Russland

"Ein Keil in ukrainischer Verteidigung" – Kämpfe am wichtigsten Frontabschnitt der Spezialoperation

Ausgebrannte Waldstreifen, bis auf die Grundmauern zerstörte Städte und Dörfer – die Frontlinie nähert sich allmählich der strategisch wichtigen Stadt Krasnoarmeisk (Pokrowsk). Die Nachrichtenagentur RIA Nowosti berichtet, wie russische Truppen die ukrainische Verteidigung aufbrechen.
"Ein Keil in ukrainischer Verteidigung" – Kämpfe am wichtigsten Frontabschnitt der SpezialoperationQuelle: Sputnik © Wiktor Swanzew

Von Wiktor Swanzew

Benzinkanister, Drähte für Drohnen und einige Flaschen mit Trinkwasser – der Kämpfer des Verbands "Vega" der 24. Separaten Gardebrigade für Spezialeinsätze mit dem Funknamen Turok (Türke) befestigt sie alle sorgfältig am Gepäckträger seines Quads. Danach überprüft er die Bereitschaft des unentbehrlichen Begleiters aller Soldaten an der Front – des Jagdgewehrs.

"Die Kugel liegt im Lauf, der Abzug ist gesichert. Wenn ich eine Drohne bemerke, biege ich sofort von der Straße ab, sitze ab, verstecke mich im Gebüsch und eröffne das Feuer. Heute Morgen gibt es einen sehr dichten Nebel, deswegen kann man vergleichsweise sicher passieren. Die Luft muss man natürlich trotzdem im Auge behalten, vor allem aber den Boden, denn der Gegner legt Minen aus Distanz", erklärt Turok.

Seine Kameraden nennen Turok scherzhaft einen "Rabauken": er fährt allein nach Nowogrodowka und in dessen Umland, um Munition und Lebensmittel zu bringen, was nur wenige wagen. Die anderen tragen die Güter entweder am eigenen Rücken oder transportieren sie auf "Enduros" – leichten Motorrädern. Andere Fahrzeuge schaffen es einfach nicht so weit.

"Die ukrainischen Stellungen erstrecken sich zu beiden Seiten der Straße. Hierher fliegen Minen, Streubomben und Kamikazedrohnen. Am gefährlichsten sind die letzten zehn Kilometer, wenn feindliche Drohnen buchstäblich über deinem Kopf kreisen. Selbst auf einem Pkw ist es unmöglich, durchzubrechen – du wirst verbrannt", sagt der Soldat.

Seine Worte werden von großen Mengen zerstörter Fahrzeuge entlang der Route bestätigt – von Panzern und Schützenpanzern bis zu Motorrädern mit Beiwagen und manövrierfähigen "Enduros". An den ausgebrannten Autowracks fehlen Türen. Sie werden im Voraus abgebaut, damit die Insassen bei einem Treffer sofort herausspringen können.

Turok hat erneut Glück: Es gelingt ihm, entlang der Waldstreifen, der Eisenbahn und durch ganz Nowogrodowka zu passieren. Freilich wurden ihm zwei Räder durch Splitter zerschlagen, deswegen kehrt er zu Fuß zurück und schleppt beide Reifen auf einer Karre. Angesichts der Lage dauert ein solcher "Spaziergang" vier bis fünf Stunden.

Der Nebel lichtet sich, und der bis dahin rege Verkehr am Boden kommt abrupt zum Stillstand. Dafür lebt der Himmel auf. Die Luft füllt sich mit dem Brummen der Drohnen, auf beiden Seiten kommen Minenwerfer, Rohr- und Raketenartillerie zum Einsatz. Und im Zimmer eines wie durch ein Wunder erhaltenen Hauses richten zwei Militärangehörige den schlichten Soldatenalltag ein: sie fegen den Boden, tragen den Müll hinaus, überkleben die Fenster sorgfältig mit Pappe und verhängen sie mit Decken.

"Wir zogen erst gestern hier ein. Davor waren wir auf einer anderen Stellung, doch eine FPV-Drohne traf das Dach, und das Haus brannte komplett ab – selbst der Keller mit einiger Ausrüstung. Wir fanden umgehend eine neue Stelle", erzählt der Kämpfer mit dem Funknamen Monach (Mönch).

Monach pilotiert die Drohnen, die Turok in seinem kleinen Labor bastelt. "Die Rumpfteile drucken wir an einem 3D-Drucker. Brandladungen machen wir aus Brenngemischen und fügen Zünder hinzu. Für Sprengladungen nehmen wir Granaten vom Typ WOG-17 und WOG-25", erklärt der Kämpfer.

Nach der Einrichtung der Antenne und einem Probeflug erhalten Monach und sein Kamerad Angar (Hangar) über Funkgerät die Koordinaten des ersten Ziels: In einem Waldstreifen in etwa fünf Kilometern Entfernung wurden drei ukrainische Kämpfer bemerkt. Dorthin wurden erst zwei WOG-17 und dann, von einer anderen Batterie, einige WOG-25 abgefeuert.

