Fasbenders Woche: Lässt Putin uns frieren?

Wo bleibt das US-Frackinggas? – Grüne vor der Enttäuschung – Gil Ofarim und der Davidstern
Fasbenders Woche: Lässt Putin uns frieren?

"Lässt Putin uns im Winter frieren?", schlagzeilte BILD schon Ende September. Seither bezieht Russland Dresche über das übliche Maß hinaus, und das nicht nur seitens des Springer-Boulevards. Manche Beiträge scheinen zu unterstellen, Gazprom komme nicht einmal den vertraglichen Verpflichtungen nach. Der Spiegel zitiert Michail Krutichin, in Russland auch als "Öl-und-Gas-Dissident" bekannt, mit der Behauptung, das Unternehmen habe schon 2006, 2009, 2012 und 2014/15 "mitten im Winter Gaslieferungen nach Europa eingestellt oder auf die Hälfte reduziert". Allerdings betraf das in allen Fällen die Ukraine, nicht die Transitlieferungen nach Europa. Soviel dazu.

Sind also wirklich die Russen schuld, dass die Gaspreise um das Zwei- bis Vierfache gestiegen sind? Es ist die englische BBC, die solche Unterstellungen in einem ausführlichen Faktencheck aus dem Weg räumt. In der Tat: Nicht Putin, Russland oder Gazprom sind für den Preisanstieg verantwortlich, sondern der weltweite Nachfrageschub gegen Ende der Corona-Pandemie – plus das Versäumnis der europäischen Versorger, nach dem kalten Winter ihre Lager aufzufüllen. Russland liefert alle vertraglich vereinbarten Mengen; die Europäer haben nur vergessen, diese rechtzeitig anzuheben.

Auch Angela Merkel und Gerhard Schröder nehmen Russland gegen die Medienhatz der letzten Wochen in Schutz. Schließlich kennen sie die Sachlage. Die ist nämlich komplizierter, als BILD oder Der Spiegel es gern hätten. Die Nord-Stream-Röhren werden mit Gas aus ganz anderen Feldern gespeist als die alten Röhren durch die Ukraine und Belarus. Diese alten Felder und Röhren sind weit von ihrer Jugendleistung entfernt, da tut sich bald nicht mehr viel. Nicht ohne Grund spitzt die Gaswelt in Ost und West auf die Inbetriebnahme von Nord Stream 2.

Doch ideologisierte Journalisten wissen es besser. "Schröders neueste Gas-Märchen" titelt BILD zum Erklärungsversuch des Altbundeskanzlers. Dieselben Medien, die steif und fest behauptet haben, Nord Stream 2 sei völlig überflüssig und Deutschland brauche überhaupt kein zusätzliches Russengas – diese Medien spielen jetzt den Beleidigten. Statt zu fragen: Wo bleibt denn das günstige amerikanische Frackinggas? Das Blaue vom Himmel haben sie uns versprochen, die US-Verbündeten und ihre transatlantischen Unterstützer: sichere Versorgung, gerechte Preise, nie wieder Abhängigkeit von russischem Gas. Und jetzt? Die höchsten Spotmarkt-Preise werden in Fernost erzielt; dort geht auch das amerikanische Gas hin. Nicht in die deutschen Speicher.

 

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Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass – so liest sich das Sondierungspapier der Ampel-Koalitionäre. Jede der drei Parteien hat ihre Minimalforderungen durchgesetzt. Wobei die FDP, weil sie mit den wenigsten Minimalforderungen angetreten ist (keine Steuererhöhungen und kein Tempolimit) relativ am besten abschneidet. Das größte Problem werden die Grünen bekommen, die ihren Wählern nicht weniger als die Rettung des Planeten versprochen haben. Es ist ein hirnrissiges Ziel, weil Deutschland den Planeten gar nicht retten kann. Doch was man verspricht – und sei es auch hirnrissig –, daran wird man gemessen.

Die FDP hat sich durchgesetzt, die SPD kann mit Kompromissen leben, nur auf die Grünen kommen schwere Zeiten zu. Die Bundesregierung der nächsten vier Jahre entscheidet über das Weltklima, hat Annalena Baerbock mehr als einmal verkündet. Und ihre Wähler glauben das. Die meisten Grünenanhänger sind überzeugt: Wenn Deutschland jetzt eine richtig zackige Klimapolitik betreibt, also Verbrennerverbot, Kohleverbot, Reise- und Fleischverbot in kürzester Zeit, dann schaffen wir die 1,5 Grad wenigstens zwischen Rhein und Oder. Und wenn die anderen Länder erst sehen, dass es bei uns nicht mehr wärmer wird, begreifen sie von ganz allein, wie sehr das Verbieten sich lohnt.

