Putin: Wenn andere mit Hyperschallwaffen nachziehen, hat Russland bereits Abwehrmittel dagegen
Hyperschallwaffen sind Lenkflugkörper gegen See- oder Landziele (gegen Landziele meist mit nuklearen Sprengköpfen ausgestattet). Sie zeichnen sich nicht nur durch ihre Geschwindigkeit – mehr als fünfmal schneller als der Schall – auf dem für die Zielvorgaben jeweils relevanten Teil ihrer Flugstrecke aus. Denn solche Geschwindigkeiten werden üblicherweise auch von den Wiedereintrittsflugkörpern ganz "normaler" ballistischer Interkontinentalraketen erreicht. Dazu kommt vielmehr bei ihnen als Neuerung, dass sie unter Beibehalten solcher Geschwindigkeit ständig unvorhersehbare Ausweichmanöver – etwa gegen Flugabwehrraketen des Gegners – ausführen können.
Erst in dieser Kombination enormer Geschwindigkeit und scharfer Ausweichmanöver werden Hyperschallwaffen unüberwindbar – denn noch ist kein Land der Welt im Besitz der Technik zum Abfangen von Hyperschallwaffen. Damit garantieren sie Russland vor allem, dass im Ernstfall ein nuklearer Gegenschlag Russlands nicht von einem nahe an seinen Grenzen errichteten US-Raketenschild abgefangen werden kann und erweitern so die Geltungsdauer des sogenannten MAD-Konzepts bis ins ABM-Zeitalter hinein (Anm.: MAD für Mutually assured destruction). Diese Kombination macht sie auch so einzigartig: Der schiere Aufwand an Forschungs- und Entwicklungsarbeiten zum Thema: "Wie baut man einen nuklearwaffenfähigen Lenkflugkörper, der erstens mit über 5 Mach unterwegs ist und zweitens dabei ständig scharfe Ausweichmanöver fliegen kann und drittens trotz der enormen Trägheitskräfte nicht auseinanderbricht?" wurde bisher eben nur in Russland erfolgreich abgeschlossen.
"Darin besteht das Einzigartige unserer heutige Lage", erklärte Russlands Präsident Wladimir Putin in einem Interview für Andrej Kondraschow, den Ersten Stellvertretenden Generaldirektor des Medienhauses VGTRK, in der Sendung Westi Nedeli (dt.: Wochennachrichten). In der Tat wurden in den USA die Arbeiten an Hyperschallwaffen nach jahrzehntelanger Pause erst unlängst wieder aufgenommen. Das aber gibt Russland einen Vorsprung gleich doppelter Art – bei den Waffen selbst wie auch bei den technischen Mitteln zu ihrer Abwehr. Wladimir Putin gab zu verstehen:
Sie [die Hyperschallwaffen im Arsenal anderer Staaten] werden kommen. Doch mich dünkt, wir werden unsere Partner 'angenehm' damit überraschen – wenn sie solche Waffen bekommen –, dass wir mit einer hohen Wahrscheinlichkeit Abwehrmittel gegen diese Waffen haben werden.
Harter Abfangkurs – welche russischen Waffen können Hyperschall-Ziele treffen?
Die russische Verteidigungsindustrie verfügt über die notwendigen Ressourcen, um einen Komplex zum Abfangen von Hyperschallflugkörpern zu schaffen. Die von RT befragten Militärexperten vertreten die Ansicht, dass bereits jetzt eine ganze Reihe von Systemen im Arsenal der Streitkräfte Russlands existiert, die in einen Komplex zur Abwehr von Hyperschallwaffen eingebunden werden können. Juri Knutow, ein Militärexperte und Direktor des Luftverteidigungsmuseums in Balaschicha bei Moskau, listete im Gespräch mit RT einige davon auf:
Man kann mit großer Zuversicht davon reden, dass die Flugabwehrsysteme S-500 'Prometei', S-400 'Triumf' in einer modifizierten Version und das selbstfahrende Lasersystem 'Pereswet' in einer aufgerüsteten Version mit dem Abfangen von Hyperschallzielen zurechtkommen werden.
Mehr zum Thema – Russisches Verteidigungsministerium: Erste mobile Luftabwehr-Lasersysteme in Felderprobung
Dmitri Kornew, der Gründer des Portals "Military Russia", vertritt einen ähnlichen Standpunkt. Während des Gesprächs mit RT betonte der Experte, dass im Zuge der Modernisierung viele russische Flugabwehrsysteme die Fähigkeit zum Abfangen von Hyperschallflugkörpern erlangen können. Dasselbe gilt für das Lasersystem "Pereswet" und andere neuesten Strahlenwaffen, die zum Bekämpfen ihrer Ziele ebenfalls Laser- oder aber Mikrowellenstrahlung einsetzen werden.
