von Susan Bonath
Schulen werden zu Laien-Testlabors unter Lehrer-Aufsicht, Kindertagesstätten verpflichten Eltern, ihren Knirpsen Selbst-Abstriche zu entnehmen: Die Suche nach Mikropartikeln, die auf SARS-CoV-2 hindeuten, nimmt immer bizarrere Züge an.
Und wer sucht, der findet: Der öffentlich-rechtliche SWR verdächtigte schon Kinder als "neue Pandemietreiber". Die Tagesschau gibt sich als Kinderimpfexpertin, als gehörte sie inzwischen zum Propagandastab von Pfizer, AstraZeneca und Co. Nun trieb das Hamburger Abendblatt eine neue "Sau durchs Dorf": Schon Babys würden mit COVID-19 in Kliniken eingeliefert. Die Story griffen unter anderem die Deutsche Presse-Agentur (dpa), die Stadt Hamburg und der Sender RTL auf. Das Problem: Sie suggeriert Gefahren, die es so offenbar nicht gibt.
Klinik behandelte angeblich eine Reihe Kinder wegen COVID-19
Nicht wenige Eltern dürfen bei der Schlagzeile einmal mehr besorgt um ihre kleinen Kinder sein: In Hamburger Kliniken würden nun auch mit dem Coronavirus infizierte Babys behandelt. Bilder von schwerkranken Säuglingen an Beatmungsschläuchen dürfte das Kopfkino besorgen. Die Nachrichtenagentur berief sich auf Mathias Eberenz, Sprecher der Asklepios-Klinik Hamburg.
Die Kinderstation seines Hauses, so zitierte ihn laut dpa das Hamburger Abendblatt, habe "in dieser Woche sowohl ambulant als auch stationär Kinder im Alter von wenigen Wochen bis vier Jahren behandelt, die an einer COVID-19-Infektion erkrankt sind". Zwar habe man keines beatmen müssen und alle "in gebessertem Gesundheitszustand" entlassen. Die Klinik beobachte aber "besorgt" die Entwicklung der Infektionszahlen besonders bei Kindern. Das Blatt griff zum Worst Case: In Stormarn sei ein vierjähriges Kind mit einer Corona-Infektion gestorben.
Meist Polypen oder Blinddarm: "Knappe Handvoll" Positive "eher zufällig entdeckt"
Eberenz ist "mit der Darstellung nicht ganz glücklich", wie er der Autorin im Telefongespräch am Mittwoch sagte. Richtig sei, "dass wir eine knappe Handvoll Kinder hatten, die positiv getestet wurden", stellte er klar. In seinem Haus sei es wohl eher so, dass die positiven Kleinen zufällig aufgefallen sein müssen. "Zu uns kommen ja eher Kinder mit Polypen, Blinddarm, Leisten- oder Beinbruch", erläuterte er. Dabei sei vielleicht einmal Fieber aufgetreten, was sonst eher untypisch sei, weshalb man noch genauer hingeschaut habe. Klar sei, dass alleine ein positiver Test ein Kind als COVID-19-Fall ausweise. Ein klinisches Bild von dieser Erkrankung, mit dem die Diagnose erhärtet werden könnte, gebe es bis heute nicht.
Insgesamt verzeichne seine Klinik eher weniger Patienten, sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen, so Eberenz. "Seit Corona sind die Zahlen überall rückläufig", hielt er fest. Allerdings habe er gehört, dass größere Krankenhäuser, wie Unikliniken, derzeit tatsächlich auch positive Kinder mit Atemwegs-Symptomen behandelten. "Darunter ist wohl auch der eine oder andere schwere Fall", sagte der Asklepios-Sprecher. Es könne sich aber ebenso um das sogenannte PIMS handeln, dem sogenannten Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome, bei dem Kinder sich Wochen nach einer Infektion schlapp fühlen, vielleicht Fieber bekommen und offenbar entzündliche Prozesse im Körper aufweisen. Laut Medienberichten sei etwa eins von 1.000 positiv getesteten Kindern betroffen. Allerdings: Solche Nachwirkungen sind auch von anderen Atemwegsinfektionen bekannt.