Da mögen sie noch so viel Kreide schlucken während der Koalitionsverhandlungen, die Grünen sind eine fundamentalistisch-religiöse Partei. Sie glauben an das Paradies auf Erden: Milch und Honig für beliebige Milliarden, Lamm und Löwe in heiliger Eintracht, Selbstverwirklichung für jedermann. In der sich abzeichnenden Koalition wird die Partei noch entschieden fundamentalistischer werden – eben weil sie verstehen wird, dass Heil und Erlösung in der Demokratie unerreichbar sind.

Ein Ventil könnte die Außenpolitik bieten. Den Russen, Chinesen, afrikanischen Diktatoren und anderen kann man schließlich ungestraft den Marsch blasen, wenn es um menschenrechtliche und andere Defizite geht. Nun haben die Russen, Chinesen, afrikanischen Diktatoren und andere einen perfekt entwickelten Mechanismus, sich solcher Belehrung zu entziehen: in das eine Ohr hinein, aus dem andern hinaus. Genauso ist möglich, dass die ausländischen Gesprächspartner dann doch irgendwann fragen, was Klein-Deutschland sich da anmaßt – und entsprechend unwillig reagieren. Künftige Lebenserfahrung für einen grünen Außenminister (oder eine grüne Außenministerin).

 

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Der Sänger Gil Ofarim wurde in einem Leipziger Hotel antisemitisch beleidigt. Die Kette mit dem Davidstern vor seiner Brust habe den Mitarbeitern an der Rezeption derart missfallen, dass sie ihn nicht eingecheckt hätten. So behauptet er es direkt nach dem Vorfall vor knapp zwei Wochen. Nun zeigen die Videos von Überwachungskameras des Hotels einen Gil Ofarim ohne Davidstern. Ofarims Kommentar: "Es geht hier nicht um die Kette. Es geht eigentlich um was viel Größeres." Nun, in seiner ersten Videoklage ging es genau darum, um die Kette.

Aber gut, nehmen wir an, es gab eine Auseinandersetzung mit dem Hotelpersonal, und nehmen wir an, Ofarim hat sie als antisemitisch motiviert verstanden. Im Telegrammstil des Internetzeitalters zeichnet er direkt nach Verlassen des Hotels eine Videobotschaft auf. Der Davidstern vor seiner Brust (den er im Hotelfoyer nicht getragen hat) transportiert die Botschaft: Ich wurde zurückgesetzt, verletzt und beleidigt, weil ich ein Jude bin.

Es geht nicht um die Kette mit dem Stern. Die ist nur ein Mem, ein Symbol, sie dient der Erkennbarkeit. Ofarim konstruiert eine Realität, die das Vorurteil des angeblich allgegenwärtigen Antisemitismus bedient. Die medialen Spatzen pfeifen es seit Jahren von den Dächern: Unsere Gesellschaft, unsere Geschichte, unsere Sprache, unser Denken, Handeln und Selbstverständnis sind rassistisch, sexistisch, antisemitisch, kolonialistisch, islamfeindlich usw. strukturiert. Und da dem so ist – welchen Sinn sollte es haben, die konkrete Wirklichkeit auf die Wahrheit solcher Annahmen zu überprüfen? Im Gegenteil. Die Aufgabe des Aktivisten ist es, die Vielzahl der sexistischen, rassistischen etc. Vorfälle in den grellsten Farben herauszustreichen und zu brandmarken, die Akteure zu entlarven, die Verantwortlichen zu bestrafen.

Ein Ausländer, der ganz sicher nur seines Namens wegen einen Arbeitsvertrag nicht erhält, ein dickes Kind, das ganz sicher nur seines Gewichts wegen in der Schule schlecht benotet wird, ein Gil Ofarim, der ganz sicher nur seines Jüdischseins wegen in Konflikt mit dem Hotelpersonal gerät – alle sind sie Opfer der zutiefst ungerechten Gesellschaft. Das erklärt auch den Sympathie-Tsunami für den Sänger und sein Klagevideo. Wozu brauchen wir den römischen Rechtsgrundsatz "Audiatur et altera pars" (Man höre auch die andere Seite)? Aktivisten wissen sowieso, was Wahrheit ist. Der Pionier des Haltungsjournalismus, der ehemalige Spiegel-Reporter Claas Relotius, hat daraus eine preisgekrönte Kunstform gemacht. Wahrheit ist ein Konstrukt, wie Ofarims Kettentrick. Interessant ist die möglichst packende, möglichst mitreißende, möglichst empathische Beschreibung der „eigentlichen“ Wirklichkeit. Pädagogisch konstruiert ist sie allemal wertvoller als irgendwelche zufällige Realität.

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