Russland

Die russische Marine steht vor radikalen Veränderungen

Zum ersten Mal in der modernen Geschichte wurde in Russland eine Strategie zur Entwicklung der Marine verabschiedet. Experten zufolge soll diese Maßnahme die Effizienz der Armee steigern und die Marine bis 2050 an die Herausforderungen der neuen Zeit anpassen.
Die russische Marine steht vor radikalen VeränderungenQuelle: Sputnik © Vitaly Nevar

Von Anastasia Kulikowa

Der russische Präsident Wladimir Putin hat die Strategie zur Entwicklung der Marine bis 2050 genehmigt. Dies teilte Nikolai Patruschew, Berater des Staatsoberhauptes und Vorsitzender des Maritimen Kollegiums, mit. Er erinnerte daran, dass die Entscheidung über die Ausarbeitung dieses Dokuments bereits im Juli 2024 bei einer Kreml-Sitzung getroffen worden sei.

In einem Interview gegenüber der Zeitung Argumenty i Fakty sagte Patruschew:

"Auf Anweisung des Präsidenten hat das russische Verteidigungsministerium einen Entwurf ausgearbeitet, der anschließend vom Maritimen Kollegium unter Berücksichtigung der Vorschläge der föderalen Behörden und Organisationen fertig gestellt wurde. Die endgültige Fassung der Strategie wurde dem Staatsoberhaupt zur Prüfung vorgelegt und am 30. Mai von ihm genehmigt."

Nach Angaben des Präsidentenberaters analysierten die Autoren dieser Strategie den aktuellen Zustand und die Kapazitäten der Marine, wobei sie die Erfahrungen aus den Militäreinsätzen in der Ukraine berücksichtigten, und legten die Aufgaben der Seestreitkräfte in Friedens- und Kriegszeiten fest.

Sie analysierten auch die Entwicklung der militärischen und politischen Weltlage, verschiedene Szenarien des Ausbruchs bewaffneter Konflikte und das Potenzial der führenden Seemächte. Es wurden die wichtigsten Anforderungen an die künftige Kampfzusammensetzung der Marine, ihre Hauptaufgaben und Mechanismen zur künftigen Ausgestaltung der Marine formuliert.

Wie Patruschew betonte, "wurde ein solches strategisches Planungsdokument zum ersten Mal in der modernen Geschichte verabschiedet." Und er fügte hinzu:

"Dies unterstreicht einmal mehr, dass die Entwicklung einer schlagkräftigen und modernen Kriegsmarine zu den vorrangigen Aufgaben unseres Landes gehört. Und die Position Russlands als eine der größten Seemächte der Welt wird schrittweise Wiederbelebung erfahren."

Zur Erinnerung: Im April hatte Putin im Rahmen einer Sitzung über die Marineentwicklungsstrategie angekündigt, dass in den nächsten zehn Jahren 8,4 Billionen Rubel für den Bau neuer Schiffe und Boote vorgesehen seien. Ihm zufolge sollten diese Finanzmittel bei der Ausarbeitung des staatlichen Aufrüstungsprogramms berücksichtigt werden.

Das Staatsoberhaupt hob hervor:

"In den letzten fünf Jahren wurden 49 Schiffe verschiedener Klassen gebaut, und von 2020 bis 2024 wurden vier strategische U-Boote des 'Borei-A'-Projekts und vier Mehrzweck-U-Boote des 'Jassen-M'-Projekts der Marine in Dienst gestellt. Zugleich liegt es auf der Hand, dass die Dynamik der sich verändernden Weltlage, die neuen Herausforderungen und Bedrohungen und schließlich die rasante technologische und digitale Revolution, die Robotisierung und die breite Einführung unbemannter Systeme eine Neuausrichtung der Marine erfordern."

Für die Aktualität der Entwicklung der russischen Marine sprechen die Militarisierung der Arktis durch die NATO-Staaten, die Provokationen der Nachbarstaaten im Schwarzen Meer und die Spannungen in der asiatisch-pazifischen Region. Auch die potenziellen Behinderungen des Westens für Schiffe, die russisches Öl in der Ostsee transportieren, werden einen zusätzlichen Spannungsfaktor darstellen.