Im Fall von S-500 wurde schon bei der Entwicklung die Funktion der Bekämpfung von Hyperschallzielen berücksichtigt, insbesondere von Wiedereintrittsvehikeln ballistischer Raketen (auch sie entwickeln mehr als fünffache Schallgeschwindigkeit – Anm. d. Red.). Mit bestimmten Modifikationen wird es möglich sein, auch mittels anderer Flugabwehrsysteme wie S-400 und Buk-M3 [manövrierfähige] Hyperschallflugkörper abzuschießen. In Zukunft werden Laser- und Mikrowellenwaffen die gleichen Eigenschaften haben.
Generalüberholung des Arsenals mit Hyperschallgeschwindigkeit
Russland war das erste Land der Welt, das Hyperschallwaffen in Dienst stellte. Es handelt sich um die flugzeuggestützte ballistische Rakete Ch-47M2 Kinschal, die von einer speziell dafür vorgesehenen Modifikation des MiG-31-Abfangjägers gestartet wird, und den Hyperschallgleitkörper "Awangard", der für die Installation auf Interkontinentalraketen – aktuell zur Modernisierung der RS-28 "Sarmat" – vorgesehen ist.
In der Entwicklung befindet sich die russische Langstreckendrohne Antschar-RW. Der schiffsgestützte Seeziel-Hyperschall-Lenkflugkörper 3M22 "Zirkon" wird aktuell von der russischen Marine erprobt – diese Waffe erreicht eine Geschwindigkeit von bis zu Mach 9. Zu Antschar-RW kennt man bisher nur die Summe des Entwicklungsauftrags (knapp 16,5 Millionen Euro) und den Entwickler, das Moskauer Institut für Wärmetechnik. Dieses wurde bisher vor allem durch die Entwicklung ballistischer Raketen bekannt – dies ist die einzige Grundlage, auf der Militärexperten bislang Spekulationen zur Natur dieser Drohne anstellen können.
Abgesehen von Russland arbeiten heute China, Großbritannien, Japan und die Vereinigten Staaten von Amerika derzeit aktiv an der Entwicklung von Hyperschallwaffen.
Bemerkenswerterweise lagen Anfang der 2000er Jahren gerade die Vereinigten Staaten bei der militärischen Nutzung von Hyperschallflugkörpern in Führung. Allerdings waren nicht alle im Entwicklungs- und Testprozess befindlichen Projekte des Pentagon vom Erfolg gekrönt – und so verfügen die US-Streitkräfte bis heute über kein einziges ausgereiftes militärisches Hyperschallprodukt, obwohl in den USA weiterhin intensive Forschung und Experimente in diesem Bereich durchgeführt werden.
US-Präsident Donald Trump erklärte kürzlich in seiner Rede an der Militärakademie in West Point am 13. Juni, dass die US-Industrie angeblich eine Hochpräzisionsrakete entwickelt habe, die 17-mal schneller fliegen könne als moderne Pendants, die anderen Staaten zur Verfügung stehen. Seinen Angaben zufolge betrage die Reichweite dieses Flugkörpers 1.000 Meilen (1.600 km).
Zuvor gab der Chef im Weißen Haus dieser Waffe zwar bereits die Bezeichnung "Super-Duper-Rakete", aber bisher machte keiner der US-Regierungsbeamten genauere Angaben, von welcher Art Waffe die Rede ist und in welchem Stadium sich die Arbeiten daran befinden. Bekannt ist nur, dass das Pentagon mehrere Projekte von Hyperschallwaffen für die Luftwaffe, die Marine und die Bodentruppen finanziert. So befinden sich beispielsweise die ballistische Rakete AGM-183A ARRW für strategische Bomber des Typs B-1 Lancer sowie der Hyperschallgleitkörper C-HGB für die Marine und Bodentruppen in Entwicklung.
Daneben begann man in den Vereinigten Staaten Anfang 2019 jedoch auch über die Notwendigkeit eines Systems zum Abfangen von Hyperschallzielen zu sprechen. Diesem Zweck können nach Angaben des US-Militärs "Hochgeschwindigkeits-Abfangvehikel" und Strahlenwaffen genügen – also Lasersysteme und Mikrowellenkanonen.
