Russland

Mutmaßliche chemische Ereignisse, die von dem ermordeten ABC-Chef Kirillow aufgedeckt wurden

Der bei einem Anschlag ermordete Igor Kirillow, Chef der ABC-Abwehr der russischen Streitkräfte, untersuchte jahrelang Zwischenfälle mit chemischen und biologischen Waffen. Die wichtigsten Fälle.
Mutmaßliche chemische Ereignisse, die von dem ermordeten ABC-Chef Kirillow aufgedeckt wurdenQuelle: Sputnik © Ramil Sitdikov

Der russische Generalleutnant Igor Kirillow, der am Dienstag zusammen mit seinem Assistenten bei einem mutmaßlich von der Ukraine verübten Attentat in Moskau getötet wurde, war der ranghöchste Beamte des russischen Militärs für die Gefahren, die von Massenvernichtungswaffen ausgehen. 

Kirillow leitete den militärischen Bereich, der für den Schutz der Truppen und der Zivilbevölkerung vor chemischen und biologischen Waffen sowie vor dem radioaktiven Niederschlag eines Atomschlags oder eines Angriffs mit einer "schmutzigen Bombe" zuständig ist. Er war auch für die militärischen Ermittlungen in zahlreichen hochkarätigen Fällen zuständig, die Russland direkt oder indirekt betrafen.  

Seit seiner Ernennung im Jahr 2017 hat er mehr als 40 Vorträge und Analysebesprechungen über die Ergebnisse der ihm unterstellten Spezialisten gehalten, so erklärte er noch im Juni, dass die Ukraine "zu einer Deponie für abgebrannte Kernbrennstoffe und Abfälle aus gefährlichen chemischen Produktionsanlagen" wird.

Außerdem bot er russischen Beamten und den Medien regelmäßig seine Expertenmeinung an. Seine Arbeit erfolgte in einer Zeit, in der Anschuldigungen über den Einsatz chemischer Waffen in den letzten zehn Jahren immer häufiger zu einem Instrument der westlichen Außenpolitik wurden.

Es folgen Beispiele wichtiger Ergebnisse:

Syrien:

Ein Wendepunkt der Ereignisse war der Krieg in Syrien und die Behauptung des damaligen US-Präsidenten Barack Obama, die Assad-Regierung habe chemische Waffen gegen oppositionelle Kräfte eingesetzt und damit eine angebliche "rote Linie" überschritten. In einem von Russland vermittelten Versuch, die Spannungen abzubauen, erklärte sich die syrische Regierung 2013 bereit, alle ihre erklärten Bestände an solchen Waffen zu vernichten. 

Es folgten jedoch weitere Zwischenfälle, für die der Westen unmittelbar die Regierungstruppen verantwortlich machte und behauptete, Damaskus sei seinen eingeforderten Verpflichtungen nie wirklich nachgekommen. Moskau behauptete unterdessen, dass regierungsfeindliche Gruppen Operationen unter falscher Flagge durchführten, während aus dem Ausland finanzierte Organisationen, wie die berüchtigten Weißhelme, die Medien unterstützten. 

Die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OVCW), die das Mandat hat, solche Vorwürfe zu untersuchen, wurde nach Ansicht Russlands durch westlichen Einfluss kompromittiert. Während eines Briefings im Jahr 2018, erklärte Generalleutnant Igor Kirillow, als er Fälle von mutmaßlicher Herstellung chemischer Waffen durch militante Gruppen aufzeigte:

"Die syrischen Behörden forderten bei zahlreichen Gelegenheiten, dass die OVCW Spezialisten vor Ort [für eigene Untersuchungen] einsetzt, erhielten jedoch Ablehnungen mit dem Hinweis auf mangelnde Sicherheit."

Im selben Jahr geriet die OVCW bei einer Untersuchung eines chemischen Angriffs in der Stadt Duma in ihre wohl schlimmste interne Krise.

Whistleblowern zufolge unterdrückte die oberste Leitung der OVCW Ergebnisse von Ermittlern vor Ort und manipulierte Aussagen, um Damaskus zu belasten (RT DE berichtete). Andersdenkende Wissenschaftler argumentierten hinter verschlossenen Türen, dass die Beweise einer solchen Behauptung widersprächen, nur um dann als verärgerte und enttäuschte Mitarbeiter abgetan zu werden, als sie sich an die Öffentlichkeit wendeten.