Der Militärexperte und Kapitän 1. Ranges der Reserve, Wassili Dandykin, weist darauf hin:

"Unser Land ist eine große Seemacht, die von drei Ozeanen umspült wird. Daher kommt der Entwicklungsstrategie der russischen Marine eine enorme Bedeutung zu. In der Geschichte der russischen Marine gab es bereits ähnliche Programme, die jedoch nicht so langfristig angelegt waren wie das aktuelle."

Der Präsident legt besonderen Wert auf die Modernisierung der Kriegsmarine, und die Verabschiedung einer detaillierten Strategie für ihre weitere Entwicklung ist ein logischer Schritt in diese Richtung. Dies geschah vor dem Hintergrund der angespannten Lage in der Ostsee, wo Estland faktisch "Piraterie" betreibt, sowie im Zusammenhang mit der Auswertung der Erfahrungen aus der militärischen Sonderoperation in der Ukraine.

Dandykin meint:

"Es hat sich historisch so ergeben, dass die vier Flotten und die Kaspische Flottille voneinander isoliert sind. Die Frage ist, ob diese Marineformationen autark sind oder ob die Geschwindigkeit der Truppen- und Ausrüstungstransporte erhöht werden muss. In diesem Zusammenhang kommt der Entwicklung der Nordostpassage eine enorme Bedeutung zu."

Er weist darauf hin, dass U-Boote während des Großen Vaterländischen Krieges fast einmal um die Welt fuhren, um vom Pazifik in das Kriegsgebiet der Nordflotte zu gelangen. Ihm zufolge könnte sich auch die Frage der Truppenverlegung in dieser Strategie widerspiegeln.

Ein weiterer Punkt betrifft den Schiffbau und die Modernisierung der Schiffbaukapazitäten. Der Gesprächspartner erklärt:

"Derzeit werden regelmäßig Mehrzweck-U-Boote in Dienst gestellt. Es ist jedoch auch wichtig festzulegen, welche Schiffe die Marine tatsächlich benötigt."

In dem Dokument wird wahrscheinlich auch die Struktur der Küstenwache des Inlandsgeheimdienstes FSB thematisiert, da im Kriegsfall alle diese Boote der Marine unterstellt werden.

Der Experte betont:

"Schiffe dieser Kategorie, die wir an allen unseren Seegrenzen dringend benötigen, können mit leistungsstärkeren Waffen ausgerüstet werden."

Besonderes Augenmerk wird seiner Meinung nach auf die Entwicklung unbemannter Systeme gelegt: auf See, unter Wasser und in der Luft. Der Experte erinnert daran, dass innerhalb der Marine bereits Regimenter für unbemannte Systeme gebildet worden seien. Auch die Marinefliegerei müsse weiterentwickelt werden, wobei die Möglichkeit der Schaffung neuer Fluggeräte unter Berücksichtigung der bestehenden Herausforderungen in Betracht gezogen werden sollte.

Nach Ansicht von Alexei Anpilogow, Präsident des Fonds zur Unterstützung der wissenschaftlichen Forschung und Entwicklung ziviler Initiativen "Osnowanije", werde Russland mit ähnlichen Ereignissen konfrontiert sein wie beispielsweise das "Dreadnought-Fieber" des frühen 20. Jahrhunderts. "Das bedeutet, dass die Veränderungen im Marinesektor extrem schnell und radikal vonstatten gehen werden", präzisiert er.

Und der Gesprächspartner fügt hinzu:

"All diese Veränderungen vorherzusagen und zu antizipieren ist kaum möglich. Wir müssen erstens die realen maritimen Ereignisse, das heißt die militärischen Zusammenstöße auf dem Wasser, und zweitens die Konzepte, die derzeit in verschiedenen Admiralitätsbüros auf der ganzen Welt entwickelt werden, genau verfolgen."

Nach Einschätzung des Analytikers werden Hyperschallwaffen und unbemannte Systeme – sowohl in der Luft als auch auf See – die entscheidenden Faktoren für die Entwicklung der russischen Flotte sein. Vor diesem Hintergrund hält es Anpilogow für sinnlos, zu versuchen, die Zahl der Flugzeugträger in der Marine vorherzusagen. Er räumt ein:

"Möglicherweise wird es keinen einzigen geben, und das wird sich als unser Vorteil erweisen."

