Tschetschenien: Unbekannte greifen russische Journalistin und Anwalt vor Gerichtssitzung an
Die Journalistin Jelena Milaschina und der Anwalt Alexander Nemow wurden am Dienstagmorgen in Tschetschenien angegriffen. Milaschina war auf einer Arbeitsreise in Grosny, um über den Prozess gegen Sarema Musajewa, die Ehefrau eines ehemaligen Richters, zu berichten. Nemow hätte sie am Dienstag vor Gericht vertreten sollen.
Nemow sagte zur Menschenrechtsorganisation Team gegen Folter (ehemals Komitee gegen Folter), dass ihr Fahrzeug auf dem Weg vom Flughafen Grosny Richtung Stadtzentrum von drei Autos mit bewaffneten Männern blockiert worden sei. Die unbekannten Angreifer sollen die Ausrüstung und die Dokumente der Journalistin und des Anwalts zerstört haben.
Nach Angaben von Sergei Babinez, dem Leiter von Team gegen Folter, seien die beiden schwer geschlagen worden. Sie seien anschließend in ein Notfallkrankenhaus in Grosny gebracht worden. Nemow sitze derzeit im Rollstuhl. Milaschina könne sich aufgrund ihrer Verletzungen nicht einmal aufsetzen. "Beide wurden von Männern mit schwarzen Sturmhauben schwer verprügelt und bedroht, auch mit Schusswaffen. Soweit wir wissen, wurde Alexander Nemow mit einem scharfen Gegenstand, möglicherweise einem Messer, am Bein getroffen", erklärte Babinez. Dabei hätten die Angreifer der Journalistin wegen ihrer Tätigkeit gedroht. "Offensichtlich handelt es sich nicht um einen Bandenangriff, sondern um einen Angriff wegen ihrer Tätigkeit", sagte Babinez.
In einem Video, das im Krankenhaus gedreht wurde, erklärte die Betroffene, die kahl rasiert und mit grüner Farbe übergossen ist:
"Es war eine klassische Entführung, wie es früher einmal war. Nur hat es so etwas aber schon lange nicht mehr gegeben. Sie blockierten das Fahrzeug, warfen den Taxifahrer aus seinem Auto, stiegen ein, beugten unsere Köpfe nach unten, fesselten meine Hände und hielten mir eine Waffe an den Kopf. Sie handelten irgendwie nervös und haben es nicht geschafft, mir die Hände zu fesseln".
Laut Medienberichten seien bei ihr eine Kopfverletzung und gebrochene Finger diagnostiziert worden. Später gab es Meldungen, wonach die beiden in ein Krankenhaus in Beslan verlegt würden. Nach Angaben von Menschenrechtsaktivisten wurde dieser Befehl vom tschetschenischen Oberhaupt Ramsan Kadyrow nach einem Telefongespräch mit der russischen Menschenrechtsbeauftragten Tatjana Moskalkowa erteilt. Die beiden Betroffenen sollen es abgelehnt haben, bei der Polizei Beweisaussagen abzulegen, da sie "keinen Nutzen darin sehen".
Milaschina ist eine bekannte russische Journalistin. Sie arbeitete viele Jahre lang bei der Nowaja Gaseta, bis die Zeitung ihre Arbeit nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs einstellen musste. Die 44-Jährige ist vor allem für ihre Recherchen im Nordkaukasus bekannt. Sie war bereits mehrfach angegriffen worden, zuletzt im Jahr 2020 in Grosny.
Der Vorsitzende des russischen Journalistenverbandes erklärte der Agentur RIA Nowosti, dass er die Lage prüfe. Er bezeichnete den Angriff auf die Journalistin als inakzeptabel. Andrei Klischas, Vorsitzender des Ausschusses für Verfassungsgesetzgebung des Föderationsrates, sagte, dass eine "harte Reaktion der Strafverfolgungsbehörden" auf den Angriff erforderlich sei.
Präsident Putin sei über den Angriff informiert worden, teilte sein Sprecher am Dienstagnachmittag mit. Es gehe um einen "sehr ernsten Angriff", der Ermittlungsmaßnahmen erfordere, erklärte Dmitri Peskow.
Der tschetschenische Ombudsmann Mansur Soltajew bezeichnete den Angriff als "Sabotage und Provokation gegen die Republik".
Im Januar 2022 hatte die Familie von Sarema Musajewa behauptet, die Frau sei in Nischni Nowgorod von tschetschenischen Ordnungskräften entführt worden. Das Innenministerium der Republik erklärte, sie sei als Zeugin in einem Betrugsfall zwangsweise zur Befragung nach Grosny gebracht worden. Laut der Behörde soll Musajewa außerdem einen Polizisten angegriffen haben. Hochrangige Beamte in Tschetschenien hatten der Familie anschießend gedroht. "Diese Familie wird entweder im Gefängnis oder unter der Erde landen. Und das liegt nicht an mir", schrieb Ramsan Kadyrow auf Telegram. Später erklärte er, dass es sich bei seinem Beitrag nicht um eine Drohung, sondern um eine Tatsachenbehauptung handelte. Im Februar 2022 fand in Grosny eine Kundgebung gegen die Familie statt, bei der ihre Porträts verbrannt und zerrissen wurden. Einige Familienmitglieder flohen aus Russland, nachdem sie des Terrorismus beschuldigt worden waren. Musajewas Sohn war im Komitee gegen Folter tätig, ihr Mann ist ein hochrangiger Richter in Tschetschenien.
Am Dienstagmittag, wenige Stunden nach dem Angriff, verurteilte ein Gericht in Grosny Musajewa wegen Gewalt gegen einen Polizeibeamten zu fünfeinhalb Jahren Haft. Die Verteidigung beantragte wegen des Angriffs auf Musajewas Anwalt eine Vertagung des Urteils, diese wurde jedoch abgelehnt.
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