Russische Freiwillige: "Ergeben würde sich niemand – für den Fall trägt jeder eine Handgranate"
von Natalja Towantschowa
Sergei Sijatdinow, Funkname "Der Tatar"
Wir waren auf Montage in Kamtschatka, mit Michail Surowzew. Da sitzen wir also oben auf dem Gerüst und reden; die Sonderoperation hat bereits begonnen. Dort, in luftigen Höhen, beschlossen wir: Wenn wir von der Montage nach Hause zurückkehren, fahren wir als Freiwillige hin. Im Donbass werden Kinder getötet, wir haben selbst Kinder – wie soll man das ertragen?
Wir kehrten nach Hause zurück, kündigten auf der Arbeit und gingen zum Kreiswehramt. Den Familien sagten wir, es gehe zur Montage nach Donezk auf eine Baustelle. Später aber, als im Ausbildungszentrum die Telefone abgegeben wurden, gestanden wir es den Frauen. Gut, meine Frau ist ja daran gewöhnt, dass es mich ständig irgendwohin verschlägt: Ich habe Tschetschenien hinter mir und noch mehr.
Meine Töchter haben auch Verständnis – ich habe drei. Sie hatten schon als Kinder Kalaschnikows zerlegt und zusammengebaut und waren mit mir zum Übungsgelände gefahren. Ihnen erklärte ich, dass wir nachholen müssen, was Großvater Matwei nicht zu Ende brachte. Er war der Großvater meiner Frau, er hatte im Großen Vaterländischen Krieg gekämpft und wurde ausgezeichnet. Er erzählte all seinen Enkeln und Urenkeln immer vom Krieg.
Immer wenn es hart auf hart kam, dachte ich: Großvater Matwei schaut mir von oben zu – bloß nicht kneifen. Irgendwie wurden wir dazu erzogen, dass man nicht einfach zu Hause aussitzen kann, wenn so etwas geschieht.
Die Ausbildung war übrigens eine ernste Sache: Bei 40 Grad Hitze liefen wir 20 Kilometer am Tag in voller Kampfausrüstung. An den Leiter des Ausbildungslagers erinnerten wir uns später sehr oft mit Dankbarkeit. Unter den Freiwilligen waren Leute jedes Schlags, wirklich von jedem Metier – ein Abgeordneter, ein Geschichtslehrer, ein Immobilienmakler... Wir hatten auch einen Oleg S. bei uns, einen Ukrainer. Er diente auch in den Streitkräften der Ukraine – verstand aber dann, dass alle führenden Köpfe dort Nazis sind. Er machte sich dort rar, fuhr auf die Krim und meldete sich freiwillig – für die Unseren. Er wurde durch einen Volltreffer in den Schützengraben getötet.
Unser Kommandeur war von Anfang bis Ende bei der Kompanie. Es gab auch Verluste. Ergeben würde sich niemand – jeder hatte eine Granate dabei, nur für diesen Fall. Es gab nach den ersten Kämpfen auch nachträgliche Verweigerer unter den Freiwilligen – später blieben aber nur echte Patrioten.
Dort werden natürlich alle Gefühle verstärkt. Einmal sollte ich Alexei Schabanski treffen, er brachte uns Wärmebildkameras. Da sitze ich auf einem Baumstumpf, bin aber unruhig. Ich drehe mich um und gehe zurück. Und was höre ich? Einschlag! Ich hatte mich hinter einen Baum gestellt, und an mir flog ein großer Splitter vorbei, vor meiner Nase – ich konnte sogar die Hitze spüren. Jetzt in den Graben, aber dalli, denke ich mir. Und nach nur einem halben Schritt höre ich einen weiteren Splitter – und da ging mir durch den Kopf: deiner. Er prallte gegen einen Baum, und dann haut mir aber irgendetwas in die Schulter.
Die Zeit dehnte sich irgendwie aus. Ich liege da und denke: Wenn mir der Arm abgerissen wurde, rufe ich keine Hilfe, will nicht als Krüppel weiterleben. Augen zur Seite und nachgesehen: Die Hand scheint da zu sein, nur spüren kann ich sie nicht. Ich rufe nach meinen Leuten und sie sagen: "Da kommt gleich noch einer angeflogen." Ich robbe los, mein Arm ist bewegungslos und mein Rücken fühlt sich an, als würde er brennen. Dann war der Beschuss vorbei, und sie untersuchten mich: Arme und Beine mehr oder weniger in einem Stück, so weit so gut.