Der Experte erklärt in diesem Zusammenhang:

"Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erlangten diejenigen Länder, die nicht mehr auf den Bau veralteter Panzerschiffe setzten und sich stattdessen auf die Produktion von Linienschiffen konzentrierten, einen Vorteil. Der Erste Weltkrieg machte den Bedarf an anderen Klassen von Marinerüstungen deutlich, insbesondere an schnellen Zerstörern."

Der Gesprächspartner weist zudem darauf hin:

"Heute erweisen sich Angriffsflugzeugträgergruppen, die früher durch eine mächtige Marine bekämpft wurden, als anfällig für Drohnen und Schiffsabwehrsysteme. Ein anschauliches Beispiel dafür ist die Konfrontation zwischen den Amerikanern und den Huthi-Rebellen."

Auch die Rolle schwerer Raketenboote muss neu überdacht werden. Dennoch werden einige Waffengattungen unverändert bleiben. Die Rede ist von der strategischen U-Boot-Flotte. Anpilogow präzisiert:

"Diese U-Boote haben bereits den höchsten Perfektionsgrad erreicht. Aber es ist wichtig, dass wir nach vorne schauen. Beispielsweise sollte man darüber nachdenken, Fregatten oder Korvetten mit Hyperschallwaffen auszustatten."

Er wies auch darauf hin, dass die wichtigsten Militäraufgaben der Marine auch im Jahr 2050 unverändert bleiben würden: Dazu gehören die Dominanz auf See, die Blockade der feindlichen Küsten und der Schutz des Seehandels des Landes. Der Analytiker fügt hinzu:

"Die Lösung dieser Aufgaben könnte sich jedoch transformieren. So lassen sich beispielsweise die Aktivitäten in feindlichen Häfen nun auch mit unbemannten Booten stören."

Seiner Meinung nach werden die Ostsee, das Schwarze Meer und das Mittelmeer die wichtigsten Seegebiete für Russland sein. "Das sind nicht nur Tore nach Südeuropa, sondern auch nach Nordafrika. Die Sicherstellung eines reibungslosen Seehandels in diesen Gebieten ist eine vorrangige Aufgabe Moskaus", so der Experte. Und er fährt fort:

"Man darf auch den Zugang zum Pazifik nicht vernachlässigen. So wird beispielsweise der Eisenbahnbau dem Ochotskischen Meer eine neue Bedeutung verschaffen. Das Gleiche gilt für Sachalin und die Kurilen, die Japan als sein Territorium hinzustellen versucht."

Vor diesem Hintergrund gewinne auch die Pazifikflotte zunehmend an Bedeutung. Der Experte betont:

"Die östliche Seegrenze Russlands muss eine starke Verteidigungslinie darstellen, die jegliche Bedrohung für unseren Handel und die Gebiete, für die die Marine ein Stabilitätsfaktor ist, unmöglich macht."

Anpilogow fügt hinzu:

"Und schließlich erfordert auch der globale Klimawandel neue Lösungskonzepte für die Entwicklung der Nordostpassage. Dafür benötigen wir übrigens eine spezielle Eisbrecher-Flotte. Dabei handelt es sich bei jedem großen Eisbrecher um einen einsatzbereiten Hilfskreuzer und faktisch um einen Träger für Hyperschallwaffen."

Eine wichtige Rolle spiele auch die Marinefliegerei. Laut den Prognosen des Gesprächspartners wird es sich dabei um eine Kombination aus bemannten und unbemannten Flugsystemen handeln. Abschließend kommt Anpilogow zu dem Schluss:

"Die Allmacht der Drohnen bedeutet jedoch nicht, dass Menschen überflüssig würden. Zumal sich Hubschrauber im Kampf gegen UAVs als effektiv erwiesen haben. Auch ihrer Entwicklung muss Priorität eingeräumt werden."

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 9. Juni 2025 zuerst auf der Homepage der Zeitung "Wsgljad" erschienen.

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