Russland

Grosny - Phönix aus der Asche im Herzen Tschetscheniens

Nach zwei blutigen Kriegen lag die tschetschenische Hauptstadt Grosny in Schutt und Asche. Heute ist nichts mehr von der Zerstörung zu bemerken, die Stadt blüht auf und die massiven Wiederaufbauprogramme greifen. Es hätte aber auch anders kommen können.
Grosny - Phönix aus der Asche im Herzen Tschetscheniens

von Gert-Ewen Ungar

Im Zentrum der autonomen Republik Tschetschenien liegt deren Hauptstadt Grosny. Von Moskau aus ist die Republik Tschetschenien gut zu erreichen. Etwas mehr als zwei Stunden Flugzeit und man landet auf dem kleinen Flughafen. Nach weiteren zwanzig Minuten, so lange dauert die Fahrt mit dem Taxi, ist man in einer anderen Welt.

Die deutsche Berichterstattung malt ein eher düsteres Bild, wenn es um Tschetschenien geht. Krieg hat es dort lange Zeit gegeben, die Republik ist islamisch geprägt, Tschetschenen waren für einige Terroranschläge in Russland, aber auch außerhalb der Russischen Föderation verantwortlich. Der Republikchef Ramsan Kadyrow wird oftmals in Macho-Posen präsentiert, zeigt sich gern exotisch gekleidet und die Zitate, die ihm in den Mund gelegt werden, lassen dem liberalen Westler die Haare zu Berge stehen.

Umso erstaunlicher ist dann die Erfahrung vor Ort. Grosny ist eine wundervoll malerische Stadt. Im Zentrum, da, wo der Wladimir-Putin-Prospekt in den Achmat-Kadyrow-Prospekt übergeht, befindet sich das Zentrum des russischen Islam, die größte Moschee Russlands, die Achmat-Kadyrow-Moschee, die den Beinamen "Herz Tschetscheniens" trägt. Die Besichtigung der Moschee ist ein Muss für jeden, der nach Grosny kommt. Der hohe, offene Raum der Moschee, die herrschende Stille vermitteln dem Betrachter unmittelbar einen Eindruck von Friedfertigkeit und Größe.

Schon in der Namensgebung all der Straßen und Plätze lässt sich ablesen, wie hier alles politisch und patriotisch aufgeladen ist. Das hat seinen Grund. Der zweite Tschetschenienkrieg ging vor gerade mal zehn Jahren zu Ende. Am Ende des Krieges lag die Stadt Grosny komplett in Trümmern.

Über die Bildersuche bei Google lassen sich Zeugnisse davon finden, wie die Stadt damals aussah, diese geben einen Eindruck vom Ausmaß der Zerstörung. Umso erstaunlicher ist ihre heutige Gestalt. In Grosny ist alles neu, alles ist hochwertig, alles gepflegt.

"Unabhängigkeit - wozu eigentlich?"

Ein gigantisches Konjunkturprogramm wurde aufgelegt, die Stadt hochmodern wiederaufgebaut. So gelang es, die nach dem Krieg enorme Arbeitslosigkeit von über 40 Prozent auf ein erträgliches Maß zu senken. Aus Kämpfern wurden Arbeiter, Laden- und Restaurantbetreiber sowie Angestellte.

Ich besuche einen Barbier. Dort arbeitet Arthur. Wir kommen ins Gespräch. Arthur, so erzählt er mir, kommt aus Armenien. Seit knapp einem Jahr lebe er jetzt in Grosny. Es sei eine schöne Stadt, der Umzug habe sich gelohnt. Es gebe hier alles: Arbeit, Auskommen, ein gutes Leben. In seinem Heimatland Armenien sei die Situation schwieriger, die Arbeitslosigkeit hoch. Hier habe er eine Perspektive.

Spricht man heute mit den Bewohnern in Grosny und fragt sie nach dem Krieg, vor allem nach dem Grund und dem Ziel des Krieges - sie wissen sie nicht mehr. Viele Allianzen hätte es gegeben, viele Verschiebungen der Allianzen, von außen sei viel Einfluss von anderen Ländern genommen worden. Ich frage nach der Unabhängigkeit.

Wie soll das gehen?", fragt mich Abdullah, mein Gesprächspartner zurück. "Wir sind eine kleine Republik, um uns herum Russland, im Süden Georgien. Wie soll da Unabhängigkeit gehen? Und unabhängig von was? Von wem? Und wozu?"  

In der Tat, Tschetschenien ist klein. Von der Fläche her in etwa so groß wie Schleswig-Holstein, von der Einwohnerzahl gerade mal die Hälfte der Einwohnerzahl des deutschen Bundeslandes. 1,3 Millionen Einwohner hat die russische Kaukasus-Republik, praktisch jeder Vierte lebt in der rund 300.000 Einwohner zählenden Stadt Grosny.

