"Wunder geschehen" – Besuch bei einem Sturmbataillon kurz vor Schlacht um Tschassow Jar
Von Gleb Podgorskij
"Wir dürfen nicht zögern."
Wir erreichen die Stellungen der Kämpfer noch vor Einbruch der Dunkelheit. "Die Hauptsache ist, dass wir es schaffen, das Zeitfenster zu erreichen – eine Zeit, in der die feindlichen Drohnen nicht so aktiv sind", erklärt unser Begleiter Denis Charitonow, stellvertretender Kommandeur des Baikal-Kommandos der Georgiewskaja-Brigade der "Union der Freiwilligen von Donbass". In seinem zivilen Leben ist Charitonow Abgeordneter der regionalen Duma von Astrachan.
"Zu Sitzungen in der Duma fahre ich regelmäßig. Für Bürger-Anfragen sind meine Assistenten zuständig. Ja, und mit mir persönlich kann über soziale Netzwerke Kontakt aufgenommen werden. Seit 2022 kümmere ich mich um alle Bereiche, die mit der militärischen Sonderoperation zusammenhängen: Hilfe bei Zahlungen für die Teilnehmer der Kampfhandlungen, ihre Behandlung, Sozialisierung", erklärt er.
Denis Charitonow engagiert sich seit langem in der Gemeindearbeit – er hat seinen eigenen Verein für patriotische und sportliche Erziehung. Seit 2014 kämpfte er in der Donezker Volkswehr, danach war er beim Militärunternehmen "Wagner" tätig. Dann konzentrierte er sich auf soziale Fragen. Mit dem Beginn der Militäroperation wurde er Freiwilliger.
"Ich bin hier, um von innen zu verstehen, in welcher Situation sich unsere Jungs befinden", erzählt Denis. "Ohne lange zu überlegen, ging ich direkt in eine Freiwilligeneinheit. Hier gibt es Menschen aus verschiedenen sozialen Schichten, Altersgruppen und Berufen. Sie sind durch eine gemeinsame Idee vereint – sich für die Verteidigung ihres Heimatlandes einzusetzen".
Je näher wir den Stellungen kommen, desto tiefer werden die Gruben. Der UAZ fährt mit halsbrecherischer Geschwindigkeit über Bodenwellen, das Fahrzeug schaukelt hin und her. Am Straßenrand liegen verbrannte Fahrzeuge. Als wir am schwelenden KamAZ vorbeifahren, beschleunigen wir.
"Erst seit heute brennt er – gestern war er noch nicht da. Generell können wir hier nicht zögern: Wir sind in direkter Sichtlinie", sagt der stellvertretende Bataillonskommandeur mit dem Rufnamen Don Ros und drückt aufs Gas. Die Fenster sind weit geöffnet – absichtlich, um den Himmel im Auge zu behalten.
Als wir am Ziel ankommen, laden wir den Wagen aus und gehen zu Fuß weiter. Wir tauchen in einen der Keller ein. Don Ros klärt uns auf: Die Kämpfer sind in aktiver Verteidigung und bereiten sich auf die Offensive vor. Im Frühjahr gelang es ihnen, strategisch wichtige Positionen einzunehmen und sich an ihnen zu befestigen.
"Von Spähposten aus kontrollieren wir die Lage. Unsere Aufgabe ist es, einen Durchbruch zu verhindern. Wir rücken langsam vor und machen Druck in Richtung Tschassow Jar. Das ukrainische Militär reagiert darauf: Sie bearbeiten uns von einem Panzer aus und lassen auch Streumunition regnen. Eine 'Baba Jaga' kreist hier ständig in der Luft", sagt der stellvertretende Kommandeur ("Baba Jaga" ist eine Sammelbezeichnung für vergleichsweise schwere Kampf- und Aufklärungsdrohnen, die für das ukrainische Militär aus landwirtschaftlichen drohnen umgebaut werden – Anm. der Red.).
In einen Hinterhalt laufen
Bevor man einen Sturm startet, müssen die Späher alles gründlich untersuchen. Schließlich kann man von den "Vögeln" (so heißen die Spähdrohnen im Militärjargon) aus nicht alles sehen.
"Minen und Zugdrähte für Minen bemerkt man vielleicht gar nicht. Teils sind auch gut befestigte Schützenunterstände nicht auszumachen. Und vom Boden aus kannst du nichts übersehen. Das ist natürlich gefährlich, aber es ist effektiv", erklärt Sid, ein Späher.
Sie kundschaften auch Feuerstellungen aus. Sids Kollege Logist erinnert sich:
"Früh am Morgen sind wir zu viert losgezogen und haben uns einem Aufforstungsstreifen genähert. Wir wurden entdeckt und es kam zu einem Gefecht. Wir unterdrückten sie mit Flammenwerfern, besetzten einen Unterstand, stellten das Siegesbanner auf. Natürlich sind solche Späheinsätze extrem riskant, weil man in einen Hinterhalt geraten kann". (Mit Flammenwerfern sind hier entweder leichte Raketenwerfer Typ Schmel gemeint, die dank thermobarer Munition ähnliche Zieleinwirkung wie "echte" Flammenwerfer erzielen, allerdings deutlich sicherer und bequemer zu verwenden sind. Anm. d. Red..)
