Russland

Ende des Steuerparadieses Russland? Regierung plant Steuererhöhungen

In Russland steht ein weiterer Paradigmenwechsel historischer Bedeutung an: Nach den Plänen der Regierung von Premier Michail Mischustin soll demnächst ein progressiver Steuersatz bei der Einkommensteuer eingeführt werden. Bislang gilt ein "flacher" Steuersatz von 13 Prozent, den Arme wie Reiche zahlen.
Ende des Steuerparadieses Russland? Regierung plant SteuererhöhungenQuelle: Gettyimages.ru © Nuthawut Somsuk

Von Wiktorija Nikiforowa

Was seit Langem in aller Munde war, ist nun endlich eingetreten: Die Regierung und die Staatsduma haben einen Diskussionsprozess über Änderungen des russischen Steuersystems eingeleitet. Debattiert wird im Wesentlichen der Übergang vom aktuellen Pauschaltarif von 13 Prozent bei der Einkommensteuer ("flat tax") zu einer Progressivsteuer.

Natürlich geht es der Regierung dabei nicht darum, den Reichen alles "wegzunehmen und aufzuteilen". Laut Finanzminister Anton Siluanow wird die große Mehrheit der Menschen im Land von den Steueränderungen überhaupt nicht betroffen sein. Höher wird die Steuerlast ausschließlich für große Unternehmen, Unternehmen mit großen Umsätzen und Privatpersonen mit hohem Einkommen werden. Etwa 95 Prozent der kleinen Unternehmen sollen auch weiterhin zum bisherigen Steuersatz besteuert werden.

Der Pauschalsteuersatz gilt in Russland seit 2001. Er war eingeführt worden, als das Land gerade dabei war, sich aus dem wirtschaftlichen Tief der 1990er-Jahre herauszuarbeiten.

Die kleine und einfach zu handhabende Einkommensteuer spielte dabei zweifellos eine positive Rolle – privates Geld floss in die Wirtschaft, und die Unternehmer erkannten schnell, dass die rechtzeitige Zahlung von Steuern es ihnen ermöglicht, legal, dynamisch und sicher zu leben und sich zu entwickeln. Anreize, Steuern zu hinterziehen, wurden geringer. Es war die flache Skala, die das russische Wirtschaftswunder bewirkte: Das Land, das Abwertung und Zahlungsausfall nur knapp überlebt hatte und am unteren Ende der Weltwirtschaft gedümpelt hatte, wurde innerhalb weniger Jahrzehnte zu einem der weltweit führenden Länder.

Das rasante Wirtschaftswachstum hat jedoch seine eigenen Verzerrungen mit sich gebracht – vor allem eine enorme Einkommensungleichheit. Eine weitere Krankheit des russischen (und nicht nur des russischen) Kapitalismus ist die schmerzhafte Besessenheit, Geld ins Ausland zu schaffen. Milliarden, die für die Entwicklung des Landes hätten verwendet werden können, wurden im Ausland für völligen Unsinn ausgegeben – Fußballklubs, überbewertete "Immobilien", Da-Vinci-Fälschungen, ...

In den letzten zwei Jahren haben sich "westliche Partner" einen erheblichen Teil dieses mit aus Russland ausgeführtem Kapital erworbenen Vermögens schamlos angeeignet: gestohlen, unterschlagen, geraubt, konfisziert. Laut Bloomberg haben russische Milliardäre damit begonnen, ihre Konten und Vermögenswerte, die noch nicht gestohlen sind, massenhaft zurück nach Russland zu verlagern. Willkommen zu Hause, aber das Land erwartet von seinen reichen Bürgern auch einen entsprechenden Beitrag zu seiner Entwicklung.

Die Steuerprogression wird maximal transparent sein. Nutznießer des neuen Systems sollen Familien mit Kindern sowie die Regionen mit demografischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten sein. Das eingenommene Geld soll vor allem für nationale Großprojekte verwendet werden, die in erster Linie eine soziale Ausrichtung haben.

