Ein verbotenes Spiel: Kiew setzt auf chemische Waffen
Von Andrei Koz
Ein Päckchen Gift
Operative Aufnahmen des FSB zeigen, wie ein Mann in dunkler Jacke und mit aufgezogener Kapuze etwas aus einem Schneehaufen im Hinterhof einer Garagenanlage hebt und den Bürgersteig entlanggeht. Mitarbeiter der Ordnungskräfte laufen ihm entgegen. Der Verdächtige schafft es noch, seine Last loszuwerden, er wird aber gleich festgenommen und die Stelle, an der das Paket fiel, im Video festgehalten.
Im Paket liegen zwei Behälter mit einem starken Gift. Wie der Agent des ukrainischen Geheimdiensts während der Erstbefragung gestand, sollte er gegen Entlohnung eine toxische Flüssigkeit in Luftleitungen von Autos der Mitarbeiter eines der Rüstungsbetriebe im Gebiet Jaroslawl eingießen. Beim Einatmen ruft diese eine Verätzung der Lungen hervor, das Opfer erstickt. Den Auftrag nahm der Terrorist sofort an, wohl wissend, dass er mit der Ausführung einen Massenmord begehen würde.
Zunächst betrieb der Agent Aufklärung – er beobachtete von allen Seiten den Parkplatz des Objekts und leitete die Information an seinen Kurator weiter, wofür er per Überweisung 10.000 Rubel (umgerechnet knapp 95 Euro) erhielt. Darauf wurden ihm Koordinaten und ein Foto des Verstecks übersandt. Während dieser Phase stand er bereits unter Beobachtung russischer Geheimdienste, die am Versteck eine verborgene Kamera anbrachten. Kurz nachdem der Agent das Paket in die Hände genommen hatte, wurde er festgenommen.
Der Festgenommene ist ein ideales Objekt für Anwerbung durch den SBU. Um das zu verstehen, reicht ein flüchtiger Blick auf seine Profile in den sozialen Netzwerken. Ständige Unzufriedenheit mit der Lage in Russland, der militärischen Spezialoperation, dem wirtschaftlichen und politischen Kurs der Regierung, Mordaufrufe gegenüber Mitarbeitern der russischen Behörden. Letztere reichen bereits für eine Verurteilung, doch zunächst war der Terrorist nicht ins Blickfeld der Strafverfolgung geraten.
Der FSB gab den Typ des für den Anschlag vorgesehenen Gifts nicht bekannt. Zu chemischen Kampfstoffen gehören beispielsweise Phosgen und Diphosgen. Sie wurden aktiv während des Ersten Weltkriegs eingesetzt und am Vorabend des Zweiten Weltkriegs vorsorglich gelagert. Phosgen ist farblos und fast geruchlos. Soldaten bemerkten den Gasangriff oft nicht, und wenn sie zu ersticken begannen, war es schon zu spät. Der Großteil der chemischen Arsenale wurde vernichtet, doch einige blieben erhalten. Außerdem ist dieser Kampfstoff leicht herzustellen.
Wahrscheinlich erhielten die ukrainischen Geheimdienste das Gift von ihren ukrainischen Kuratoren. Davor hatte der Leiter der russischen ABC-Schutztruppen, Generalleutnant Igor Kirillow, der bei einem Terroranschlag am 17. Dezember 2024 ermordet wurde, mehrmals gewarnt. US-amerikanische und britische Geheimdienste eigneten sich die Taktik von Provokationen mit Chemiewaffen bereits in Syrien an. Nun experimentieren sie mit Händen der Ukraine an Russland.
Kampf-Halluzinogen
Es sei anzumerken, dass ukrainische Geheimdienste Anschläge mit chemischen Kampfstoffen nicht zum ersten Mal versuchen. Noch im März des vergangenen Jahres hatten Mitarbeiter des FSB drei ukrainische Agenten in Melitopol festgenommen, die einen Terroranschlag vorbereiteten. Die Giftstoffe erhielten sie aus dem von Kiew kontrollierten Teil des Gebiets Saporoschje und hätten sie in einer Soldatenkantine zu Suppe oder Saft hinzugeben sollen. Die Prüfung stellte fest, dass es sich beim Gift um Methadon, ein wirkungsstarkes synthetisches Opioid, sowie um den chemischen Kampfstoff BZ (3-Chinuclidinylbenzilat) handelte. Ersteres ist bereits in kleineren Mengen potenziell tödlich. Der zweite Stoff hat eine psychotrope Wirkung.