Kliniksprecher: Personalnotstand limitiert Aufnahme von Patienten
Eberenz wies ferner auf die "dramatische Personalsituation" in Kliniken hin. "Das Problem sind nicht die Betten oder das Gerät – wir haben einfach nicht genügend Pflegekräfte", mahnte er. Darum seien viele gemeldeten Betten gar nicht betreibbar. Besonders die Versorgung von Kindern sei nicht erst seit gestern miserabel aufgestellt. Das liege auch am Fallpauschalen-System, betonte er. Der Aufwand für ihre Betreuung sei höher als bei Erwachsenen, das Geld dafür zu wenig. "Da macht natürlich jedes Krankenhaus, das auf dem Markt bestehen und wirtschaftlich arbeiten muss, eher eine chirurgische Abteilung auf als eine Kinderklinik", so Eberenz. Dies gelte auch für staatliche Krankenhäuser.
Auf die Pandemie wirkten sich Personalmangel und Mangelfinanzierung teils verheerend aus. Zum akuten Personalmangel gesellten sich "die Umkleideaktionen und sonstigen Sonderbestimmungen" für COVID-Stationen. "Und wenn sie dann auch jüngere Patienten haben, die zwar fast alle wieder gesund werden, aber besonders lange Betten belegen, dann stößt eine Klinik schnell an ihre Grenzen", mahnte er. Deshalb würden derzeit auch Intensivmediziner einen härteren Lockdown fordern, "um die Fallzahlen nach unten zu bringen". Der Personalmangel, so Eberenz, sei "das limitierende Problem".
An oder mit Corona verstorben? - Ursache bleibt unbekannt
Bleibt noch der Todesfall eines vierjährigen Kindes im norddeutschen Landkreis Stormarn. RTL titelte am 27. März: "An Corona erkranktes Kind (4) stirbt im Krankenhaus". Eberenz habe auch nur von dem Fall gehört, "und näheres dazu fällt sowieso unter den Datenschutz", berichtete er. Darauf berief sich auch Landrat Henning Görtz (CDU) gegenüber dpa. Er wisse gar nicht, ob COVID-19 die Todesursache war. Entsprechend vorsichtig hieß es auch bei RTL: Das Kind sei mit Corona im Krankenhaus verstorben.
Das führt zu einem Problem der Einordnung der Zahlen, wie es seit Beginn der Pandemie besteht. Egal ob Krebs, Autounfall oder tatsächlich COVID-19-Lungenentzündung: Das Robert Koch-Institut (RKI) erfasst jeden positiv Getesteten als COVID-19-Fall. Im vergangenen Jahr erklärte eine RKI-Sprecherin gegenüber der Autorin: Einerseits hätten Menschen ohne COVID-19-Symptome kein COVID-19; und komplett Symptomlose seien auch nicht krank. Warum sie trotzdem als COVID-19-Fälle geführt werden? Weil dies, so die Sprecherin damals, internationale Praxis sei. Mit anderen Worten: Weil es alle so tun.
Aufgebauscht, nicht eingeordnet und aus dem Kontext gerissen
Auch Asklepios-Sprecher Mathias Eberenz wäre dafür, "hier mehr diagnostische Einordnungen vorzunehmen". Zudem führe "natürlich das viele Testen dazu, dass mehr Fälle gefunden werden". Schließlich hätten, so betonte er, viele positiv getestete Kinder keine oder kaum Symptome. Auch "die Sache mit dem PIMS-Syndrom" müsse erst noch erforscht werden, "damit wir zum Beispiel sehen, ob es wirklich häufiger auftritt, als sonst auch schon".
Ferner stimmte er der Aussage der Autorin zu: Kleine Kinder kommen häufig mit Infektionen der Atemwege in die Klinik, weil sie einfach öfter krank sind, dabei häufig hohes Fieber haben und nicht selten zu wenig trinken. Er könne nicht beurteilen, ob sich die Anzahl schwer kranker Kinder in der letzten Zeit in einigen Kliniken erhöht habe. Bei ihm sei das nicht der Fall.
Kurzum: Wie in so vielen Fällen seit Beginn der Pandemie vor über einem Jahr scheinen die verantwortlichen Medienmacher auch hier der Panikmache verdächtig: Mit Zahlen, die aus dem Kontext gerissen und nicht eingeordnet wurden, mit Dramatisierung der Realität und möglicherweise sogar mittels Missbrauch des traurigen Todes eines kleinen Kindes. Es stellt sich eine Frage: Welches Ziel verfolgen die Journalisten mit ihrem wenig journalistischen Vorgehen? Geht es wirklich nur um Abonnentenzahlen?
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