Pressekonferenz: Schlacht bei Prochorowka – neues Schlachtfeld im Informationskrieg gegen Russland?
Das Gespräch zu dem Thema "Schlacht bei Prochorowka – neues Schlachtfeld im Informationskrieg gegen Russland?" fand im Büro der Nachrichtenagentur Rossija Sewodnja in Moskau statt. Anlass war ein Anfang Juli in der Welt veröffentlichter Artikel, in dem der Autor erklärt, dass der Sieg der Roten Armee in der Schlacht bei Prochorowka von 1943 in Wirklichkeit eine Niederlage gewesen sei.
Teilnehmer des Gesprächs waren die Vorsitzende der Diplomatie-Kommission in der Gesellschaftlichen Kammer der Russischen Föderation, Jelena Sutormina, der wissenschaftliche Direktor der Russischen Militärhistorischen Gesellschaft Michail Mjagkow sowie der Direktor des Moskauer Büros für Menschenrechte, Alexander Brod. Alle drei waren sich einig, dass es sich bei dem Welt-Artikel um einen Desinformationseinwurf handelt, der Teil einer zielgerichteten Kampagne im Informationskrieg gegen Russland ist, der von den westlichen Staaten seit langer Zeit geführt wird.
Solche Kampagnen beginnt der kollektive Westen sehr gern dann, wenn sich ein für Russland bedeutungsvolles Ereignis jährt: Im kommenden Jahr, das in Russland als das 75. seit dem Sieg über Nazi-Deutschland zum Jahr des Ruhmes und der Andacht erklärt wurde, werde im Westen die Anzahl der Fake News und der Desinformationseinwürfe steigen und der Geschichtsrevisionismus aufblühen, prognostizierte Sutormina. Im Einverständnis mit ihr nannte auch Brod den Artikel bloß ein weiteres Fließbandprodukt feindseliger Propaganda.
Verfälschung – und Eigenarten der Verlustrechnung
Der Militärhistoriker Mjagkow setzte das im Welt-Artikel ohne jeglichen Kontext bewertete Gefecht bei Prochorowka wieder in den Kontext der großen Schlacht bei Kursk: Die Aufgabe, die die im Gebiet des Dorfes eingesetzten deutschen Verbände hatten – nämlich große Massen sowjetischer Truppen einzukesseln –, wurde nicht erreicht, die besten Stoßverbände der Deutschen wurden ausgeblutet und mussten sich zurückziehen, worauf bald Offensiven der Roten Armee folgten. Seltsam mutet dem Historiker auch die im Welt-Artikel vorgenommene Beschränkung des Gefechts auf nur einen Tag an, den 12. Juli 1943, obwohl es in Wirklichkeit mindestens vom 11. bis zum 16. Juli andauerte.
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Hier sei angefügt, dass der von manchen (vorwiegend deutschen) Historikern angeführte riesige Unterschied der Verlustzahlen (Rote Armee: mehrere Hundert Panzer, Wehrmacht und Waffen-SS: fünf Panzer) schlicht nicht der Wirklichkeit entspricht. Wäre er real, hätten die Deutschen gar keinen Anlass gehabt, sich wieder zurückzuziehen – was jedoch geschah.
Der kuriose Zahlenunterschied kommt durch jeweilige Eigenarten der Rechnungsführung auf beiden Seiten zustande, wenn es um Verluste ging: So galt bei der Roten Armee jede Maschine als verloren, wenn sie nicht nach kleineren Reparaturen durch Mechaniker der Einheit sofort wieder verfügbar war, sondern zur Reparatur die Einheit oder gar die Front vorübergehend verlassen musste. Im Gegensatz dazu steht die Verlustrechnung der Deutschen zur Zeit des Zweiten Weltkrieges, bei der ein Panzer, der wiederhergestellt werden konnte, grundsätzlich nicht als Totalverlust galt. Dies erklärte Mjagkow in einem Gespräch mit Sputnik.
