Russland

Sergei Lawrow: "Wir sollten uns nicht wie die Amerikaner verhalten"

In mehreren Interviews in den vergangenen Tagen hat der russische Außenminister Sergei Lawrow deutlich gemacht, dass Moskaus Geduld mit einigen westlichen Ländern zu Ende ist. Man habe zu lange darauf geachtet, was in diesen Hauptstädten über Russland gedacht wird, und sich danach gerichtet.
Sergei Lawrow: "Wir sollten uns nicht wie die Amerikaner verhalten"© Pressedienst des russischen Außenministeriums

Am Dienstag sollte der erste Besuch des russischen Außenministers Sergei Lawrow in der kroatischen Hauptstadt Zagreb stattfinden, der aber aufgrund der epidemiologischen Lage und der Ansteckung mit dem SARS-CoV-2-Erreger einiger russischer Botschaftsangehöriger kurzfristig abgesagt wurde. Er hätte sich mit seinem kroatischen Amtskollegen Gordan Grlić Radman, Ministerpräsident Andrej Plenković und Präsident Zoran Milanović treffen sollen. Zudem wurde spekuliert, dass Lawrow einen Besuch des russischen Präsidenten Wladimir Putin im nächsten Jahr vorbereiten sollte.

Bereits Anfang Oktober weilte US-Außenminister Mike Pompeo zu einem Besuch in Dubrovnik, sodass sich nicht wenige Kommentatoren und Analysten die Frage stellten, ob der geopolitische Machtkampf zwischen den USA und Russland auch auf Kroatien ausgeweitet wird. Zentrale Themen waren vor drei Wochen der mögliche Verkauf von US-Kampfjets des Typs F-16 und das von Washington mit Vehemenz favorisierte LNG-Terminal für Flüssiggas auf der Insel Krk. Aber auch die kroatischen Beziehungen zu China und Russland waren Bestandteil der Gespräche. 

Deshalb wurde angenommen, dass das Treffen des russischen Außenministers als Reaktion auf Pompeos Besuch stattfinden sollte, nachdem die Ankündigung Mitte Oktober erfolgt war. Trotz der kurzfristigen Absage war es Lawrow aber wichtig, der kroatischen Tageszeitung Večernji list ein Exklusivinterview zu geben, worin er auf einige Punkte eingegangen ist, die vermutlich auf der Agenda seines Besuches gestanden hätten. Er ging jedoch noch weiter und hinterließ eine Botschaft, die sich wie ein rotes Band durch viele Interviews und Auftritte zieht, die er in den vergangenen Tagen absolviert hatte. 

"Der Westen will uns eine Lektion aufgrund unserer unabhängigen Außenpolitik erteilen"  

Auf die Frage von Večernji list, wie er über die Vorwürfe der mutmaßlichen Vergiftung des russischen Oppositionellen Alexei Nawalny oder der angeblichen Einmischung in den US-Wahlkampf denkt, sagte Lawrow:

Leider kommen wir nicht umhin festzustellen, dass Washington und eine Reihe von EU-Hauptstädten kürzlich ihre Bemühungen verdoppelt hat, die Entwicklung Russlands einzudämmen, um uns eine Lektion für unsere unabhängige Außenpolitik und die konsequente Verteidigung unserer nationalen Interessen zu erteilen. Um ihre Handlungen zu rechtfertigen, wie die Einführung neuer antirussischer Sanktionen, werfen sie uns verschiedene Anschuldigungen und Unterstellungen vor, einschließlich der von Ihnen erwähnten. Niemand hat jedoch jemals Tatsachen oder Beweise für diese Behauptungen vorgelegt. Es bleibt traditionell alles auf der Ebene der Andeutungen im Stil des 'highly likely', wo Ansprüche auf der Grundlage von erfundenen Anschuldigungen erhoben werden, die der elementaren Logik widersprechen.

