Russland

Financial Times: In Russland boomen die Konsumausgaben

Hohe Staatsausgaben und Arbeitskräftemangel haben zu einem signifikanten Anstieg der Reallöhne und des Konsums geführt, berichtet die Financial Times.
Financial Times: In Russland boomen die KonsumausgabenQuelle: Sputnik

Unmittelbar nach den Ereignissen im Februar 2022 stand Anton, ein Gastronom in Sankt Petersburg, vor erheblichen wirtschaftlichen Herausforderungen. Ausländische Besucher blieben aus und die Zinssätze stiegen in die Höhe, was auf einen befürchteten wirtschaftlichen Zusammenbruch aufgrund westlicher Sanktionen zurückzuführen war. Die Einheimischen hatten keine Zeit oder Mittel für Restaurantbesuche, erklärte er.

Doch diese Befürchtungen erwiesen sich als unbegründet. In den letzten zwei Jahren hat sich die Situation drastisch gewandelt. Die Russen verfügen nun über mehr Bargeld und sind bereit, es auszugeben. Angesichts steigender Gehälter in der boomenden Rüstungsindustrie sehen sich auch zivile Unternehmen gezwungen, ihre Löhne anzupassen, um inmitten eines akuten Arbeitskräftemangels Arbeitskräfte anzuziehen. Dies hat zu einem deutlichen Konsumausgaben-Boom geführt.

"Die Reallöhne schießen in die Höhe", sagen Experten gegenüber der Financial Times (FT). "Menschen, die vor Februar 2022 kaum Geld verdienten, verfügen nun über erhebliche Geldsummen."

Laut Rosstat, der russischen staatlichen Statistikbehörde, sind die Reallöhne um fast 14 Prozent gestiegen und der Konsum von Waren und Dienstleistungen um etwa 25 Prozent. In diesem Jahr wird ein weiterer Anstieg der Reallöhne um bis zu 3,5 Prozent erwartet. Die Arbeitslosenquote liegt mit 2,6 Prozent auf einem Rekordtief seit der Sowjetzeit.

Dieser Anstieg der Löhne betrifft alle sozioökonomischen Schichten und verändert das Leben vieler Arbeiter erheblich. Beispielsweise verdienen Weber, die im Dezember 2021 noch das Äquivalent von 250 bis 350 US-Dollar im Monat verdienten, nun bis zu 120.000 Rubel (1.400 US-Dollar oder 1.289 Euro) monatlich. Ebenso ist das Durchschnittsgehalt für Fernfahrer im Jahresvergleich um 38 Prozent gestiegen.

Gleichzeitig haben westliche Sanktionen und russische Kapitalverkehrskontrollen das Kapital reicher Bürger im Land gehalten, was den Luxusgütersektor in Städten wie Moskau und Sankt Petersburg beflügelt hat. "Jeder, der zur oberen Mittelschicht gehört, genießt ein wirklich gutes Leben", sagt Sergei Ischkow, ein Moskauer Investor und Unternehmer, und hebt die Zahl neuer Restaurants sowie den boomenden russischen E-Commerce-Markt hervor.

Für viele Russen hat sich die finanzielle Lage verbessert. Mehr als 13 Prozent der Russen bewerten ihre finanzielle Situation als "gut" – der höchste Wert seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1999, so Rosstat. Der Anteil derjenigen, die ihre finanzielle Lage als "schlecht" oder "sehr schlecht" bewerten, ist ebenfalls auf einem Allzeittief von etwa 14 Prozent beziehungsweise 1 Prozent.

Der neu gefundene Wohlstand unter russischen Verbrauchern verändert die Binnenwirtschaft und die Gesellschaft. Besonders deutlich ist dieser Wandel bei den Gehältern in der Militär- und Arbeiterklasse. Ein Kurier kann nun 200.000 Rubel im Monat verdienen.

Menschen mit höheren Gehältern "konsumieren wie verrückt", sagt Alexandra Prokopenko, Fellow am Carnegie Russia Eurasia Center. Einzelhändler und Konsumgüterunternehmen reagieren schnell.

Rostic's, der russische Nachfolger von KFC, plant, in diesem Jahr 100 neue Filialen zu eröffnen, und der Konsum von Coffee-to-go war im Land noch nie so hoch.

Auch der Inlandstourismus boomt, da Fluggesellschaften erstmals feststellen, dass es profitabel ist, innerhalb Russlands zu fliegen.

Ehemals einkommensschwache Personen fragen nun langlebige Konsumgüter nach, wie bessere Wohnungen oder Autos, sowie Dienstleistungen wie Hausreparaturen.

Die Einkommensverteilung verändert sich, da Unternehmen eine Verschiebung ihrer Kundenbasis von einer kreativen Klasse und jungen Menschen hin zu erwachsenen Männern, mittleren Führungskräften und Geschäftsinhabern verzeichnen, die in der Importsubstitution oder IT tätig sind.

Der Kapitalabfluss aus Russland hat ebenfalls nachgelassen. Vor zwei Jahren bezeichnete die Zentralbank den Kapitalabfluss als Risiko für die Finanzstabilität, hat dies jedoch kürzlich von der Liste der Bedenken gestrichen. "Im oberen Segment ist klar: Die Menschen haben viel Geld, sie wissen nicht, wo sie es ausgeben sollen, also geben sie es für Erlebnisse aus", sagt Anton, der Gastronom aus Sankt Petersburg. Die Auswirkungen sind in verschiedenen Sektoren zu spüren, darunter Privatschulen und der inländische Kunstmarkt, die eine Rekordnachfrage und hohe Preise verzeichnen.

Auch Bereiche wie Freizeit profitieren vom Ausgabenboom. Sascha Sokolow, Kreativdirektor eines Segelunternehmens, merkt an, dass Reisebeschränkungen und hohe Flugpreise die Russen dazu veranlassen, Abenteuer im eigenen Land zu suchen. Der Premium-Markt passt sich an, um anspruchsvollen Kunden die gewohnten Angebote zu bieten, wobei bisher nicht verfügbare Spezialitätenkaffees nun in den russischen Altai-Bergen zu finden sind.

Der Konsumausgaben-Boom in Russland ist ein völlig anderes Ergebnis, als es von Ökonomen antizipiert wurde. "Vor zwei Jahren erwarteten wir ein völlig anderes Szenario, in dem Russland einen wirtschaftlichen Abschwung erleben würde, der durch den Zusammenbruch der Exporte und Arbeitslosigkeit verursacht wird", heißt es in der FT. Stattdessen hat sich die Wirtschaft als widerstandsfähiger erwiesen als erwartet, wobei die Zentralbank die sogenannte finanzielle Festung verstärkte und Kapitalverkehrskontrollen einführte.

Die Staatsausgaben, insbesondere für die Verteidigungsindustrie, haben die Wirtschaft beflügelt. Verglichen mit 2021 sind die Haushaltsausgaben um 20 Prozent gestiegen, und der Anteil des Staates an der Wirtschaft wird auf 50 bis 70 Prozent geschätzt. Die Zentralbank identifiziert staatliche Ausgaben als Haupttreiber des BIP-Wachstums.

Ein bedeutender Beitrag zum Boom waren subventionierte Hypothekenprogramme, die günstige Kredite für Neubauten anboten. Obwohl dieses Programm im Juli auslief, haben die Effekte angehalten und Rekordverkäufe auf dem Wohnungsmarkt bewirkt.

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