Russland: Chefärzte bieten prominenten Impfverweigerern Tour durch Intensivstationen an

Mehrere russische Chefärzte haben sich in einem Schreiben an Politiker und Prominente gewandt, die zu den führenden Impfskeptikern im Lande gehören. Die Mediziner luden sie zu einem Rundgang durch Intensivstationen und Leichenhallen ein, um die Lage mit eigenen Augen zu sehen.

Am Mittwoch richteten die Chefärzte mehrerer russischer Corona-Krankenhäuser einen offenen Brief an hochkarätige Impfskeptiker. Das Schreiben ging unter anderem an den Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Russlands, Gennadi Sjuganow, sowie den Vorsitzenden der Partei Gerechtes Russland, Sergei Mironow. Auch Pjotr ​​Tolstoi, der stellvertretende Vorsitzende der Staatsduma, sowie einige Schauspieler und Musiker wurden namentlich angesprochen. Die Ärzte schlugen den Prominenten vor, ihre Einrichtungen zu besuchen, um sich vor Ort ein realistisches Bild von der Lage zu machen.

Die Mediziner versprachen, trotz der hohen Arbeitsbelastung etwas Zeit zu finden, um allen Freiwilligen eine Tour durch sogenannte Rote Zonen (Abteilungen für Infizierte), Intensivstationen und pathologische Stationen anzubieten. Die Verfasser des Appells äußerten die Hoffnung, dass alle Angesprochenen nach dem Besuch ihren Standpunkt ändern und "weniger Menschen sterben werden". Der Brief enthält eine Telefonnummer für Besichtigungsanfragen, die mit der Nummer der offiziellen Corona-Hotline übereinstimmt.

Sjuganow hatte erst vergangene Woche gesagt, ein Impfzwang sei inakzeptabel. Jeder Bürger solle diese Frage selbst für sich entscheiden. Der Politiker bemängelte die Idee, dass Arbeitgeber Mitarbeiter zur Impfung drängen könnten. Er kritisierte zudem die Verwendung von QR-Codes, die in Russland als 3G-Nachweis dienen, und betonte, dass er entsprechende Gesetzesentwürfe nicht unterstütze. Falls andere Abgeordnete die Initiative unterstützten, werde Russland einem Konzentrationslager ähneln, so Sjuganow.

Auch Mironow hatte einige der von den Behörden auferlegten Beschränkungen als "unüberlegt und rechtswidrig" verurteilt. Es sei unzulässig, Menschen zur Impfung zu zwingen und sie in Gut und Böse aufzuteilen. Er forderte einen Neustart der Impfkampagne und bezeichnete die aktuelle als gescheitert.

Obwohl Russland den weltweit ersten Impfstoff gegen COVID-19 zugelassen hatte, sind aktuell nur knapp 40 Prozent der Bevölkerung geimpft – weit unter dem europäischen Durchschnitt. Das Land erlebt derzeit seine vierte Coronawelle, und es sterben täglich mehr als 1.000 Menschen im Zusammenhang mit dem Coronavirus. In allen 85 Regionen des Landes gilt eine Impfpflicht für bestimmte Berufe.

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