Lawrow hält fest, dass die russischen Angebote eines "professionellen Dialogs" stets abgelehnt wurden, um die Vorwürfe in einem diplomatischen Rahmen zu besprechen. Deshalb habe man "keine andere Wahl", als festzustellen, dass es "keine Elemente gibt, um eine beiderseitig respektvolle Diskussion erwarten zu können", weil man Russland ohnehin bereits im Vorfeld für schuldig erklärt hat. Als Beispiel nannte er die bislang unbeantwortet gebliebenen Rechtshilfeersuchen an Deutschland im sogenannten Fall Nawalny. Dieses Vorgehen der Bundesregierung würde gegen das Europäische Abkommen zur gegenseitigen Unterstützung in kriminellen Angelegenheiten von 1959 verstoßen, beschwerte sich der russische Außenminister.  

Das alles zeige "bedauerlicherweise und deutlich die Unfähigkeit der Europäischen Union", die aktuellen Entwicklungen in der Welt angemessen zu bewerten. Außerdem zeige sich dabei auch der Wunsch der EU, "sich über das Gesetz zu stellen", so Lawrow.

Wir lassen solche antirussischen Unterstellungen unserer westlichen Kollegen nicht ohne eine angemessene Reaktion, nachdem sie völlig vergessen haben, was Diplomatie ist, und auf das Niveau banaler Unhöflichkeit gesunken sind.

Die russische Außenpolitik werde deshalb weiter die "Multi-Vector"-Strategie umsetzen und mit jenen Staaten zusammenarbeiten, die nach den "Prinzipien der Gleichberechtigung, gegenseitigem Respekt und Ausgewogenheit der Interessen" handeln. Die Mehrheit solcher Länder befinde sich im eurasischen Raum, in Afrika und Lateinamerika, sagte Lawrow der kroatischen Tageszeitung.

"Ich vertraue Arnold (Schwarzenegger) mehr als der Europäischen Union"

Dass Sergei Lawrow, der sich jahrelang um einen Dialog mit westlichen Ländern bemühte, nunmehr einen solchen für nicht mehr möglich hält, zeugt von einer neuen Einschätzung des Kremls zur Lage in den USA und der EU. Und diese Einschätzung teilte er in den vergangenen Tagen bei verschiedenen Anlässen immer wieder mit. Beim Waldai-Klub, der wichtigsten außen- und sicherheitspolitischen Denkfabrik mit internationalem Charakter in Russland, meinte der langjährige Außenminister am 13. Oktober:

Die Leute, die für die Außenpolitik im Westen verantwortlich sind, verstehen die Notwendigkeit eines gegenseitigen Respekts in einem Dialog nicht. Und dann müssen wir wahrscheinlich für einige Zeit aufhören, mit ihnen zu reden.

Er verwies darauf, dass es immerhin EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen persönlich war, die gesagt hatte, dass es für die EU "keine geopolitische Partnerschaft mit dem modernen Russland" gebe. Um den Vertrauensverlust zum Westen zu verdeutlichen, benutzte Lawrow ein Zitat des US-Schauspielers und Ex-Gouverneurs Arnold Schwarzenegger, "der in seinen Filmen immer sagt 'Vertraue mir'. Ich vertraue Arnold mehr als der Europäischen Union", sagte der russische Chefdiplomat.

Damit hört es aber nicht auf. Nur einen Tag später, am 14. Oktober, stellte sich Lawrow den Fragen von in- und ausländischen Journalisten im Außenministerium in Moskau. Gegenüber den Vertretern von drei verschiedenen Radiostationen äußerte er sich noch deutlicher. Er stellte klar, dass sich der Kreml die Frage stellt, "ob wir überhaupt noch mit der EU arbeiten können". Die Europäische Union würde nicht nur "von oben herab mit Russland reden, sondern tut dies äußerst hochmütig und arrogant und verlangt, dass wir für Sünden antworten, für die wir angeblich schuldig sind".

Sie haben uns gesagt, dass wir noch nicht ausreichend gereift sind (als Demokratie/Anm.), um ein geopolitischer Partner der EU zu sein, wie Ursula von der Leyen kürzlich feststellte. Deutschlands Außenminister Heiko Maas hat gesagt, dass Unterschiede zu Russland nicht bedeuten, dass Deutschland keine guten oder zumindest vernünftigen Beziehungen (zu Russland) haben kann. Unsere Beziehungen werden in absehbarer Zeit kaum gut sein, und nicht durch unsere Schuld. Wir sind immer bereit, die Beziehungen auf der Grundlage von Gleichheit und gegenseitigem Respekt wieder aufzunehmen, zu normalisieren und zu verbessern. Doch alle Aspekte der Vernunft sollten jetzt von unseren Kollegen analysiert werden. Ich hoffe ernsthaft, dass sich dort die Vernunft durchsetzen wird. Das sehen wir bisher aber nicht.

