Russland

Reisebericht: Machatschkala am Kaspischen Meer  

Der Nordkaukasus ist  eine der interessantesten und vielfältigsten Regionen Europas. Das gilt nicht nur in Hinblick auf die Natur, das gilt vor allem in Hinblick auf die Völker und Kulturen des Kaukasus. Unser Gastautor Gert Ewen-Ungar hat sich auf den Weg gemacht.
Reisebericht: Machatschkala am Kaspischen Meer   Quelle: RT © Gert Ewen Ungar

von Gert-Ewen Ungar

Von der Region Krasnodar mit dem wundervollen Urlaubsort Sotschi am Schwarzen Meer erstreckt sich der Nordkaukasus über kleine, überwiegend oder ganz muslimisch geprägte russische Republiken wie Inguschetien oder Tschetschenien bis ans Kaspische Meer. Dort liegt die Republik Dagestan.

Es ist erstaunlich, wie unterschiedlich die Kulturen in dieser kleinen Region sind, es ist erstaunlich, wie diese große Verschiedenheit von den Bewohnenern miteinander gelebt wird.

In Tschetschenien dominiert die Religion. Man kann ohne Übertreibung sagen, das Zentrum Tschetscheniens ist die in Grosny stehende Achmat-Kadyrow-Moschee. Grosny ist wie eine islamische Spiegelung einer schwäbischen Kleinstadt. Alles ist peinlich sauber, jeder Grashalm wirkt gekämmt, alles hat seinen Platz, seinen Raum und seine Ordnung. Für alles und jeden gibt es Regeln, die von Religion und Tradition bestimmt werden.

Alkohol gibt es nicht, einzig im Fünf-Sterne-Hotel Grosny-City kann man Bier und Wodka erstehen. Grosny bietet sicherlich den Schutz einer Identität stiftenden Heimat und Tradition. Doch das, was der Eine als vertraute Heimat empfinden mag, ist dem Anderen Enge oder Begrenzung. Dann muss man als junger Mensch Tschetschenien verlassen, wie man die Schwäbische Alb verlassen muss, wenn einem diese Form von Heimat zu sehr auch soziale Kontrolle und Vorbestimmung durch die Tradition ist.

Tschetschenien zu verlassen ist nicht schwer, denn schon gut 40 Kilometer westlich von Grosny befindet sich Magas, die Hauptstadt Inguschetiens. 70 Kilometer östlich beginnt die Republik Dagestan. Alle drei sind islamische Republiken, doch die Unterschiede zwischen ihnen könnten größer kaum sein.

Als ich bei meinem Besuch in Inguschetien vom Flughafen zum Hotel fuhr, sagte mir damals mein Taxifahrer, er sei Tschetschene, lebe aber lieber in Inguschetien, denn es sei freier, eine richtige Demokratie eben. Dass das tatsächlich der Fall ist, wurde gerade an einem Konflikt deutlich. Die Regierung Inguschetiens hatte vor kanpp zwei Monaten einen Teil des eigenen Gebietes in einer vertraglichen Vereinbarung Tschetschenien übertragen. Die Bürger Inguschetiens protestierten mehrere Wochen aufs Heftigste, schließlich wurde das Verfassungsgericht der Republik angerufen. Das entschied, eine Gebietsübertragung könne nur durch ein Referendum, einen Volksentscheid legitimiert werden, die Vereinbarung sei verfassungswidrig und damit hinfällig. So läuft’s in Russland. Volksentscheide sind ein demokratisches Instrument der Politik, das deutschen Parlamentariern ja noch immer sehr fremd geblieben ist.

Ich besuche Dagestan. Mit dem Taxi geht es vom Flughafen in die Innenstadt. Mein Taxifahrer bietet an, mir in den nächsten Tagen Sehenswürdigkeiten zu zeigen. Ich möchte das lieber auf eigene Faust unternehmen. Was ich am wenigsten bei einem Besuch in einer islamischen Republik erwartet hätte, sind ausgedehnte Weinfelder. Der Weg vom Flughafen in die Innenstadt führt vorbei an großen Weinplantagen. Im Gegensatz zu Tschetschenien ist hier Alkohol nicht verboten. Im Gegenteil, es gibt hier einen Hang zum ausgiebigen Feiern.

Die Hauptstadt der Republik liegt direkt am Kaspischen Meer, ein ausgedehnter, sauberer und gepflegter städtischer Strand steht allen kostenlos zur Verfügung. Natur steht in Russland per Gesetz allen zur Verfügung. Das hatte beim Anschluss der Krim zur Folge, dass die von den Hotels okkupierten Strände am Schwarzen Meer jetzt wieder kostenfrei allen zur Verfügung stehen.

Machatschkala ist keine der großen russischen Metropolen. Die Stadt hat knapp 600.000 Einwohner und ist damit in etwa doppelt so groß wie Grosny, die Hauptstadt der Nachbarrepublik Tschetschenien.

Laut einer Umfrage sind die Menschen der Republik Dagestan die glücklichsten in der Russischen Föderation. Man muss solchen Erhebungen keinen Glauben schenken, aber es stellt sich bei einem ersten Spaziergang durch die Stadt sofort ein angenehmes, südländisches Lebensgefühl ein. Das Leben findet hier viel stärker auf der Straße statt als beispielsweise in Moskau.

