Militär-Taktik: Erfahrungen von Mariupol werden bei Befreiung von Sudscha nützlich sein
Von Anastassija Kulikowa
Die russischen Streitkräfte haben den Stadtrand von Sudscha erreicht, berichten die Quellen des Telegramkanals Mash. Nach Angaben des Portals wurde die Straße, die die Kreishauptstadt mit der Siedlung Belaja verbinden, unter Kontrolle gebracht. Die 155. und 106. Brigade sollen vonseiten der "teilweise kontrollierten" Ljubimowka vorrücken. Russlands Verteidigungsministerium hat diese Angaben bislang nicht bestätigt.
Dennoch neigen die meisten Experten zu der Ansicht, dass es nicht gelingen werde, das Territorium schnell zu säubern. Das ukrainische Militär hält nämlich einen Teil der Bewohner von Sudscha als Geiseln, wovon das Kreisoberhaupt Alexandr Bogatschow im Interview an die Nachrichtenagentur TASS berichtete. Seinen Angaben zufolge treiben Kiews Truppen die Menschen im Gebäude der Internatschule zusammen, was von zahlreichen Videoaufnahmen bestätigt wird, die ukrainische Militärs selbst veröffentlichen.
Vor diesem Hintergrund berichtete Russlands Menschenrechtsbeauftragte Tatjana Moskalkowa von zahlreichen Anträgen von Bürgern, deren Angehörige im Gebiet Kursk vom ukrainischen Militär gewaltsam verschleppt wurden. Dabei handele es sich um über 1.000 Einheimische. Indessen wurden seit dem Beginn der Invasion aus der Region mindestens 112.000 Menschen evakuiert.
Russlands Offensive im Gebiet Kursk hatte in der vergangenen Woche begonnen. Das Verteidigungsministerium meldete, dass im Rahmen des Vormarsches gegnerische Truppenversammlungen bei Darjino, Ljubimowka, Malaja Loknja, Tolsty Lug, Nowy Put und Plechowo angegriffen wurden. Die Zeitung Wsgljad berichtete ausführlich über die Bedeutung der Befreiung von Grenzregionen.
Inzwischen merken Experten an, dass mehrere Faktoren ein weiteres Vorrücken im Gebiet Kursk und insbesondere die Befreiung von Sudscha erschweren werden. "Russische Truppen rücken zur Stadt aus mehreren Richtungen vor. Es erscheinen Meldungen, wonach es unseren Kämpfern gelang, den Stadtrand zu erreichen. Doch die operative Lage ändert sich schnell", erklärte der Militärexperte Wassili Dandykin.
Nach seinen Prognosen werden Russlands Streitkräfte bei der Befreiung der Stadt zur Taktik der "kleinen Kessel" greifen. Doch diese Operation wird von Schwierigkeiten begleitet werden. Das Hauptproblem besteht darin, dass ukrainisches Militär Zivilisten als Geiseln hält. "Damit, dass der Gegner Menschen als lebende Schutzschilde missbraucht, wurden unsere Kämpfer bereits bei der Befreiung von Städten im Donbass und Neurussland konfrontiert", erinnert der Experte und verweist auf eine der jüngsten unter solchen Episoden in Ugledar.
Laut Dandykin könnten ukrainische Stellungen in Sudscha mit Massenschlägen angegriffen werden, doch die Anwesenheit von Geiseln wird von der russischen Seite beim Treffen der Entscheidungen berücksichtigt. "Es wird alles getan, um die Zivilisten aus der Schusslinie zu bringen", betonte er. Darüber hinaus könnte die bereits einsetzende Schlammperiode die Operation zur Befreiung von Sudscha erschweren. "Gleichzeitig wird das Wetter auch für den Gegner zu einem Problem werden. Und meiner Ansicht nach wird das ukrainische Militär eher Schwierigkeiten damit haben", meint er.
Nach Schätzungen des Experten wird die laufende Woche entscheidend. "Kiew verbrauchte bei seinem Abenteuer einen Großteil der Ressourcen, erreichte aber nicht die gesetzten Ziele. Sollte der Gegner versuchen, sich in kleinen Gruppen aus Sudscha zurückzuziehen, werden sie gefangen genommen oder getötet, wie ihre Kameraden aus Ugledar", prognostiziert Dandykin.
An den Flanken der Kreishauptstadt verbleiben immer noch ukrainische Truppenverbände, fügt der Militärexperte Boris Roschin hinzu. "Einen Frontalangriff zu beginnen, ohne diese zu beseitigen, ist sinnlos. Gegenwärtig besteht unsere Aufgabe darin, die Feuerkontrolle über dieses Territorium zu übernehmen", meint er.
"Parallel dazu werden russische Truppen die Befreiung der nächstgelegenen Ortschaften fortsetzen. Wir werden also für das ukrainische Militär wieder die Gefahr einer Einkesselung schaffen, was in der Perspektive dessen Rückzug begünstigen wird", erklärt Roschin. Hinsichtlich der mit den gefangenen Zivilisten von Sudscha verbundenen Risiken erklärt er, dass dies eine gewohnte ukrainische Taktik sei. "Damit wollen sie Russland die Möglichkeit nehmen, schwere Waffen, wie beispielsweise FAB-Bomben, einzusetzen", vermutet er.
"Zweifellos werden Militärangehörige alles tun, um den Schaden für die städtische Infrastruktur zu minimieren. In jedem Gebäude könnten unsere gefangen genommenen Mitbürger untergebracht sein. Deswegen muss ein Sturm von Sudscha mit größtmöglicher Vorsicht erfolgen", fügt der Experte hinzu.
"Natürlich werden diese Aufgaben das Vorrücken erschweren. Dennoch haben wir eine reiche Erfahrung bei der Einnahme von Siedlungen, in denen der Gegner bewusst einen 'lebenden Schutzschild' formierte. Man erinnere sich nur an Mariupol. Selbstverständlich werden alle damals erworbenen Fertigkeiten in der gegenwärtigen Lage zum Einsatz kommen. Ich merke an, dass die Aufgabe, Zivilisten zu schützen, einen Einsatz von Luftstreitkräften nicht ausschließt. Die Flugzeuge können Lagerhäuser und Straßen, über die sich der Gegner zurückzieht, angreifen. Die Rede ist von einer Operation, die alle Waffengattungen umfasst, in der es für Anstrengungen der Angehörigen aller militärischen Spezialisierungen Platz gibt", sagt er.
"Doch die Fristen der Befreiung von Sudscha vorherzusagen, ist praktisch unmöglich. Der Gegner hat immer noch die Möglichkeit, Reserven heranzuziehen. Dennoch liegt die Initiative an diesem Frontabschnitt bereits bei der russischen Armee. Wir müssen nichts überstürzen", analysiert der Experte.
"Wir haben ein gutes Tempo, und es ist wichtig, es aufrechtzuerhalten. Russland handelt methodisch: Schritt für Schritt drängt es den Gegner aus prinzipiell wichtigen Siedlungen zurück und fügt ihm empfindsame Personal- und Materialverluste hinzu. Insgesamt wird all das für das ukrainische Militär ein böses Ende nehmen", schlussfolgerte Roschin.
Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei Wsgljad am 15. Oktober.
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