Der russische Außenminister merkte zudem an, dass man insbesondere in Deutschland eine Veränderung feststellen könne. Zwar spreche Heiko Maas davon, dass Berlin trotz unterschiedlicher Meinung und Differenzen eine Beziehung zu Moskau führen könne, aber das politische Klima der Analysten und Berater der Bundesregierung habe sich verändert. So will man einen Paradigmenwechsel in diesen Kreisen festgestellt haben, der besagt, dass mit Russland so lange keine strategische Partnerschaft möglich sei, bis Moskau "sein Verhalten verändert". Und diese Sichtweise gewinne immer mehr an Zuspruch, ist sich Lawrow sicher.   

Wir werden beobachten, wie sich dieser Trend auf die praktische Politik auswirkt, aber die derzeitige Politik der EU-Staats- und Regierungschefs, einschließlich Frankreichs und Deutschlands, ist nicht optimistisch. 

Zwar habe er nach Gesprächen mit dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell den Eindruck, dass dieser sehr wohl versteht, dass es "ohne Russland sehr schwierig wird, mit vielen Fragen, die für die EU von Interesse sind, umzugehen". Doch nach den Antworten, die Lawrow von Borrell auf einige Fragen erhalten hat, habe er den Eindruck, dass "die EU bisher nicht in der Lage ist, um das Beste aus ihrer russophoben Minderheit zu machen, die das Prinzip des Konsenses und der Solidarität ausnutzt, um die mehr oder weniger konstruktiven Ansätze für die Entwicklung der Beziehungen zu Russland zu blockieren". Auf die Frage, wen er mit der russophoben Minderheit meine, bestätigte Lawrow, dass es sich dabei um die baltischen Staaten und Polen handelt. 

Im Verlauf des weiteren Gesprächs mit den Journalisten machte der russische Außenminister immer wieder deutlich, dass es für Russland keine andere Möglichkeit geben kann, als sich dem Völkerrecht verpflichtet zu fühlen. Obwohl einige der Medienvertreter eine robustere Gangart Moskaus gegen die westlichen Provokationen entlang der russischen Grenze forderten, antwortete Lawrow, dass das Völkerrecht und die Institution der Vereinten Nationen damit unterlaufen würden. Es würde dann vor allem jenen Kräften Auftrieb verleihen, die versuchen, Geschichtsrevisionismus zu betreiben und sämtliche Spuren der (russischen oder sowjetischen) Vergangenheit in ihren Ländern auszulöschen. Das gelte es allerdings auf jeden Fall zu verhindern und könne nur mit Hilfe der Vereinten Nationen und dem Völkerrecht geschehen.

Auf den wiederholten Hinweis eines Journalisten, dass viele Menschen in Russland der Meinung seien, dass sich der Kreml nicht so viel vom Westen gefallen lassen dürfe und aggressiver die eigene Agenda verfolgen sollte, statt dem Westen hinterherzulaufen, antwortete Lawrow:

Wir sollten uns nicht wie die Amerikaner verhalten. Damit kann ich nicht einverstanden sein. Sie sind grob, unhöflich und dreist, obwohl sie versuchen, jedem beizubringen, das Recht jeder Nation zu respektieren, über ihre (eigene) Zukunft zu entscheiden. Sie versuchen das direkt über ihre Botschaften zu artikulieren, wie dies während der beiden Maidan-Proteste in Kiew der Fall war. (...) Ich bin jedoch überzeugt, dass wir diese Methoden nicht anwenden sollten. 

Stattdessen setze die russische Außenpolitik auf die "potenzielle Zukunft" der Verbündeten und unterstütze sie bei den Schritten, die es ermöglichen würden, "gute und für beide Seiten vorteilhafte Beziehungen" aufrechtzuerhalten. 

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