Weimar 2.0? – Brauner Terror damals und heute
von Susan Bonath
Hasspropaganda im Internet, Waffenlager, Todeslisten, ein erster politischer Mord und viele Drohungen: Seit Bekanntwerden des NSU fliegen immer mehr rechts-terroristische Zellen auf. Immer klarer wird zudem: Ihre Strukturen reichen teils weit in den Staatsapparat hinein.
Die aktuell zu erlebenden Entwicklungen erinnern an die Weimarer Republik zwischen den beiden Weltkriegen. Auch damals verfolgten und exekutierten Faschisten Politiker aller Couleur, die sie als Hindernis für das Erreichen ihrer politischen Ziele betrachteten. Walther Rathenau wurde vor 97 Jahren, am 24. Juni 1922, Opfer eines solchen Attentats. Der Täter gehörte der rechtsextremen Terrorgruppe Organisation Consul an. Nach ihrer Machtübernahme gliederte die NSDAP sie in die SS ein.
"Phase bevorstehender Säuberungen"
Nach dem Mord an Kassels Regierungspräsident Walter Lübcke am 2. Juni planen rechts-terroristische Netzwerke offenbar weitere Morde. Mit der "Hinrichtung" des CDU-Politikers habe man "die Phase bevorstehender Säuberungen eingeläutet", heißt es in einer anonymen Drohmail an zwei Stadtoberhäupter in Nordrhein-Westfalen. Beide hatten sich für Flüchtlingsunterkünfte und gegen rechte Hetze eingesetzt.
Die Empfänger, die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker und der Bürgermeister von Altena, Andreas Hollstein, sowie "viele weitere" würden ihm folgen. Das Schreiben endete mit "Sieg Heil und Heil Hitler". Reker hatte 2015 einen Messerangriff von einem Rechtsradikalen nur knapp überlebt. Hollstein wurde 2017 ebenfalls von einem Neonazi verletzt. Wegen der aktuellen Drohungen ermittelt die Staatsanwaltschaft Berlin. Zuerst berichtete der Kölner Stadtanzeiger darüber, dem die E-Mails frühzeitig vorlagen.
Der Fall Lübcke ist indes ganz oben beim Generalbundesanwalt gelandet. Der Tat waren jahrelange Morddrohungen gegen den Politiker vorausgegangen, ausgelöst durch Lübckes Absage an rechte Störer einer Infoveranstaltung zu einer Flüchtlingsunterkunft, die dem Kasseler Pegida-Ableger angehörten. Durch eine DNA-Spur habe man den mutmaßlichen Täter, Stephan E., überführen können. E. ist ein bekannter militanter Neonazi mit Verbindungen zum bewaffneten "Blood and Honour"-Arm Combat 18.
Schwarz oder braun? Spaltungstendenzen in der CDU
Doch einiges scheint faul: Es gibt Hinweise darauf, dass erstens E. nicht allein handelte, zweitens wahrscheinlich in ein Terrornetzwerk eingebunden war und drittens der Verfassungsschutz mehr weiß, als er will, dass es andere wissen. Doch dazu später mehr.
Rechtsradikale bezeichnen sich gern als konservativ. Doch Konservative wollen zunächst einmal die althergebrachte Herrschaftsordnung erhalten, nicht zwingend mit martialischer Gewalt. Wobei die subtile Gewalt, mit der moderne Herrscher die lohnabhängige Klasse unterdrücken, an dieser Stelle ausgeklammert werden muss. Faschismus will die Herrschaftsordnung nach völkischen Kriterien gewaltsam durchsetzen.
An dieser unscharfen Grenze zwischen Konservativismus und Faschismus spaltet sich derzeit die CDU. Die Flüchtlingskrise bietet die Steilvorlage. Wie weit kann der aufrüstende und kriegslüsterne imperialistische deutsche Staat die rassistische Ausgrenzung und Entrechtung der auch wegen der deutschen Wirtschafts- und Kriegspolitik Geflüchteten treiben? Geht es in Richtung einer totalen Abschottung, die immer größere Mengen an ertrunkenen und in libyschen KZs gefolterten Menschen in Kauf nimmt? Etliche CDU-Funktionäre plädieren für die Anbiederung an die AfD, die derlei Ziele vertritt. Andere wollen einen minimalen humanistischen Konsens nicht verwerfen.