"Damit die Mavic-Drohne im Flug das Gleichgewicht hält, befestigten wir gleich zwei Granaten. Tagsüber arbeiten wir entweder gegen erkundete Ziele oder führen sogenanntes Störfeuer. Das beeinträchtigt den Gegner psychologisch sehr, und an Munition mangelt es dank der eigenen Produktion nicht", erklärt Angar.

Am Frontabschnitt Pokrowsk haben sich Kämpfer der 24. Spezialbrigade gemeinsam mit anderen Verbänden in die ukrainische Verteidigung mehrere Kilometer tief eingekeilt und drangen den Gegner fast bis nach Mirnograd, etwas östlich von Krasnoarmeisk, zurück.

"Es entstand ein Keil, deswegen verläuft die Frontlinie rechts und links von uns in einer Entfernung von nur 300 Metern. Doch in unserem Zuständigkeitsbereich liegen die gegnerischen Stellungen vier bis fünf Kilometer entfernt", erklärt Monach.

Dort rücken die russischen Vorkräfte über Waldstreifen weiter vor. Das ukrainische Militär versucht Gegenangriffe durchzuführen – in der Regel bekommt es nach Einbruch der Dunkelheit Munition und Personal vonseiten Mirnograds und Suchoi Jar geliefert.

"Gerade eben haben die Aufklärer mehrere Schützenpanzer bemerkt. Einen schossen unsere Kollegen ab", sagt Angar, während er auf der Suche nach neuen Zielen über die Stellungen fliegt.

Aus dem brennenden Schützenpanzer springen vier Figuren heraus und werfen sich zu seinen Seiten zu Boden. Nachdem sie mehrere Minuten dagelegen und wahrscheinlich die Wunden selbst versorgt haben, kriechen die Menschen, die wie Spielzeuge erscheinen, in der Hoffnung auf Rettung in einen nahegelegenen Unterstand.

Nach einer Minute fliegt alles Mögliche auf den Unterstand: Spreng- und Flammgeschosse, Kamikazedrohnen, Minen und Granaten. Später wird über das Funkgerät berichtet, dass im Schützengraben keine Bewegung mehr zu sehen ist.

"In den letzten Tagen bringt der Gegner massenhaft Infanterie heran, und holt buchstäblich anderthalb bis zwei Menschen zurück. Der Rest bleibt tot oder verwundet in den Waldstreifen liegen", fügt Monach hinzu.

Alle Bewegungen des ukrainischen Militärs sind auf dem Bildschirm des rund um die Uhr arbeitenden Verbands für objektive Kontrolle klar zu sehen. Die Kämpfer haben sich im tiefen Keller eines halb zerstörten Hauses eingerichtet.

Die Wände sind mit angenagelten Decken abgedichtet, der Eingang sorgfältig verhängt und getarnt. In der Nähe liegt ein kaum bemerkbarer, improvisierter Startplatz für Drohnen.

"Wir führen eine Übertragung von unserem Abschnitt in den Stab in Echtzeit. Ebenso finden wir Feuernester, lenken und korrigieren Artilleriefeuer und Drohnenangriffe. Wenn nötig, können wir für unsere Jungs an der Front Lebensmittel und Medizin abwerfen", berichtet der Kämpfer mit dem Funknamen Sputnik, während er die Steuerknüppel der Mavic-Drohne bedient.

Sputnik bemerkt am Wärmebildgerät erneut ein gepanzertes Kampffahrzeug, das sich mit großer Geschwindigkeit bewegt. Die Maschine hält am Wegesrand an und wartet auf jemanden. Die Koordinaten werden sofort an die Besatzung einer im Voraus aufgestellten und geladenen Panzerabwehrrakete übermittelt. Nach einem Treffer geht das Fahrzeug in Flammen auf, versucht aber, zu fliehen. Mehrere Minen fliegen ihm nach.

Fünf Minuten später gehen Geschosse in der Nähe herab und erschüttern die Wände des Kellers – der Gegner ermittelte die Position der Mörserbesatzung und schickte eine "Baba Jaga" mit vier 82-Millimeter-Geschossen. Die laute Drohne wird bereits beim Anflug gehört, was es den Artilleristen ermöglicht, rechtzeitig in Deckung zu gehen.

Trotz des ständigen Drucks beißt das ukrainische Militär ernsthaft zurück. In Nowogrodowka und den nächstgelegenen Dörfern ist es nach wie vor sehr gefährlich.

"Vor drei Tagen töteten Streubomben meine Tochter und zwei Nachbarn. Ihre Leichen liegen immer noch im Hof. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Wegen ständiger Angriffe kann ich sie nicht einmal im Gemüsegarten beisetzen", sagt die einheimische Bewohnerin Ljudmila.

Indessen läuft der Vormarsch nach Krasnoarmeisk weiter. Dies ist ein großer logistischer Knoten des Ballungsraums Kramatorsk-Slawjansk, aus dem direkte Straßen nach Saporoschje und Dnjepr führen, betont die Regierung der Donezker Volksrepublik. Gerade über diese Wege wird der hiesige starke ukrainische Verband versorgt. Die Befreiung der Stadt wird die Lage grundsätzlich ändern.

Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen am 21. Oktober bei RIA Nowosti.

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