Überhaupt müsse man sich auf reelle Daten aus den Archiven stützen, will man Gefechte wie das von Prochorowka betrachten, mahnte der Militärhistoriker bei der Pressekonferenz. Er wies darauf hin, dass russische Archive – allen voran das Archiv des Verteidigungsministeriums – im Moment dabei seien, in großem Stil Archivdokumente zum Zweiten Weltkrieg im Internet zu veröffentlichen. Jedem steht frei, sich mit den Fakten vertraut zu machen, die sich aus diesen Daten ergeben, so Mjagkow auf der Pressekonferenz bei Rossija Sewodnja.
Ist das heute nicht egal?
Warum es auch heute, fast 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges, wichtig ist, dass keine Unwahrheiten über die Schlachten dieser Zeit veröffentlicht werden, liegt klar auf der Hand: Von einer unsachgemäßen Neubewertung einzelner Schlachten ist es nicht weit zur Revision der Ergebnisse des gesamten Zweiten Weltkrieges, zur Umschreibung der Geschichte, zu revanchistischen Stimmungen und letztlich zu einem Wiederaufblühen braunen Gedankengutes.
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Der im Welt-Artikel vorgenommene Versuch, den Sieg der sowjetischen Seite im Gefecht bei Prochorowka einer Revision zu unterziehen, obwohl längst schon alles dazu gesagt wurde und bekannt ist, war anmaßend genug. Doch besondere Entrüstung rief bei allen Teilnehmern der Pressekonferenz der von Sven Felix Kellerhoff in seinem Artikel geäußerte Gedanke hervor, das Siegesdenkmal im Denkmalkomplex bei Prochorowka müsse als unangemessen wieder abgerissen werden. (Der Artikel wurde seitdem "entschärft" – die Abriss-Empfehlung verschwand, worauf Sputnik hinweist.)
Zielgerichtete russlandfeindliche Politik – zum Erhalt monopolarer Weltordnung
Der Welt-Artikel und andere Informationseinwürfe seiner Art sind Informationsangriffe und als solche Teil einer zielgerichteten russlandfeindlichen Politik, die von den Westländern betrieben wird. Bei dieser Politik geht es jedoch um mehr als Russland allein, betonte Sutormina – vielmehr ginge es den Urhebern dieser Handlungen um den Erhalt der absterbenden monopolaren Weltordnung.
Der keineswegs zufällige Charakter des Artikels von Kellerhoff äußert sich bereits darin, dass er in einem Medium wie der Welt erscheint, so der Militärhistoriker Mjagkow.
Brod wies in diesem Zusammenhang auf einen weiteren ähnlich skandalösen Artikel hin, der im Januar dieses Jahres in der Süddeutschen Zeitungerschien. Darin geht es um die Militärparade zum 75. Jahrestag des Durchbruchs der Blockade Leningrads; Autorin Silke Bigalke äußert in diesem Artikel ihren Zweifel an der Angemessenheit einer Militärparade – und stilisiert ganz nebenbei Stalin und die Sowjetführung zu Hitlers Mittätern.
Brod zufolge kann derartige Desinformation in den Medien nur dann als Waffe im Informationskrieg gegen Russland wirksam werden, wenn es mit der Geschichtsbildung an den Schulen nicht so weit her ist – doch genau das lässt sich im modernen Europa beobachten.
Zudem hat die Tendenz zum Geschichtsrevisionismus nicht nur die mediale Öffentlichkeit erfasst, sondern auch Teile der politischen Elite – und wird von dieser Elite erst in der medialen Öffentlichkeit salonfähig gemacht. Eine äußerst gefährliche Tendenz, findet Mjagkow.