Rechts-Terroristen in der Weimarer Republik
Das war in der Weimarer Republik von 1919 bis 1933 nicht anders. Es gab rechte und "linke" Konservative, rechte und "linke" Liberale. Ihre Trennlinie war im wesentlichen der Antisemitismus und die rassistisch-völkische Ideologie, unter deren Label sich die NSDAP formierte. Auf den Straßen marschierten die Braunhemden. Freikorps, die sich vor allem aus nun arbeitslosen Soldaten rekrutierten, trieben meist im Auftrag diverser Industrieller ihr Unwesen.
In den frühen 1920er Jahren existierten bereits zahlreiche rechts-terroristische Untergrundzellen. Der Völkische Beobachter verbreitete als Parteiorgan der NSDAP seit 1920 antisemitische und nationalistische Hasskampagnen als deren ideologische Grundlage. Der Stürmer nahm sich kurz darauf derselben Agenda an. Die in Freikorps und Zellen organisierten Faschisten jagten nicht nur Kommunisten und Sozialisten. Auch Politiker, die ihre antisemitischen und völkischen Thesen ablehnten, standen auf deren Abschusslisten.
Bürgerkriegs-Fantasien zur "Beseitigung der Ordnung"
Zum Beispiel Walther Rathenau: Der ehemalige Kriegsbefürworter Rathenau besann sich in der Weimarer Republik auf einen Ansatz von sozialem Ausgleich. Er gehörte der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) an, die die linke Fraktion der Liberalen stellte. Ab Januar 1922 war er Reichsaußenminister. Dies und sein biografischer Hintergrund als Sohn eines deutsch-jüdischen Industriellen bescherten ihm monatelange Hasskampagnen von faschistischer Seite. Es endete mit einem tödlichen Attentat am 24. Juni 1922.
Im Prozess gegen den Täter und zwei weitere Beschuldigte, die beim Mord anwesend waren, klammerte der Staatsgerichtsgerichtshof die nachgewiesenen Verbindungen zur Terrorzelle Organisation Consul völlig aus. Es war von "fanatischen Einzeltätern" die Rede, was an den NSU-Prozess erinnert. Das Gericht führte die Taten auf die antisemitischen Hetzkampagnen zurück, wonach es hieß: Rathenau als "Jude" habe als Außenminister "alle Fäden in der Hand". Die Täter wollten "die Juden beseitigen", linke Kräfte aufstacheln und einen Bürgerkrieg forcieren, um die bestehende Ordnung zu stürzen. Bürgerkriegs-Fantasien, der Sturz der Ordnung und die Eroberung der Macht von Rechts: All das ist auch heute Teil der Rhetorik aller rechtsextremen Parteien und Organisationen.
"Deutsches Reich am Sieg gehindert"
Der Mord an Rathenau gilt gemeinhin als Beginn des faschistischen Terrors gegen Politiker in der jungen Nachkriegsrepublik. Tatsächlich aber war er nicht das erste hochrangige Opfer der rechten Banden. Die andauernde Hetze aus dieser Ecke hatte zuvor schon – unter anderem – einen konservativen Politiker der Zentrumspartei, vergleichbar mit der heutigen CDU, das Leben gekostet: Matthias Erzberger.
Das erste Attentat im Januar 1920 überlebte Erzberger durch Glück. Eine Kugel streifte ihn, eine zweite prallte an einem metallenen Gegenstand in seiner Tasche ab. Gut anderthalb Jahre später passten ihn Faschisten ab. Erzberger brach im Kugelhagel zusammen. Der Consul-Terrorist Heinrich Schulz schoss ihm schließlich aus nächster Nähe in den Kopf. Der Mörder floh mithilfe von Consul nach Spanien und entkam einer Strafe. Erst als die Nazis an der Macht waren, kehrte er zurück. Die NSDAP rehabilitierte ihn.