Doch das schreckt Logist nicht ab. Dazu hat er seine eigene Motivation:
"Ich kam im Dezember 2023 hierher, als meine Heimatstadt Belgorod aktiv beschossen wurde. Ich konnte nicht tatenlos zusehen – ich verließ die Fabrik, in der ich 20 Jahre lang gearbeitet hatte. Ich werde so lange hier bleiben, wie es nötig ist."
Don Ros führt die Gruppe zu neuen Positionen. "Als Kommandeur sollte ich eigentlich nicht mitkommen. Aber ich schicke meine Kämpfer nicht an einen Ort, an dem ich mich nicht selbst umgesehen habe. Ein Kommandeur muss sich Seite an Seite mit seinen Soldaten bewegen."
Jeder dieser Einsätze könnte sein letzter sein. Im März bewegte sich die Gruppe unter schwerem Mörserbeschuss zu dem ihr zugewiesenen Ort und zurück. Don Ros wurde von Splittern getroffen und schwer verwundet. Auch die anderen wurden verwundet. Glücklicherweise konnten sie entkommen.
"Ich bin durch den Fleischwolf von Bachmut gegangen. Ich sage es Ihnen ganz offen: In Tschassow Jar werden wir 'herzlich empfangen' werden. Die Stadt liegt auf einer Anhöhe – das erschwert den Vormarsch. Sie ist zwar kleiner als Artjomowsk (Bachmut), aber das macht die Sache nicht einfacher", betont Don Ros.
"Ich mache keinen Hehl daraus: Ich habe Angst."
Auch Kämpfer der Panzergruppe inspizieren zusammen mit Spähern neue Stellungen. "Wir sind eines der vorrangigen Ziele. Das ist beängstigend, wir verstecken uns nicht. Aber, wie man so schön sagt, wer die Wölfe fürchtet, der gehe nicht in den Wald. Irgendjemand muss es ja tun", sagt Ulun, Kommandeur eines Panzertrupps.
Als Teil der Wagner-Gruppe stürmte er Artjomowsk – damals war es seiner Meinung nach viel einfacher und sicherer, schwere Kampffahrzeuge über das Schlachtfeld zu bewegen.
"Früher machten sie entweder Jagd auf Kampffahrzeuge oder aber auf große Menschenmassen. Jetzt sind ihnen auch drei Drohnen nicht zu schade, um einen einzigen Soldaten in die Enge zu treiben", sagte Ulun. "Neulich zum Beispiel gingen wir mit einer Besatzung los, um eine Stellung auszusuchen. Eine Drohne verfolgte uns. Wir verloren die Kontrolle und kippten um. Wir dachten, das wäre das Ende. Aber die Drohne verfehlte uns, und wir konnten entkommen."
Richtschütze Timertai erinnert sich an einen anderen Vorfall: Die Kämpfer drangen in eine der Siedlungen in der Nähe von Tschassow Jar ein und nahmen einen Zug- oder Kompanie-Verteidigungsstützpunkt ein. Ein Schwarm von 20 Drohnen stürzte sich auf sie.
"Es war das erste Mal, dass wir so viele 'Vögel' an einem Ort sahen. Wir wurden also entdeckt und mit Mörsern und FPV-Drohnen beschossen. Wir gruben uns in den Boden ein, zum Glück war er feucht und locker. Die Granaten gruben sich ebenfalls tief ein und explodierten dort. Wir wurden wie durch ein Wunder gerettet – anders kann man es nicht ausdrücken."
"Für mich war das Schlimmste hier die Evakuierung", fügt der Panzerfahrer mit dem Rufzeichen Limpopo hinzu. "Wir waren in einem Unterstand, es gab Verwundete, darunter zwei Schwerverwundete. Von 11 bis 17 Uhr fielen alle 10–15 Minuten Bomben auf uns. Ehrlich gesagt, irgendwann verblasste die Hoffnung. Am Ende kamen wir in kleinen Gruppen zu Fuß heraus. Die Verwundeten wurden auf Bahren getragen."
"Entweder er oder ich"
Aibolit übernimmt die Verwundeten, die die Sturmtruppler aus dem Dickicht tragen. Er ist Sanitäter, der an der vordersten Front ist, neben den Kämpfern. Und er ist nicht schlechter bewaffnet als sie. Im "Kastenbrot" (UAZ-Kleintransporter "Buchanka"), in seiner Einheit "Aibolitka" genannt, liegen eine Panzerfaust und eine Antipersonen-Richtmine Typ MON-50, liebevoll "Monka" genannt.
"Das ist zur Selbstverteidigung, wenn man die Nacht auf dem Feld verbringen muss. Ein Maschinengewehr hatte ich auch, aber das habe ich den Soldaten gegeben: Sie brauchen es dann doch mehr als ich", erklärt er.
Er zeigt den vorgeschobenen medizinischen Stabilisierungspunkt in einem der Keller, wo früher ein Haufen Schrott lag.