Europäische "Jungdemokratien": Wo Geschichtsrevisionismus braune Blüten treibt
Die Tendenz zum Geschichtsrevisionismus zeigt sich allerdings nicht in Kerneuropa am unverschämtesten, sondern in einigen neuen EU-Ländern – in Polen, Estland, Lettland und Litauen. Vor allem die Regierungen der drei Staaten im Baltikum bringen bei jeder Gelegenheit zum Ausdruck, die Rote Armee habe diese Länder nicht etwa von Hitler befreit, sondern deren Besetzung durch die Sowjetunion eingeleitet. Als aktuelles Beispiel für solches Denken nannten die Teilnehmer der Pressekonferenz die am 11. Juli auf der Internetseite des lettischen Außenministeriums gut drei Monate im Voraus veröffentlichte Protestbekundung – gegen das für den 13. Oktober geplante Salutschießen, mit dem der Jahrestag der Befreiung Rigas von den Truppen Nazi-Deutschlands begangen werden soll.
Auch das litauische Außenministerium veröffentlichte auf seiner Internetseite im Voraus eine ähnliche Protestbekundung zum Salutschießen zur Begehung des Befreiungstags von Vilnius am 13. Juli und der Befreiung von Kaunas am 1. August.
Dabei lässt man gern unter den Tisch fallen, dass der Ende 1941/Anfang 1942 in Berlin ausgearbeitete Generalplan Ost für die Bevölkerung Estlands, Lettlands und Litauens ein nur geringfügig weniger schlimmes Schicksal vorsah als für die slawischen "Untermenschen", kritisiert Mjagkow.
Nicht zuletzt darf die litauische Regierung nicht vergessen, dass Vilnius samt Umgebung vor dem Jahr 1939 kurzzeitig von Polen besetzt war, zum polnischen Staatsgebiet zählte und Polen im Bezirk Vilnius eine Politik der Polonisierung betrieb, fügte der Historiker an.
Ablenken von eigenen Problemen und Einfluss der USA
Dafür, dass sich gerade in den baltischen Staaten ein so verfälschtes Geschichtsverständnis derart etablieren konnte, gibt es nach Ansicht der Konferenzteilnehmer zwei wesentliche Gründe. Erster Grund sind die beträchtlichen wirtschaftlichen Probleme, mit denen die baltischen Staaten zu kämpfen haben und nicht fertigwerden können – dies macht ein äußeres Feindbild notwendig, um die Gesellschaft irgendwie zu konsolidieren, erklärt Menschenrechtsaktivist Alexander Brod.
Den zweiten Grund für diesen offiziellen Geschichtsrevisionismus im Baltikum sieht Jelena Sutormina im starken Einfluss der USA, unter dem diese drei Länder stehen. Dass gerade dort die russischsprachige Bevölkerung dem stärksten Druck durch die Regierung ausgesetzt ist, der sich auch in diskriminierenden Gesetzen äußert, ist kein Zufall, so Sutormina.
Dafür, dass im Informationskrieg des Westens gegen Russland die USA die Schlachtpläne aufstellen, liefern diese selbst regelmäßig Beweise, betonte Brod: Erst vor Kurzem hat die US-Entwicklungsbehörde USAID einen Plan veröffentlicht, nach dem man die europäischen Alliierten der USA aus einer angeblichen russischen Umklammerung befreien wolle. Der Plan sieht die großzügige Finanzierung lokaler Medien vor, unterstrich Mjagkow.
Die Ergebnisse solcher Zusammenarbeit waren schon in der Vergangenheit zahlreiche Desinformationseinwürfe zu tagespolitischen Themen: Brod nannte als prominenteste Fälle die Vorwürfe, Russland habe bei den Ereignissen in Südossetien im August 2008 die Rolle des Aggressors gespielt, den Skripal-Skandal als Ganzen, die Vorwürfe angeblicher russischer Einmischung in Wahlen in den USA und anderswo und bezüglich des Absturzes der Maschine Flugnummer MH17 von Malaysian Airlines über der Ostukraine im Jahr 2014.
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