Den Hass der faschistischen Terrorgruppe, die später in die SS integriert wurde, hatte Erzberger auf sich gezogen, weil er 1918 das Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet hatte, das den Ersten Weltkrieg formal beendete. 1919 setzte er eine gigantische Steuerreform durch. Einer der Vorwürfe: Er habe das Deutsche Reich am Sieg im Weltkrieg gehindert.
Die Spitze des Eisbergs
In der Weimarer Republik behinderten damals zunehmend Sympathisanten der NSDAP die Aufklärung diverser Verbrechen der faschistischen Banden. Ihre Absicht war es, durch Zerrüttung der jungen Republik bis hin zum Bürgerkrieg an die Macht zu kommen, um die 1918 gescheiterten Allmacht-Fantasien von einem Großdeutschen Reich doch noch umzusetzen. Im politischen Apparat führte das – wie heute – zur Frontenbildung: Unterstützer der Faschisten versus Gegner der Faschisten.
Verbindungen von Staatsbediensteten zu rechtsextremen Gruppen fliegen auch heute immer mal wieder auf. Was öffentlich wird, ist aber sehr wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs. Selbst im Fall Lübcke deutet einiges darauf hin, dass staatliche Organe nicht so sauber sind, wie sie erscheinen wollen. Einiges ist faul.
So sahen Zeugen zwei Pkw gemeinsam sehr schnell zum Tatort fahren. Nur einer davon gehörte E. Das andere Auto ist spurlos verschwunden. E. war am 2. Juni also offensichtlich nicht allein unterwegs. Und: Die lange Akte des mehrfach vorbestraften mutmaßlichen Lübcke-Mörders sei verschwunden, hieß es erst. Dann räumte man ein: Der Geheimdienst hält sie unter Verschluss. Auch die Ermittler bekommen sie – vorerst? – nicht. Die Frage muss gestellt werden: Was hat der Dienst zu verbergen? Hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz gar im Vorfeld Hinweise auf diese Tat?
Die Mär der Drei-Personen-Terrorzelle
Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang: Zu Lübckes Angestellten gehörte Andreas Temme. Temme war V-Mann-Führer des Verfassungsschutzes – und bei dem NSU-Mord in einem Internet-Café in Kassel im Jahr 2006 am Tatort. Ermittlungen gegen ihn verliefen im Sande. Der heutige Ministerpräsident Hessens und damalige Innenminister, Volker Bouffier, versetzte Temme lediglich in Lübckes Behörde, das Kasseler Regierungspräsidium. Es gab damals Hinweise darauf, dass Bouffier und Temme sich persönlich kannten. Ob es persönliche Kontakte zwischen Lübcke und Temme gab, ist nicht bekannt. Doch möglich ist es: Wusste Lübcke mehr, als jemandem lieb war?
Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) war 2011 aufgeflogen. Zuvor konnte er jahrelang unbehelligt morden. Die Taten wurden viele Jahre lang offiziell unbekannten "türkischen Clans" in die Schuhe geschoben. Nun heißt es bis heute, die Terrorzelle habe lediglich aus drei Personen bestanden. Wer den Prozess in München und die Ereignisse drumherum verfolgt hat, weiß allerdings: Die These von den drei Einzeltätern ist eine Mär.
Man weiß zumindest: Das Mördertrio hatte viele Helfer. Und: Der Verfassungsschutz war involviert und die Polizei offenbar wenig motiviert, dem Treiben rechtzeitig nachzugehen. Mindestens sechs NSU-Zeugen starben während der Ermittlungen auf mysteriöse Weise. Noch in diesem Jahr erhielt eine hessische Anwältin von Hinterbliebenen NSU-Opfern Morddrohungen – unterschrieben mit NSU 2.0. Sie stammen von einem Polizeicomputer aus Kassel. Inzwischen laufen auch deshalb 38 Ermittlungsverfahren gegen hessische Polizeibeamte wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung.