BZ ist nicht tödlich, er hat die Aufgabe, das Personal für einige Zeit außer Gefecht zu setzen. Er greift das zentrale Nervensystem an, stört die psychische Aktivität des Menschen und ruft vorübergehende Blindheit und Taubheit hervor. Militärangehörige, die mit diesem Stoff vergiftet wurden, leiden an visuellen und akustischen Halluzinationen.
Hätten die Terroristen von Melitopol ihr Ziel erreicht, hätte die Einheit bestenfalls ihre Kampffähigkeit für zwei bis drei Tage verloren. Im schlimmsten Fall hätten die Soldaten in einem Anfall der Psychose sich gegenseitig getötet. Den Stoff erhielt das ukrainische Militär aus den USA. Der einzige Betrieb, der BZ herstellt, befindet sich in der US-amerikanischen Stadt Edgewood und produziert bis zu 20 Tonnen BZ pro Jahr. Eine Untergrundproduktion ist nicht möglich, weil der Präkursor von 3-Chinuclidinylbenzilat nicht in Hausproduktion hergestellt werden kann.
Die USA setzten BZ erstmals in Vietnam ein, die Ergebnisse werden geheim gehalten. Das Pentagon beschränkte sich einzig auf die Phrase, dass die Erfahrung positiv gewesen sei. Darüber hinaus meldete im April 2018 Russlands Außenminister Sergei Lawrow, dass Experten des Schweizer Instituts für ABC-Schutz in Spiez, die Proben vom Ort der Vergiftung von Sergei und Julia Skripal in Salisbury analysierten, Spuren von BZ fanden. Möglicherweise arbeitete der britische Geheimdienst mit den Giftmördern von Melitopol zusammen.
Überraschungstorte
Ein weiterer spektakulärer Vorfall ereignete sich im Jahr 2023. Absolventen der Militärflugschule von Armawir feierten am 21. Oktober den 20. Jahrestag ihres Abschlusses. Zur Feier kamen eine 20-Kilogramm-Torte mit dem Emblem der Flugschule und eine Kiste Whisky an. Der Kurier meldete, dass dies Geschenke von Offizieren seien, die selbst nicht an der Feier teilnehmen könnten, und verließ sogleich den Raum.
Nur Wachsamkeit verhinderte eine Tragödie. Die Militärangehörigen versuchten, herauszufinden, wer genau ein solch großzügiges Geschenk schickte, und fanden niemanden. Die Feier wurde unterbrochen, Lebensmittel und Getränke zu einer Prüfung geschickt. Dies rettete Dutzende Leben. Die Speisen enthielten Mittel, die in der Kardiologie eingesetzt werden und frei in Apotheken erhältlich sind. Bei einer Überdosierung können sie allerdings eine Unterbrechung des Herzrhythmus oder einen Herzstillstand hervorrufen.
Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden nahmen den Kurier im Flughafen von Stawropol fest. Er hatte ein Flugticket nach Moskau bei sich. Es handelte sich um den 33-jährigen Jegor Semjonow, der in Melitopol geboren wurde und seit 2015 in Russland lebte. Die Hauptverwaltung des russischen Ermittlungskomitees leitete ein Strafverfahren wegen eines Terroranschlags ein. Der entsprechende Artikel des Strafgesetzbuchs sieht eine 15-jährige bis lebenslängliche Haftstrafe vor. Am 13. Januar begann das Militärgericht des Wehrkreises Süd den Prozess. Der Angeklagte gestand seine Schuld.
Zum Glück gelingt es den russischen Sicherheitsbehörden, den Großteil der ukrainischen Sabotageakte unter Einsatz von chemischen Kampfstoffen und sonstigen Giftstoffen noch in frühen Vorbereitungsphasen aufzudecken und zu vereiteln. Doch natürlich wird Kiew nicht auf chemischen Terror verzichten.
Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst veröffentlicht am 15. Januar bei RIA Nowosti.
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