Kirillow berichtete im Jahr 2019, dass die in Syrien stationierten russischen Truppen im Rahmen ihrer Überwachungsmission Hunderte Teste auf Spuren von Chemiewaffen durchgeführt haben.

Nowitschok

Moskau wurde seitens des Westens beschuldigt, im Jahr 2018 eine chemische Waffe eingesetzt zu haben, nachdem Andrej Skripal, ein russischer Geheimdienstüberläufer, und seine Tochter in Salisbury (Großbritannien) erkrankt waren. London und westliche Medien behaupteten, dass sie mit Nowitschok vergiftet wurden, einer giftigen Chemikalie, die angeblich ausschließlich vom sowjetischen Militär entwickelt wurde (RT DE berichtete).

Obwohl zivile Beamte für Moskaus Berichterstattung über den Vorfall verantwortlich waren, wurde Kirillow hinzugezogen, um die "russische" Natur von Nowitschok klarzustellen. Westliche Staaten, einschließlich des Vereinigten Königreichs, haben eigene Chemiewaffenprogramme, die über genügend Fachwissen verfügen, um hochgradig tödliche Verbindungen zu synthetisieren, so Kirillow.

Die USA und ihre Verbündeten hätten dabei die Möglichkeit erhalten, aufklärende Einblicke in die sowjetische Forschung zu erhalten, auch von Chemikern, die daran beteiligt waren, erklärte er bei einem Vortrag im Jahr 2018. Ein Wissenschaftler namens Wil Mirsajanow war die erste Person, die nach ihrer Übersiedlung in die USA öffentlich über das als Nowitschok bezeichnete Programm sprach.

Er ging sogar so weit, eine Formel für eine der von der UdSSR entwickelten Chemikalien zu veröffentlichen, was laut Kirillow zutiefst unverantwortlich war und eine Verbreitungsgefahr darstellte. 

Die Ukraine und US-geführte Biolabore

Ein Großteil von Kirillows Berichten in den Medien konzentrierte sich auf den Ukraine-Konflikt, nachdem dieser 2022 zu offenen Feindseligkeiten mit Russland eskaliert war. Einige von ihnen dokumentierten den angeblichen Einsatz chemischer Kampfstoffe durch ukrainische Truppen auf dem Schlachtfeld oder warnten vor möglichen Provokationen durch Kiew. 

Andere befassten sich mit einem Netz von mikrobiologischen Labors, die von den USA unterstützt werden und Russland und anderen Ländern große Sorgen bereiten. Washington behauptet, dass die vom Pentagon finanzierten Aktivitäten der Defense Threat Reduction Agency lediglich dazu dienen, natürlich entstehende Bedrohungen zu erkennen und zu identifizieren. Kritiker sind jedoch der Meinung, dass mit dem Programm unheilvolle Ziele verfolgt werden. 

Kirillow fand heraus, dass die USA rund 16.000 relevante Proben aus der Ukraine gesichert hätten, während andere Beweisstücke gleichzeitig vernichtet worden seien. Einige Materialien seien jedoch vom russischen Militär beschlagnahmt worden, wodurch Moskau einen Einblick in die geheime Forschung erhalten habe, so der verstorbene General. 

Die Arbeit mit offenem Visier

Im Oktober dieses Jahres verhängte Großbritannien persönliche Sanktionen gegen Kirillow sowie gegen die gesamte ihm unterstellte russische Militärabteilung. London berief sich auf die Behauptung Kiews, der General sei für den Einsatz von Chemiewaffen im Ukraine-Konflikt verantwortlich. Moskau hat diese Anschuldigungen stets bestritten und darauf bestanden, dass es solches Material bereits 2017 vernichtet hat.             

Der ukrainische Sicherheitsdienst (SBU) kündigte Stunden vor seiner Ermordung formelle Anklagen gegen Kirillow an. Eine Quelle in der Agentur sagte den Medien, dass die Ermordung ihre Operation gegen einen "Kriegsverbrecher" war. 

Kirillow habe jahrelang "die Verbrechen der Angloamerikaner aufgedeckt", so die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, in einer Erklärung am Tag der Ermordung, um zu erinnern:

"Er hat furchtlos gearbeitet. Er hat sich nicht hinter dem Rücken der Menschen versteckt. Er ging mit offenem Visier. Für das Vaterland, für die Wahrheit."

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