Erderwärmung, Kriminelle oder Fahrlässigkeit: Warum brennen die Wälder in Sibirien?

Die Waldbrände in Sibirien haben in diesem Jahr gigantische Ausmaße erreicht. Das Feuer beeinflusst mittlerweile das Wetter in der gesamten Region und verlängert die Dürre noch weiter. Den Behörden wird zu langes Zögern bei der Löschung vorgeworfen.

von Wladislaw Sankin

Es brennt seit Wochen in mehreren Regionen Zentral- und Ostsibiriens. Smog hüllte ganze Städte ein, die Rauchwolken zogen sich bis nach Kasachstan.

Trotzdem sagte der Gouverneur der zentralsibirischen Region Krasnojarsk Alexander Uss noch am 28. Juli auf einem Forum, die Waldbrände seien ein natürliches Phänomen, und es sei nicht nötig, sie dort zu bekämpfen, wo durch sie keine unmittelbare Gefahr für Menschenleben bestehe. Außerdem sei es zu kostspielig, die Brände in entlegenen Gebieten zu bekämpfen.

Nur wenige Tage später hat Ministerpräsident Dmitri Medwedew bei einer Kabinettssitzung die örtlichen Behörden für mangelndes Verantwortungsbewusstsein bei der Brandbekämpfung gerügt. Man könne nicht ständig mit dem Finger nach oben zeigen, so der Ministerpräsident. Zu diesem Zeitpunkt waren schon das Katastrophenschutzministerium und das Militär mit der Löschung der Brände beauftragt. In den betroffenen Regionen wurde der Notstand aufgerufen.

Diesem Eingreifen gingen eine Internetpetition mit Hunderttausenden Unterschriften und eine Promikampagne für den Schutz des sibirischen Waldes voraus. Sogar die USA boten ihre Hilfe bei der Brandbekämpfung an.

In den ersten Augusttagen folgten die ersten Erfolgsmeldungen bei der Brandbekämpfung. Bis zu 20 Prozent der Brandfläche sei am 4. August durch Löschung aus der Luft unter Kontrolle gebracht worden, hieß es aus dem Verteidigungsministerium. Das Militär nahm Kameraleute in den Flugzeugen mit und zeigte, wie aus großen Flugzeugen Tonnen von Wasser auf die Waldgebiete abgeworfen wurden.

Für Anton Beneslawskij, den Leiter der Internationalen Projekte für Naturbrände bei Greenpeace, ist die Teilnahme des Militärs ein Zeichen für eine umfassende Systemkrise der Brandbekämpfung in Russland. So weit dürfe es gar nicht kommen. Außerdem sei die Bekämpfung von Bränden aus der Luft nur als Begleitmaßnahme geeignet, die effektivste Löschung finde am Boden statt. Bei dem aktuellen Ausmaß der Brände sei allerdings der Bodeneinsatz erheblich erschwert.

Die Gründe für das mangelhafte Krisenmanagement sieht die Umweltschutzorganisation in den massiven Einsparungen in der Forstwirtschaft, die in den Gesetzesänderungen des Jahres 2015 gipfelten, durch die sogenannte Kontrollzonen eingerichtet wurden.

In diesen Gebieten, die sich über Tausende Kilometer erstrecken, sei die Löschung der Brände nicht erforderlich. Ob ein Löscheinsatz stattfindet, können die örtlichen Behörden nach Schätzung der voraussichtlich anfallenden Kosten entscheiden. Alexander Uss, der zu Anfang zitiert wurde, hat ganz im Sinne dieser Gesetze gehandelt.

Nun will die Staatsduma diese Änderungen rückgängig machen – weil auch die in diesen Zonen entstehende Brände hohe Gesundheitsrisiken für Menschen bergen. Das ist aber erst im Oktober nach den Ferien möglich.

Ob dies Verbesserungen der Brandbekämpfung nach sich ziehen wird, sei allerdings fraglich, da die föderalen Waldschutzbehörden über mangelnde Befugnisse verfügten und unterfinanziert seien, so Beneslawskij. In der UdSSR war die Brandbekämpfung Sache der Union, sie wurde vom Staat großzügig finanziert und professionell ausgestattet.

Es gab eine viel höhere Dichte an Förstern pro Hektar Wald. Das Zusammenspiel der Forstarbeit der Förster in den gut zugänglichen sowie der Luftüberwachung der entlegenen Gebiete machte es möglich, Brände schon im Keim zu ersticken", sagte Beneslawskij im Gespräch mit RT.

Die Förster bekämen jetzt zu wenig Geld, und es sei schwer, die Jugend für diese Arbeit zu begeistern, klagt der Experte. Außerdem sei die Arbeit der Förster zu bürokratisiert.