In Dagestan leben zahlreiche Völker miteinander, es gibt 14 anerkannte Amtssprachen. Wie man ein Miteinander unterschiedlicher Kulturen und Völker lebt, dafür ist die Russische Föderation ein herausragendes Beispiel. Aus russischer Sicht erscheint die in Deutschland geführte Integrationsdebatte absurd und kleingeistig, daher wenig pragmatisch und zielführend in Hinblick auf die Herstellung eines friedlichen, gemeinsamen Miteinanders. Das gilt übrigens für den rechten Diskurs ebenso wie für den linken. Da ließe sich von Russland viel lernen, wenn man es denn wollte. Es ließe sich insbesondere lernen, dass Verallgemeinerungen und Stereotypisierungen nicht hilfreich sind.

Ich treffe Ali, den ich von meinem Besuch in Grosny kenne. Er ist mit dem Bus angereist, um mich zu treffen. Wir schlendern durch die Stadt, besuchen den städtischen Markt. Auf diesen Märkten, die in jeder russischen Stadt zu finden sind, gibt es alles. Von frischen Lebensmitteln aus der Region über Haushaltswaren und Kleidung bis hin zu Elektronik und Dienstleistungsangeboten. Es ist ein Vergnügen, über diese Märkte zu schlendern, sich im Labyrinth der Stände zu verlaufen und dabei Dinge zu entdecken. Der zentrale Markt in Dagestan ist besonders groß. Ali ist auf der Suche nach Schuhen. "Hergestellt in Dagestan" gilt in Bezug auf Lederwaren in der Region wohl als Qualitätsmerkmal. Ich wusste das nicht, Ali klärt mich auf. Wir essen in einem der in großer Zahl vorhandenen kleinen Restaurants. Die Küche ist deftig und vorzüglich.

Woher ich komme, möchte der Restaurantbetreiber von mir wissen. Aus Deutschland, antworte ich. Was man dort über Dagestan denken würde, fragt er mich. Ich rede mich höflich raus, denn ich habe das Gefühl, die ehrliche Antwort, der Großteil der Deutschen wüsste gar nicht, wo Dagestan liegt, ein erheblicher Teil hätte vermutlich noch nicht einmal von Dagestan gehört, scheint mir in dem Moment nicht angemessen. Die einzelnen Republiken der Russischen Föderation, ihre Vielfalt und Unterschiedlichkeit, all das kommt in unserer Berichterstattung über Russland nicht vor. Es dominiert die einseitige, oftmals verzerrte Berichterstattung über Putin, den Kreml und fokussiert allein auf das politische Moskau. Und dann gibt es natürlich noch das Lieblingsthema der deutschen Berichterstattung über Russland: Angebliche Probleme von Schwulen und die angeblich in Russland grassierende Homophobie. Russland ist im deutschen Mainstream weitgehend auf dieses Thema reduziert, das dann im Kern auch noch an der Realität gänzlich vorbei geht. Schade.

Auf unserem Spaziergang durch die Stadt kommen wir in eine Polizeikontrolle. Meine erste. In Russland herrscht - wie in Deutschland - Ausweispflicht, doch ich habe meinen Pass nicht bei mir. Er liegt im Hotel. Ich werde darauf hingewiesen, dass das nicht ginge, ich müsse meinen Pass bei mir haben, zumal ich Ausländer sei. Mein Akzent verrät mich immerhin ein bisschen. Ich gelobe Besserung. Woher ich komme, ist auch hier die Frage des Beamten. Aus Deutschland. Interessantes Land sei das, er hätte viel darüber gehört. Er kommt auf die Flüchtlinge zu sprechen. Ob es denn wirklich so viele seien, will er wissen. Eine Antwort wartet er nicht ab, wünscht mir alles Gute in Dagestan und bittet mich, gut über Dagestan zu erzählen, wenn ich wieder zu Hause bin, was ich hiermit tue. Eine seltsame Kontrolle - eine Kontrolle ohne kontrolliert zu werden, die dann noch in einem Smalltalk endet.

Machatschkala ist keine reiche Stadt. Der Lada-Indikator ist hoch. Der Lada-Indikator ist ein von mir entwickeltes Verfahren, das Rückschlüsse auf den Reichtum einer Region zulässt. Der Lada ist ein sehr günstiges, einfaches Auto, das in Russland in großer Zahl verkauft wird. Man kann den Wohlstand einer Region in Russland am Straßenbild ablesen. Je höher die Dichte der Ladas, umso weniger finanzstark ist die Region. In Moskau sieht man kaum noch Ladas. In Sankt Petersburg ebenfalls nicht. In Krasnodar nimmt die Lada-Dichte zu, bricht in Sotschi abrupt ein, steigt hinter Sotschi aber wieder rapide an. In Machatschkala sind viele Ladas unterwegs. Auch ganz alte Modelle aus der Zeit der Sowjetunion. In Machatschkala ist das durchschnittliche Einkommen niedrig. Laut Ranking ist es mit eines der niedrigsten in der Russischen Föderation. Der Lada-Indikator kann aber auch international Anwendung finden. Lada hat in diesem Jahr auf dem europäischen Markt deutlich mehr Wagen verkauft als im letzten, und auch in Deutschland nimmt die Nachfrage wieder zu.

Der Tag geht zu Ende. Ali und ich gehen noch ein bisschen am Strand spazieren und unterhalten uns. Wir sprechen über den Islam und die Europäische Aufklärung, besprechen die Ereignisse des Tages, versprechen uns ein baldiges Wiedersehen. Ali kann sich gut vorstellen, in Dagestan zu wohnen. Ich mir auch. Es gefällt mir hier. Ich werde in den nächsten Tagen die Region noch weiter erkunden. Ich plane nach Derbent zu fahren, in eine historische Stadt weiter im Süden der Republik.

Ali und ich verabschieden uns. Es ist immer ein bisschen schwer, denn wann wir uns wiedersehen werden, bleibt trotz allen guten Willens recht unklar.

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