Dann kam ich wieder einigermaßen zu mir und wollte nicht von den Stellungen weg: Von den Jungs weg – wie denn? Aber später wurde ich trotzdem ins Lazarett eingeliefert, denn das Atmen tat weh, und mein Arm klemmte irgendwie. Dort hatten sie jedoch keine Geräte, untersucht wurde ich in der Heimatstadt.
Und da fanden sie heraus: Schulterblatt gebrochen, mehrere Rippen gebrochen. Vier Gehirnerschütterungen. Aber Gehirnerschütterungen waren dort üblich, wir hatten alle PKS (Postkommotionelles Syndrom) und Tinnitus. Es verging ja nicht ein Tag ohne Mörserbeschuss.
Aber krank wurden wir nie. Ich habe einmal direkt in einem Bächlein geschlafen, hatte mich nur schön dicht in meinen Schlafsack eingemummt – kein Schnupfen, keine Erkältung. Und Husten höchstens mal wegen Staub, wenn man im Laster auf der Pritsche mitfährt.
Manchmal kam es vor, dass unsere Stellungen direkt neben Ukrainern waren – ihnen gegenüber. Morgens rufen sie: "Orks, kommt und holt euch Gorilka und Schmalz!" Aber wir hatten eine liebevollere Bezeichnung für sie, wir nannten sie Dillköpfchen...
Als ich nach Hause zurückkehrte, war ich nicht sofort auch angekommen. Ich ging mit meiner Frau in einen Geschirrladen. Jemand hat einen Topf fallen lassen. Ich wusste selbst gar nicht, wie ich unter das Regal abgetaucht war. Meine Frau tritt heran: "Kommste vielleicht mal raus?" Das Poltern war wie ein Einschlag, und ich reagierte einfach. Dort haben wir gelernt, regelrecht in den Boden einzutauchen.
Ich sagte meiner Frau, ich würde nicht mehr hinfahren. Aber hinfahren werde ich. Erst ein wenig Erholung, bis die Kopfschmerzen weg sind – und ich fahre hin. Irgendjemand muss diese Arbeit ja machen. Das ist Arbeit für einen richtigen Mann. Unsere Jungs kämpfen da drüben im Krieg, die Brüderchen, und ich bin hier – geht so nicht.
Alexei Schabanski, Funkname "Der Lette"
Falls du umkommst, ist das nicht schrecklich. Wenn du verwundet wirst, tut das weh, aber es macht keine Angst. Wir hatten einen Verwundeten – und mit einem gebrochenen Bein und gerissener Milz hatte der noch andere Verwundete rausgetragen. Er hat übrigens überlebt und ist vor kurzem aus dem Krankenhaus zurückgekehrt. Aber wenn jemand in deinen Armen stirbt und du ihm nicht helfen kannst, ist das schrecklich. Mir starb einer in den Armen – und sagte immer wieder: "Ich will nach Hause." Er plante, zurückzukehren und zu heiraten.
Unser Direktor – ich habe in einer Bildungseinrichtung gearbeitet – hat zu Beginn der Sonderoperation immer gesagt: Es braucht Freiwillige. Wenn wir nicht alle anpacken, kommt nichts Gutes dabei heraus, Russland würde demontiert, genau wie die Sowjetunion zu ihrer Zeit. Als mein Urlaub anstand, ging ich zum Kreiswehramt und reichte meine Unterlagen ein. Meine Mutter sagte: "Ich bin überrascht, dass du es mit deinem Temperament überhaupt bis zum Sommer ausgehalten hast." Meine Frau drohte, sich von mir scheiden zu lassen. Aber ich packte die Koffer und fuhr hin.