Heute mutet die Idee der Unabhängigkeit absurd an. Wie würde Tschetschenien heute als unabhängiger Staat ohne die Hilfe aus Moskau aussehen?

Tschetschenien wurde kein Kosovo und kein Afghanistan

Das Kosovo liefert hier wohl ein Modell dafür, wie die Entwicklung auch hätte verlaufen können. Dieses Land wurde zu einer der ärmsten Gegenden Europas, korrupt, mit einem hohen Maß an organisierter Kriminalität, kaum staatlichen Strukturen, dafür aber einer ansehnlichen US-Militärbasis.

Tschetschenien, allen voran Grosny, ist das Gegenteil davon. Der öffentliche Sektor ist augenscheinlich ein wichtiger Arbeitgeber, die staatlichen Strukturen funktionieren, der künstlich über gigantische Investitionsprogramme in Infrastruktur, Kultur und Bildung erzeugte Aufschwung wird selbsttragend und die Region wurde befriedet und ausgesöhnt.

Selbstverständlich sind die Wunden noch nicht verheilt. Selbstverständlich ist noch viel Arbeit zu leisten.

Ramsan Kadyrow ist in allen sozialen Netzwerken aktiv, zumindest so lange man ihn lässt. Facebook und Instagram haben seinen Account gesperrt. Aber auf vk.com ist er noch zu verfolgen. Täglich. Man kann ihm beim Sport zuschauen, man kann ihn Geburtstagsgrüße übermitteln sehen, man kann ihn sehen, wie er den Beginn des Ramadans begeht. Und ja, das mutet manchmal fremd an. Aber seinem Publikum, den Tschetschenen, eben nicht. Und für die sind die Botschaften gemacht. Ihr zentraler Inhalt lautet: Frieden. Und weiter: Wir sind russisch, Teil der Russischen Föderation. Wir sind Muslime, wir sind Patrioten, wir sind Teil eines Ganzen, das Russland heißt.

Genau das macht das besondere Flair dieser Stadt aus. Hier mischt sich in ganz eigener Weise das Fremde mit dem Vertrauten. Hier gibt es Monumente zu Ehren der Helden des Zweiten Weltkrieges und ihres Sieges über den Faschismus. Hier gibt es eine durchwegs islamisch geprägte Kultur, die dennoch anders ist als die, die man im Westen kennt.

Alkohol ist kaum zu bekommen

Die Frauen sind auf eine besondere Weise emanzipiert. Der Sozialismus ging auch an Tschetschenien nicht spurlos vorüber. Viele tragen ein kleines Kopftuch, unter dem heraus das Haar elegant auf die Schulter fällt, zu knielangen Röcken und High-Heels. Es ist, als würden sich abends die Straßen und Parks in einen Laufsteg verwandeln. Die Familien flanieren abends auf dem zentralen Putin-Prospekt und im Park um die Moschee mit seinen zahllosen Fontänen und Wasserspielen.

Wir wissen von all dem nichts. Aus Tschetschenien erreichen uns nur schlechte Nachrichten. Ein Besuch dort ist umso erhellender. Vielleicht findet sich ja jetzt zur Fußball-WM der ein oder andere, der Interesse hat, dorthin fährt und sich von der Schönheit der Stadt und der Region beeindrucken lässt.

Nur eines ist tatsächlich wahr: Alkohol ist schwer zu bekommen in Tschetschenien. Einzig im Grosny City Hotel gibt es Bier, Whisky und Wodka. Aber vielleicht kann gerade das der Reiz sein: eine kleine Auszeit von der bierseligen WM zu nehmen. Pause machen, eine andere Welt betreten, sich mit ganz anderem beschäftigten. Möglichkeiten bieten sich viele. So lassen sich beispielsweise in der Tourismuszentrale in der Uliza Tschernischerwskogo geführte Ausflüge in die Umgebung und den Kaukasus buchen.

Werden auch Bagdad oder Tripolis in zehn Jahren so aussehen?

Und vielleicht liefert Grosny auch einen Ausblick auf das, was in Nahost geschehen wird. Vielleicht sehen wir in Grosny heute schon, wie die syrische Hauptstadt Damaskus in zehn Jahren aussehen wird. Die Investitionsprogramme werden gerade aufgelegt. Eines Tages werden wir dann die Stadt Damaskus mit Bagdad, Kabul und Tripolis vergleichen können, wo der Westen erst versucht hat, mit militärischen Mitteln Demokratie zu bringen und sie von grausamen Despoten zu befreien. Der Erfolgsvergleich wird vermutlich aufschlussreich sein und auch Aufschluss über die jeweils zugrundeliegende Motivation der involvierten Staaten geben.

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