"Die Katastrophe kommt nicht überraschend. Sie ist auch Folge davon, dass es nur noch wenig staatliche Aufsicht über die Wälder gibt", schreibt der langjährige Russland-Korrespondent verschiedener deutscher Medien Ulrich Heyden in einem Facebook-Eintrag. Im Jahr 2010 schrieb er eine Reportage über die Bekämpfung der bei Moskau wütenden Moorbrände. Damals berichtete er:

In Moskauer Blättern und auf Internetforen ist ausgiebig darüber berichtet worden, dass der 2007 in Kraft getretene neue Wald-Kodex, mit dem die Regierung privaten Forstpächtern völlige Handlungsfreiheit gewährt, ein Grund für das eklatante Ausmaß der Brände gewesen sei. Parallel zu dieser Aktion wurde die Zahl der Forst-Bediensteten von 170.000 Mitarbeitern auf 12.000 heruntergeschraubt und die Luftüberwachung komplett aufgelöst. Als sich nun die Feuerwalze durch Russlands Wälder fraß, schien das zuständige Ministerium völlig überfordert, sind doch die Männer des Katastrophenschutzes auf die Rettung von Menschenleben in Großstädten spezialisiert, nicht auf Naturkatastrophen.

Ein zweiter Faktor, der im Juli dieses Jahres zu gleichzeitigen Waldbränden auf einer Fläche von drei bis vier Millionen Hektar führte – hier schwanken die Angaben –, ist Beneslawskij zufolge der Klimawandel. Das Klima in Sibirien sei im Laufe der letzten Jahrzehnte trockener und wärmer geworden – im Juli lagen die Temperaturen vielerorts lange über 30 Grad –, und das bei wochenlanger Dürre.

Wildtiere fliehen aus dem brennenden Wald:

Mit jedem Großbrand verschwinde ein weiteres Stück intakten ausgewachsenen Waldes mit einem reichhaltigen Ökosystem. Aufforstung könne diesen Verlust nicht wettmachen, denn dem neuen Wald mangele es an Qualität.

Die Erholung des Waldes ist ein großes Problem. Der Wald misst sich nicht nur in Hektar. Den aufgeforsteten Wald kann man in seiner Qualität nicht mit einem gesunden, über Jahrhunderte gewachsenen Wald vergleichen. Dieser Wald spielt als Ökosystem eine große Rolle. Ein wertvoller Wald als System stirbt, in vielen Ländern gibt es keinen Wald mehr. Russland ist nicht das einzige Land, in dem die Wälder brennen", sagte Beneslawskij.

Diese Imbalance hatte in diesem Jahr ganz Sibirien zu spüren bekommen. Der abbrennende Wald verursachte laut Wetterexperten Hochdruckgebiete und drückte die Regenwolken in den Süden Sibiriens, wo es zu verstärkten Regenfällen kam, was bereits zu zwei verheerenden Überschwemmungen führte.

Da die Brände in der Regel in menschenleeren und schwer zugänglichen Regionen wüten, ist nun schwer zu ermitteln, ob der erste Funke von Menschenhand entstand, und falls dem so ist, ob es Vorsatz oder Fahrlässigkeit war. Ein Vertreter des Katastrophenschutzministeriums sagte unlängst, die Brandursache sei in der Regel Fahrlässigkeit im Umgang mit Feuer, denn oft entstünden die Brände in der Nähe einer Verkehrsstraße an einem Fluss oder an Land.

Die Fläche der Brände hat sich wegen der zu langen, durch ein Hochdruckgebiet bedingten Dürre vergrößert. Auch das Ausbleiben aktiver Maßnahmen zur Löschung der Brandherde hat dazu beigetragen, auch in entfernten Gebieten", sagte der stellvertretende Leiter des Zentrums für die Bekämpfung von Naturgewalten des Katastrophenschutzministeriums Sergej Abanin gegenüber Journalisten.

Er warnte davor, dass unvollständig gelöschte Brände zu Schwelbränden in Torfmooren führen können, was über den Winter zu Bränden im nächsten Jahr führen könnte. 

Staatsanwaltschaft, Ermittlungskommitee und Innenministerium wollen indessen die Version von vorsätzlicher Brandstiftung als "Methode zur Vernichtung von Indizien für gesetzwidrige Holzernte" überprüfen, heißt es in einer Regierungsmitteilung.

"Eine kriminelle Spur, die zu Brandstiftungen in Zusammenhang mit illegalem Abholzen des Waldes führt, von der die Behörden oft ausgehen, würde ich dagegen nicht überbewerten", sagte Beneslawskij im Gespräch weiter. Denn unabhängig davon, wie der Brand entstehe, wäre es bei einem funktionierenden System der Brandbekämpfung kein großes Problem gewesen, ihn kurz nach dem Entstehen zu löschen.

Nachdem offensichtlich geworden ist, dass es in Russland seit Jahren massive Systemfehler in der Brandbekämpfung gibt, müsste es spätestens in diesem Herbst einschneidende Gesetzesänderungen geben. Die Umweltschützer hoffen auch darauf, dass der Haushalt für die nächsten drei Jahre eine deutlich bessere Finanzierung der Waldschutzorgane vorsehen wird. 

Nach Angaben von Greenpeace gelangten durch die Brände in der sibirischen Taiga bereits 166 Millionen Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre. Dies entspreche den Abgasen, die 36 Millionen Autos jährlich ausstoßen. Der schwarze Kohlenstoff, der in der Atmosphäre landet, setze sich in der Arktis ab, was das Eisschmelzen beschleunige. Dies fördere wiederum den Klimawandel.

Die Brände in den Naturgebieten müssen ganz oben auf die internationale Agenda, sonst ist das Ziel, die Erderwärmung unter 1,5 Grad zu halten, nicht erreichbar", fasst der Umweltexperte Beneslawskij zusammen.