"Ich habe alles selbst rausgetragen, alles ausgeräumt, und das unter Beschuss". Er organisierte eine Verbandsstelle, füllte Medikamente in Behälter ab.
Er hat keine medizinische Ausbildung. Er war Schlosser und Fahrschullehrer und dann Sturmtruppler bei "Wagner". Nach einer schweren Gehirnerschütterung infolge einer nahen Explosion kann er auf einem Ohr nicht mehr hören. Er absolvierte seitdem einen zweitägigen Kurs in taktischer Medizin und begleitet jetzt Kämpfer bei Sturmangriffen.
"Viele Leute sagen: Wir sollen nicht in voller Montur auf die Straße gehen. Aber es gibt verschiedene Situationen. Ich will Ihnen ein Beispiel geben. In Popasnaja waren die Kämpfer dabei, ein Treppenhaus samt Wohnungen zu durchkämmen. Einer wurde verwundet, ich eilte zu ihm. Neben ihm lag ein polnischer Söldner, der plötzlich mit einem Messer auf mich zustürzte und mich knapp über der Leistenarterie verletzte. Es kam zu einem Kampf – und am Leben konnte nur einer bleiben", erinnert sich der Sanitäter.
Normalerweise gibt es mindestens zwei Sanitäter in einem Frontkrankenwagen. Aber Aibolit arbeitet allein. Verwundete ins "Kastenbrot" zu laden, helfen ihm andere Soldaten.
"Und meine 'Aibolitka' wurde auch mal 'verwundet'. Sie wurde hier in der Nähe von einer Streubombe getroffen", der Sanitäter streichelt mit der Hand über das Auto. Seit kurzem benutzt er auch ein Quad für die Evakuierung. Er hat es so ausgerüstet, dass er damit drei Verwundete gleichzeitig transportieren kann – einen liegend und zwei sitzend.
"Zwei davon setze ich neben mich, und den Schwerverletzten lege ich auf diesen angeschweißten Metallständer", demonstriert Aibolit die Konstruktion.
Neulich hat er einen Schwerverwundeten auf diesem Quad mitgenommen. Er hatte seine Schuldigkeit getan – den Verwundeten lebend ins Krankenhaus gebracht. Doch der Kämpfer verstarb am achten Tag an einer Hirnverletzung.
"Wir haben getan, was wir konnten. Wir zogen ihn zu beim Tageslicht aus der Kampfzone heraus. Über uns kreisten zwei "Vögel" mit Sprengstoffladungen. Die Sturmtruppler liefen wie die Hasen auf offener Fläche herum und lenkten sie ab, damit sie nicht auf die Trage zuflogen".
"Ich werde hier gebraucht"
Ein Sanitäter wählt nicht aus, wen er rettet – er nimmt alle mit. Im Militärunternehmen "Wagner" hat er mehr als hundert Verletzte herausgezogen. Beim Kommando "Baikal" dient er seit letztem Herbst. Er gesteht, dass er die Zahl der geretteten Menschen schon nicht mehr zählen kann. Er hat viele Dankesbriefe von benachbarten Einheiten erhalten.
Er teilt seine Erfahrungen mit jungen Menschen. Unter ihnen ist ein Mädchen mit dem Rufnamen Lotos. Sie ist erst 14 Tage an der Front. Sie, eine Fotografin mit medizinischer Ausbildung, beschloss, alles stehen und liegenzulassen und hierherzukommen. Die Angehörigen waren davon sehr überrascht.
"Das Wichtigste ist, den Algorithmus des Handelns zu verstehen und sich in einer Notsituation nicht verwirren zu lassen. In der Nähe gibt es Menschen, die einem Anweisungen geben und lehren", sagt sie.
Einer ihrer Mentoren wurde selber verwundet: Ein "Vogel" flog heran und er wurde von Splittern getroffen. Lotos ließ sich nicht verwirren und rettete ihn. Danach wurde ihr angeboten, ins Hinterland versetzt zu werden – sie lehnte ab. Sie ist der Meinung, dass sie "hier gebraucht wird".
Und der Kämpfer mit dem Rufzeichen Seja ist bereits 61 Jahre alt. Aber auch er ist sich sicher, dass man nicht ohne ihn auskommen kann. Auf dem "Festland" war er der Geschäftsleiter einer Baufirma. An der Front hat er klein angefangen: Er hat geputzt, gekocht, ausgeladen und die Kämpfer zu Einsätzen gefahren. Manchmal rettete er sie direkt an der Front.
Jetzt ist er stellvertretender Kommandeur: Er befasst sich mit Einsatzberichten und Lageberichten an der Front.
Und die Lage ändert sich: Die Truppen rücken immer näher an Tschassow Jar heran. Von hier aus wird sich im Erfolgsfall ein direkter Weg zum Ballungsgebiet Slawjansk-Kramatorsk öffnen. Mit der Befreiung dieser Städte aber wird der Kampf um den Donbass endgültig zu Ende sein. Doch die Freiwilligen des Bataillons warnen stets: Es gibt noch viel zu tun.
Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst bei RIA Nowosti am 28. Mai erschienen.
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