Für Unternehmen wird es mehrere Möglichkeiten der steuerlichen Amnestie geben. Diejenigen, die ihr Unternehmen nicht aufspalten, um eine höhere Besteuerung zu vermeiden, werden Unterstützung erhalten. Die Steueränderungen werden sich nicht auf die Investitionsprojekte auswirken, für die stabile Bedingungen garantiert wurden. Und das Wichtigste ist, dass nur die Geschäftsleute, die in Russland investieren und ihr Geld nicht in Offshore-Zentren abziehen, mit staatlicher Unterstützung rechnen können.

Einfach ausgedrückt: Das in Russland verdiente Geld soll im Lande bleiben – und das ist in der Tat die Verwaltung des Wirtschaftslebens des Landes, die unsere Gesellschaft von unserem Staat seit Langem eingefordert hat.

Werden die Unternehmen wirklich Steuern zu dem neuen Satz zahlen? Die Geschichte gibt die Antwort darauf. Im Jahr 2001 hatte vielen Menschen der Gedanke, an den Staat zu zahlen, befremdlich erschienen, aber letztlich wurde das Entrichten von Steuern nicht nur zur Selbstverständlichkeit, die 13-prozentige Steuer wurde sogar mit gewisser Begeisterung angenommen. Die Steuerdisziplin heute ist aus Sicht des Chaos der 1990er-Jahre erstaunlich. Nach den Ergebnissen der damaligen Reform erkannte der Internationale Währungsfonds Russland als das erfolgreichste Land der Welt beim Übergang zu einem flachen Tarif an.

"Zahle deine Steuern und schlafe ruhig" – diese Maxime gilt auch heute noch. Einem Geschäftsmann ist es, wie uns allen, nicht egal, wo er lebt und in welchem Land seine Kinder aufwachsen. Jeder möchte, dass das Land wohlhabend, elegant und sicher ist. Jeder möchte die beste Bildung, die beste Medizin und die besten Straßen der Welt haben, und für all das braucht man Geld. Wenn ein reicher Mann beschließt, sein Leben an Russland zu binden, dann ist es nicht nur fair, in die Verbesserung unseres gemeinsamen Lebens zu investieren, es geschieht auch im eigenen Interesse.

Und hier kommen wir zum moralischen Aspekt der Steueränderungen. Professionelle Finanzexperten vermeiden es, über dieses Thema zu sprechen, aber für die Menschen ist es äußerst wichtig. Das Geburtstrauma unserer Gesellschaft ist die ungerechte Privatisierung der 1990er-Jahre, die Erinnerung daran ist einfach nicht aus dem öffentlichen Bewusstsein zu tilgen. Mit dem Übergang zu einem progressiven Steuertarif soll diese seit Langem bestehende Ungerechtigkeit korrigiert werden.

Der Zweck der Steuerprogression besteht nicht nur darin, eine bahnbrechende Entwicklung der russischen Gesellschaft zu gewährleisten, sondern auch darin, die Moral zu verbessern, das Land besser und die Menschen glücklicher zu machen. Mit diesem Geld wird dafür gesorgt, dass wir in schönen neuen Häusern wohnen, dass Kinder auf den Straßen spielen und dass Passanten einander öfter anlächeln. Der Unmut über die Ungleichheit sprengt inzwischen ganze Länder von innen heraus. Wir müssen alles in unserer Macht Stehende tun, um diese Ungleichheit zu beseitigen.

Große Unternehmen haben die Initiative der Regierung anders bewertet. Die Eigentümerin von Wildberries, Tatjana Bakaltschuk, hält die progressive Skala für "eine sehr gute Geschichte". Dmitri Masepin, Mitglied der Russischen Union der Industriellen und Unternehmer (RSPP), forderte die Gesetzgeber auf, mit den Steuern vorsichtiger umzugehen und "nicht das Huhn zu schlachten, das goldene Eier legt".

Jüngsten Berichten zufolge ist die Henne jedoch nicht in Gefahr. Wir alle wollen nur, dass ihre Eier in Russland bleiben.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 21.05.2024 auf ria.ru erschienen.

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