber Bloomberg. Angesichts steigender Lebenshaltungskosten und hoher Unsicherheit seien die Aussichten für den Handel "eher düster", warnte er.
Vorerst kann das Defizit der Außenhandelsbilanz der deutschen Wirtschaft kaum gefährlich werden: Nach drei Jahrzehnten großer Überschüsse im Außenhandel haben die Unternehmen und Haushalte fast ausnahmslos Ersparnisse angehäuft, die noch Jahre für den Ausgleich eines etwaigen Defizits sorgen können. Ausgeglichen werden kann ein Außenhandelsdefizit zudem durch gesteigerte Investitionen und durch Instrumente der Währungspolitik.
Das echte Risiko liegt hier in der Zahlungsfähigkeit der europäischen Schuldner: Das plötzliche Defizit der deutschen Außenhandelsbilanz kommt nicht den hauptsächlich europäischen Ländern zugute, die zuvor Jahrzehnte lang die Leidtragenden ihres Überschusses waren. Während deutsches Geld nun nach Russland und in andere außereuropäische Länder fließt, bleiben die vor allem südeuropäischen Handelspartner Deutschlands weiter auf ihren Schuldenbergen sitzen.
Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) sieht in den Zahlen vom Mai Warnzeichen für eine dauerhafte besorgniserregende Entwicklung. "Der Exportabschwung ist eingeläutet", sagte DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier der Mainpost. Die Exporteure seien immer weniger in der Lage, die durch Lieferketten bedingten Kostensteigerungen an internationale Kunden weiterzureichen, die Kunden schauen sich zunehmend nach günstigeren Alternativen um. Außerdem kämen wichtige Importgüter zur notwendigen Weiterverarbeitung häufig nicht an, insbesondere wegen der Corona-Lockdowns in China. Ein Ende der Preissteigerungen und Lieferkettenprobleme ist laut DIHK nicht in Sicht.
Dennoch ist nach 30 Jahren, in denen die deutsche Wirtschaft Europa dominiert hat, das plötzliche Außenhandelsdefizit auch so etwas wie eine "Zeitenwende" – vorausgesetzt, dass aus der Momentaufnahme im Mai eine Tendenz werden sollte.
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