Russland braucht Geld, und es hat einen Weg gefunden, es zu bekommen
Von Irina Alksnis
Am Donnerstag wird ein Paket von Änderungen am russischen Steuersystem auf einer Regierungssitzung erörtert. (Es sieht eine stufenweise Steuerprogression der persönlichen Einkommenssteuer vor, die aus fünf Stufen bestehen soll.)
Das russische Finanzministerium veröffentlichte seine Vorschläge am späten Dienstagabend, und schon am nächsten Morgen tauchten T-Shirts mit Aufdrucken der bevorstehenden Änderungen in den Onlineshops auf. Es mag seltsam erscheinen, aber dieses spaßige Kleidungsstück ist der Inbegriff der großen Veränderungen, die im Land stattfinden.
Zunächst einmal: Wer (außer Buchhaltern) wäre vor 30 oder 50 Jahren auf die Idee gekommen, Witze über die Besonderheiten des Steuersystems des Landes zu machen? Damals waren Steuern für die meisten Menschen etwas Abstraktes, das automatisch von ihrem Gehalt abgezogen wurde und keine Bedeutung für ihr tägliches Leben hatte. Heute sind Steuerfragen hochaktuell und betreffen das Leben eines jeden Bürgers, der einfach verpflichtet ist, eine Vorstellung vom Steuersystem seines Landes zu haben. So gibt der Schriftzug auf einem der T-Shirts etwa "Kurz über mich: Ich zahle 15 Prozent an persönlicher Einkommenssteuer" in humorvoller Form über seinen Träger eine Menge Informationen preis – das ist charakteristisch und für die meisten Menschen um einen herum verständlich.
Nicht minder interessant ist die Tatsache, dass zu einem so ernsten Thema wie einer Steuererhöhung, das normalerweise keine Begeisterung auslöst, Scherz-T-Shirts erscheinen. Darin spiegelt sich der öffentliche Konsens in Russland wider, dass dieser Schritt wirklich überfällig ist, dass die Behörden mit Bedacht handeln und dass die vorgeschlagenen Änderungen auch in den Augen derjenigen, die davon direkt betroffen sind, gerecht sind.
Hier liegt eines der akutesten und potenziell gefährlichsten Themen für Russland: die ungerechte Verteilung des Reichtums, die Spannung zwischen den Armen und den Reichen, eine Spannung, die sich oft in offen destruktiven Forderungen nach Enteignung und Teilung entlädt. Dabei hilft auch nicht einmal, die wütenden Aktivisten daran zu erinnern, dass unser Land diesen Weg schon einmal beschritten hat – das Ergebnis war verheerend und tragisch.
Der Übergang des Landes zu einem progressiven Steuersatz ist jedoch in der Tat überfällig. Die vom Finanzministerium vorgeschlagenen Änderungen sind äußerst ausgewogen, auch wenn sie im Laufe der bevorstehenden Diskussion in den gesetzgebenden Instanzen zweifellos noch einige Anpassungen erleben könnten. Auch die Geschäftswelt Russlands, die ihre eigenen Änderungen erleben wird, wird in der Diskussion sicherlich etwas zu sagen und anzubieten haben.
Dennoch geht aus den veröffentlichten Vorschlägen das Konzept der geplanten Steueränderungen eindeutig hervor: Vermögende sollen mehr zahlen, aber gleichzeitig geht es keineswegs um ihre Enteignung; außerdem sollen sowohl sie als auch die gesamte Gesellschaft erkennen, dass die von ihnen gezahlten Steuern der Entwicklung des Landes – vor allem der sozialen Entwicklung – zugutekommen. Die Einkommensgrenze für die Erhöhung der Einkommenssteuer ist so hoch, dass sie nur etwa drei Prozent der Bevölkerung des Landes betreffen wird, während die Erhöhung des Steuersatzes sehr moderat ausfällt und erst bei den für die meisten Menschen absolut astronomischen 50 Millionen Rubel (etwa 514.000 Euro) pro Jahr ein Maximum von 22 Prozent erreicht. Es wurden Punkte wie die Senkung der Einkommenssteuer auf sieben Prozent für einkommensschwache Familien mit zwei oder mehr Kindern sowie die Befreiung von der erhöhten Einkommenssteuer für Teilnehmer an der militärischen Sonderoperation und vieles mehr in Betracht gezogen.
Dies ist das Wichtigste und Wesentlichste.
Am 1. Januar 2001 führte Russland einen pauschalen Einkommensteuertarif mit einem offenkundig niedrigen Satz von 13 Prozent ein. Der Staat machte deutlich, dass dieser Schritt das Ziel der Erhöhung der Steuereinnahmen hatte. In den 1990er-Jahren war die Steuerhinterziehung zu einem Volkssport verkommen. Reiche und Arme, Einzelunternehmer, Oligarchen und Großmütter, die Zimmer zur Aufbesserung ihrer Rente vermieteten, zahlten alle keine Steuern.
Und all diese Menschen – ein ganz erheblicher (wenn nicht sogar der größte) Teil unserer Gesellschaft – haben, als sie aufgefordert wurden, Steuern zu zahlen, eine einfache, zynische und im Allgemeinen sogar verständliche Position eingenommen: Wofür soll man bezahlen? Das Land zerfällt, die Infrastruktur bricht zusammen, die Menschen überleben, so gut sie können, die Behörden treiben etwas Unbegreifliches und wollen trotzdem Geld von uns, das sich im Ungewissen auflösen wird. Der Staat tut nichts für uns – und wir schulden dem Staat nichts.
Der lange und langsame Weg des Wandels für das Land begann mit diesem sozialen Nihilismus, dem tiefen Misstrauen der Menschen gegenüber den Behörden und dem allgemeinen Pessimismus. Mehr als 20 Jahre später, fragen wir uns selbst, wenn wir zurückblicken, ob wir wirklich mal so gelebt haben und ob es wirklich wir waren, die diesen Wandel vollzogen haben? Ja, wir waren es, und es gelang uns unter anderem durch die Steuern, die wir zahlen.
Heute sieht und nutzt jeder Bürger Russlands jeden Tag, wofür er mit seinen Steuern bezahlt: Parks und Spielplätze, neue Infrastruktur und gute Verkehrswege, Sozialleistungen und sichere Straßen, moderne Bildungseinrichtungen und medizinische Zentren. Es wurde viel getan, aber es gibt noch viel mehr zu tun – und für alles braucht man Geld, Geld und nochmals Geld. Und dafür sind uns die Steuern nicht zu schade.
Wenn wir also bald Menschen auf der Straße begegnen, die T-Shirts mit der Aufschrift "Einkommenssteuer 15 Prozent" tragen, werden wir wissen, dass wir nicht nur einen Menschen mit einem soliden Einkommen vor uns haben, sondern auch einen Patrioten seines Landes, der stolz auf seinen eigenen Beitrag zur Entwicklung des Landes ist.
Anmerkung: Die geplante Reform der Einkommenssteuer sieht eine stufenweise Steuerprogression vor, wobei die erste Stufe bei 13 Prozent liegt. 15 Prozent ist die zweite Stufe, wobei sie Personen betrifft, deren Einkommen zwischen 2,5 Millionen Rubel (etwa 27.700 Euro) und fünf Millionen Rubel (51.400 Euro) pro Jahr liegt.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist zuerst erschienen bei RIA Nowosti am 30. Mai 2024.
Irina Alksnis ist eine russische Politologin und Publizistin.
Mehr zum Thema – Sberbank: In Russland entsteht eine neue Mittelschicht
RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.