Um ehrlich zu sein, hatte ich gar nicht erwartet, überhaupt wieder zurückzukommen, ich war bereit zu sterben. Hätte ich keine Wunden an der Schulter und am Bein, wäre ich an der Front geblieben. Ich war gerade dabei, einen Toten rauszubringen, als wir eingedeckt wurden. Einmal blieb ein Granatsplitter in meinem Helm stecken, und das zweite Paar Stiefel in meinem Rucksack wurde auch durchlöchert.
Den Helm habe ich dort nicht getragen, außer an den Feuerstellungen. Wenn man auskundschaften geht, versucht man, das Gewicht gering zu halten – und dann besser mehr Munition mitzunehmen.
Es sind alle möglichen Dinge passiert. Wir übernachteten einmal in einer Ölraffinerie, und am frühen Morgen wurde ein Mörser auf das Gebäude abgefeuert. Alle waren im Keller, ich war im ersten Stock. Ich hörte wohl irgendwelche Explosionen, aber das war ich ja gewohnt. Und später sah ich dann ein großes Loch in der Wand direkt gegenüber meinem Zimmer.
Im Allgemeinen war Humor dort die Rettung. Einen hatten wir, nicht mehr so jung, der hatte gerade sein Gebiss herausgenommen, um es zu reinigen – und dann kam der Beschuss. Wir haben später alles danach durchsucht – konnten dieses Gebiss aber nicht mehr finden. Alle haben sich natürlich gut amüsiert. Oder auch: Nach dem Regen hängen wir unsere Wäsche zum Trocknen auf, dann kommt ein Beschuss – und von den Klamotten bleiben nur die Gummiteile übrig. Da prusten wir natürlich auch los.
Ich werde zurückgehen. Meine Frau reicht dann wohl mit Sicherheit die Scheidung ein. Aber dort ist das Leben viel interessanter. Keine Gadgets, keine Intrigen. Alles ist einfach und verständlich: Biwak einrichten, Essen kochen, dem Kameraden helfen.
Als wir zurückkamen, nach dem Grenzübergang: Diese Lichter überall – das mutete sehr wild an. Wieder in Irkutsk angekommen, setzte ich mich ans Steuer. Die Ampel stand auf Rot und mein erster Gedanke war: Aus welcher Richtung soll ich den Einschlag erwarten? Ein Feuerwerk ging los – ich saß es zu Hause aus und wartete nur darauf, dass es zu Ende ging...
Michail Surowzew, Funkname "Der Bär"
Dort lebt man anders. Man merkt sofort, was für ein Mensch jemand ist. Und Ratten bleiben dort nicht lange.
Wenn es ruhiger war, haben wir Romane gelesen. Wir haben sie in den Häusern gefunden: Die Einheimischen hatten alles dagelassen, als sie weggingen. Einige US-Schnulzen – solchen Müll würde ich zu Hause nicht im Leben lesen, aber dort bringt es Ablenkung. Später fanden wir Bulgakow und Agatha Christie und wechselten zu diesen Büchern. Bücher, Humor, alles hat geholfen.
Es ist schon allerlei passiert... Aus den Baumanpflanzungen im Feld bis zum Dorf ist es ein weiter Weg – und wir mussten Wasser aus einem Brunnen holen. Wir fanden ein besitzerloses Motorrad, machten es fahrtüchtig, befestigten am Beiwagen ein Fass anstelle des Boots und holten Wasser aus dem Brunnen – zum Trinken und Waschen. Eines Tages entdeckten uns die Ukrainer und begannen, auf den Brunnen zu schießen. Da tanzen wir also um den Brunnen herum – aber mit leeren Händen wegzufahren, ist keine Option, wir müssen Wasser holen. Und dann sind wir aber mit dem Motorrad von dort abgedampft – wie im Film, echt... In Kellern mussten wir auch quartieren, in denen früher die ukrainischen Soldaten wohnten. Wenn sie fliehen, lassen sie alles zurück: Munition, Handgranaten, Einweg-Granatwerfer.
Das Schlimmste wäre, ein Krüppel zu bleiben. Dann lieber sofort getötet werden.
Übersetzt aus dem Russischen.
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Der Westen verurteilte den Angriff, reagierte mit neuen Waffenlieferungen, versprach Hilfe beim Wiederaufbau und verhängte Sanktionen gegen Russland.
Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.