Außerdem planen die USA nach Angaben der United States Space Development Agency, Hunderte von Satelliten mit optischer Verbindung untereinander ins All zu schicken – mit dem Zweck, "Hyperschallgleitkörper und aller Raketen der nächsten Generationen" aufzuspüren.
Spürbarer Vorsprung
Die von RT befragten Experten gehen davon aus, dass die USA Mitte der 2020er Jahre in der Lage sein werden, einige Exemplare militärischer Hyperschallwaffen zu erhalten. Doch die Umsetzung der meisten Projekte in diesem Bereich, einschließlich der Arbeit an Abfangwaffen, wird dort näher an 2030 beginnen, prognostiziert Juri Knutow:
Natürlich sollte das wissenschaftliche und technologische Potenzial der US-Industrie nicht unterschätzt werden, aber die von den USA angekündigten Projekte im Bereich des Hyperschalls werden sich bis ins nächste Jahrzehnt hinziehen. Im Prinzip erlaubt eine solche Zeitspanne unserem Land, das bestehende Hyperschall-Arsenal zu verbessern, neue Erzeugnisse zu erschaffen und Probleme mit dem Abfangen von Hyperschallzielen zu lösen.
Schutz gegen den "enthauptenden Erstschlag"
Bei zuverlässiger und schneller Ortung feindlicher Hyperschallflugkörper auf große Entfernung in Kombination mit sehr kurzen Reaktionszeiten könne man diese auch schon mit vorhandenen Mitteln abfangen, so meinen die von RT befragten Experten.
Grundsätzlich benötigt ein wirksames Flugabwehrmittel zum Abfangen von Hyperschallgeräten ein leistungsfähiges Radar, ein System der digitalen Signalverarbeitung, Hochleistungs-Rechenausrüstung inklusive eines hochwertigen Systems zum Herausfiltern von falschen Signalen und Täuschungszielen – und schließlich hyperschnelle Abfangraketen. Dmitri Kornew führt aus:
Ein Hyperschall-Flugobjekt abzufangen ist eine sehr schwierige Aufgabe – besonders dann, wenn es manövrierfähig ist. Bei den heutigen Flugabwehrsystemen ist diese Option nur dann verfügbar, wenn sie ihre Flugabwehrraketen dem Ziel entgegenschießen können. Aber dann braucht es immer noch schnelle Elektronik, die in der Lage ist, die Zielflugbahn zu berechnen.
Nach Auffassung des RT-Gesprächspartners wird das Abfangen von Hyperschallgeräten noch sehr lange nach der traditionellen Methode erfolgen, bei der Sprengköpfe der Flugabwehr-Lenkwaffen in der Nähe des Ziels explodieren: Das Ziel rast somit in eine dichte Splitterwolke und wird dabei zerstört.
Ich betrachte die Fähigkeiten von Strahlenwaffen mit einer gewissen Skepsis. Ja, Lasersysteme und Mikrowellenkanonen garantieren sofortige Treffer, aber ihre Leistung blieb bis heute gering. Da gilt es noch, viele Fortschritte bei kompakten Energiequellen wie kleinen Kernreaktoren zu erzielen. Ich denke, die entsprechenden Arbeiten werden in Russland aktiv vorangetrieben.
Juri Knutow stellt seinerseits fest, dass die russischen Streitkräfte bereits über die Mittel verfügen, einzelne Hyperschallziele zu orten und abzufangen. Seiner Ansicht nach kann das mobile Radar 59N6-E Protivnik-GE die Ortung solcher Flugkörper bewältigen, während Raketenabwehr-Lenkflugkörper, die zum Arsenal des Moskauer ABM-Systems A-135 gehören und daher von Haus aus schon gegen (ballistische) Hyperschall-Ziele ausgelegt sind, das Abfangen übernehmen können.
Knutow fasst zusammen:
Eine riesige Menge der Informationen über vielversprechende Entwicklungen auf dem Gebiet des Hyperschalls wird schlicht nicht öffentlich gemacht. Die uns vorliegenden Daten lassen jedoch den Schluss zu, dass das russische Verteidigungsministerium und Russlands Industrie eine klare Vorstellung davon haben, wie die Ressourcen für die Schaffung von Verteidigungs- und Angriffswaffen, die ausländischen Modellen mindestens um 5 bis 10 Jahre voraus sind, mit Sachkenntnis konzentriert werden können.
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