Waffenlager und Todeslisten
Es gibt viele weitere Indizien für rechte Terrorzellen. In Sachsen versorgten Beamte eine militante Neonazi-Gruppe mit internen Informationen. In Hessen, Sachsen-Anhalt, Berlin und Dortmund wurden ähnliche Fälle bekannt. Dank einer aufmerksamen Angestellten auf dem Flughafen Wien flog Franco A. beim Waffenschmuggel auf. Dass der Bundeswehrsoldat Anschläge geplant und nicht allein gehandelt hat, war sehr schnell klar.
Die Bundesanwaltschaft begann zu ermitteln. Sie stieß auf ein Netzwerk rechtsradikaler Prepper, die nicht nur Gemüse einweckten, sondern Waffen, Munition und Todeslisten für den Tag X horteten und sich in Schützenvereinen zusätzlich ausbilden ließen. Bei Durchsuchungen in Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise stießen die Ermittler auf solche Lager. Die ersten Beschuldigten im Jahr 2017: Ein Rechtsanwalt und ein Polizist, der in der AfD zugange ist.
Recherchen diverser Journalisten führten 2018 zu einem bundesweiten Netz aus rechtsextremen Soldaten, Reservisten und Polizisten, verankert in derselben Szene, angeführt direkt aus einer Schaltstelle der Bundeswehr. Vor rund zwei Wochen hoben Ermittler schließlich weitere Munitionslager aus und nahmen vier SEK-Polizisten fest. Die entdeckten rund 10.000 Schuss hatten die Beschuldigten seit wenigstens 2012 – also mindestens über sieben Jahre – aus LKA-Beständen gestohlen. Und keiner hat´s gemerkt?
Zuwachs unter Führung militanter Kader
Der Verfassungsschutz zählt bundesweit gut 12.000 militante Neonazis, aber nur etwas mehr als 300 als sogenannte "Gefährder". Aktuell sind etwa 500 gesuchte rechtsextreme Gewalttäter auf freiem Fuß. Zahlreiche Polizisten und Bundeswehrsoldaten, gegen die wegen derlei Straftaten schon einmal ermittelt wurde, sind weiter im Dienst. Der Verfolgungseifer in Fällen der Verstrickung von Staatsdienern ist eher gering. Nur in den wenigsten Fällen kommt es selbst bei schweren Gewaltdelikten überhaupt zur Anklage.
Darüber hinaus werden immer mehr militante Neonazi-Gruppen bekannt. Die Zahl der Rechtsrock-Konzerte wächst wie deren Teilnehmerzahl. Führungspersonen aus der Szene werden lauter. Zum Beispiel der NPD-Mann Thorsten Heise. An diesem Wochenende hatte er im ostsächsischen Ostritz ein Rechtsrock-Festival mit Hunderten Teilnehmern organisiert – deklariert als politische Versammlung, was das Verbieten erschwert. Sein Motto: "Schild und Schwert" – man achte auf die Anfangsbuchstaben.
Dass die Konzertveranstalter und teilnehmenden Bands eng mit dem seit dem Jahr 2000 in Deutschland verbotenen militanten Nazi-Netzwerk Blood & Honour verwoben sind, ist bekannt. Dass letzteres mit Combat 18 über einen bewaffneten Arm bis nach Deutschland verfügt, weiß man auch. Es sind immer wieder mit diesem in Verbindung stehende Kader, die rassistische "Bürgerinitiativen" und ähnliche Tarnvereine anführen, Konzerte und Aufmärsche organisieren oder so ein rechtes Prepper-Netzwerk wie das aufgeflogene gründen.
Thorsten Heise gehört definitiv zu dem genannten Personenkreis. Er und der mutmaßliche Lübcke-Mörder Stephan E. kannten sich ebenfalls gut. Am 1. Mai 2009 waren beide an einem brutalen Überfall auf eine Gewerkschaftsdemonstration beteiligt. Heise war der Rädelsführer.
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