Militärmacht China – Ein gefährlicher Pentagon-Bericht
von Rainer Rupp
In dem im Jahr 2015 vom Informationsbüro des chinesischen Staatsrates herausgegebene offiziellen Weißbuch über Chinas Militärstrategie heißt es: "Es ist ein chinesischer Traum, die große Verjüngung der chinesischen Nation zu erreichen. Der chinesische Traum besteht darin, das Land stark zu machen. (…) Ohne ein starkes Militär kann ein Land weder sicher noch stark sein." Auf dem Weg zu diesem Ziel scheinen die Chinesen auch in den vergangenen zwei Jahren wieder ein gehöriges Stück weitergekommen zu sein. Das zumindest ist die Quintessenz des letzter Woche erschienenen, 125 Seiten umfassenden Berichts der US-amerikanischen Defence Intelligence Agency (DIA), des militärischen Nachrichtendienstes des Pentagons.
Die DIA-Studie unter dem Titel "Militärmacht China", die im Zweijahresrhythmus für den US-Kongress erstellt wird, durchleuchtet die bekannten technologischen Fortschritte ebenso wie die Entwicklungen der Strategien des chinesischen Militärs. In den dazwischen liegenden Jahren erscheint ein in der gleichen Struktur aufgebautes Kompendium über die "Militärmacht Russland".
Anlässlich der Veröffentlichung des DIA-Berichts am Dienstag letzter Woche erklärte ein hochrangiger Vertreter der DIA gegenüber Reportern, dass das chinesische Militär einen "kritischen Wendepunkt" in seiner Entwicklung erreicht hat. Dies beruhe vor allem auf dem neu gewonnenen Vertrauen in die eigenen militärischen Fähigkeiten. Dies wird u.a. durch die Feststellung im Bericht unterstrichen, dass die Volksbefreiungsarmee (Englisch "People's Liberation Army, kurz PLA) inzwischen in bestimmten Bereichen der Waffentechnik weltführend sei, wenn auch bei weitem nicht in allen.
"Wir wissen, dass die chinesische Führung die Volksbefreiungsarmee in der Vergangenheit als eine sich entwickelnde und (im Vergleich zu den USA) schwächere Macht angesehen hat", sagte der DIA-Offizier. Daher bestehe "die größte Sorge" des Pentagons nun darin, dass die Armee-Führung an einem Punkt angelangt sei, an dem "sie ihrem Präsidenten Xi Jinping tatsächlich sagen kann, dass sie volle Zuversicht in ihr militärisches Können und vollstes Vertrauen in die militärischen und technologischen Fähigkeiten der Volksbefreiungsarmee hat".
Da der DIA-Offizier offensichtlich den Eindruck hatte, dass die Zuhörer die dramatische Brisanz seine verklausulierten Ausführungen nicht richtig verstanden hatten, holte er nochmals aus und wurde beim zweiten Mal etwas deutlicher:
"Da viele dieser (chinesischen) Militärtechnologien ausgereift sind und die Umstrukturierung ihres Militärs bereits im Gange ist, und je besser sie (die Armee-Führung) all diese Fähigkeiten beherrscht, besteht die Sorge, dass ein Punkt erreicht wird, an dem sie intern entscheiden werden, zur Lösung regionaler Konflikte ihr Militär einzusetzen, etwas, das unmittelbar bevorsteht."
Das heißt mit anderen Worten, dass die DIA aktuell damit rechnet, dass bei den nächsten US-Provokationen im Südchinesischen Meer und in der Straße von Taiwan jederzeit der Punkt erreicht werden kann, an dem das Fass der chinesischen Geduld überläuft und - im Vertrauen darauf, dass man regional gegen die USA als Sieger hervorgeht - der Einsatz militärischer Mittel abgesegnet wird. Und trotzdem machen die US-Politabenteurer weiter und planen bereits einen noch größere Provokation in der Straße von Taiwan.
Der DIA-Bericht selbst umreißt mehrere Schlüsselthemen in Chinas Militärstrategie, darunter auch das Konzept der "aktiven Verteidigung". Laut DIA "interpretiert Peking 'aktive Verteidigung' zum einen als Mandate zur Deeskalation eines Konflikts und zum anderen zur Ergreifung der Initiative während eines Konflikts". Dazu gehört, wie die Rede von Präsident Xi während der Parade zum 90. Jahrestag der Volksbefreiungsarmee klarmachte, dass China niemals "Invasion und Expansion" durchführen werde, aber zugleich niemals "erlauben wird", dass Teile des chinesisches Territoriums "von China getrennt" werden. Zu diesem letzten Punkt gehört natürlich vor allem Taiwan, das laut DIA-Bericht korrekt als eines der wichtigsten Anliegen der chinesischen Militärstrategie gilt. "Zugleich", so der DIA-Bericht weiter, würden "die Herausforderungen der chinesischen Kontrolle in den umstrittenen Gebieten im Ost- und Südchinesischen Meer (von der Reigierung in Peking) als Bedrohung der nationalen Souveränität" angesehen.
Laut DIA nehme Peking aber auch zu Land etliche Bedrohungen seiner Souveränität und inneren Sicherheit wahr. Dazu gehörten "insbesondere langjährige Bedenken hinsichtlich der Unabhängigkeit Taiwans und des uigurischen und tibetischen Separatismus als einer Entwicklung, die das übergeordnete, strategische Ziel der Fortdauer der kommunistischen Herrschaft in China untergraben könnte", sagte der Bericht.
Genau deshalb sieht die chinesische Staatsführung in ihrem langfristigen militärischen Modernisierungsprogramm eine unerlässliche Vorbedingung zur Erreichung des "chinesischen Traums". Nur ein starkes Militär kann ausländische Mächte davon abhalten, sich in die inneren Angelegenheiten Chinas einzumischen, etwas, was aus Sicht Pekings dennoch tagtäglich geschieht, z.B. im Südchinesischen Meer, in der Taiwan-Frage, mit der Förderung des Islamismus der Uiguren im westchinesischen Xinjiang usw. Die Erinnerungen an die Erniedrigungen Chinas als Kolonie der westlichen Imperialisten sind noch frisch im kollektiven Gedächtnis der Chinesen, und die von den USA betriebene und durchgesetzte Abspaltung Taiwans stellt weiterhin eine offene Wunde dar. Deshalb stehen die Herstellung der Einheit und die Sicherung der Souveränität des Landes durch ein starkes Militär an oberster Stelle.
Dagegen wird im DIA-Bericht Chinas militärische Modernisierung "als Streben nach Großmachtstatus" dargestellt, die "es China ermöglichen werde, seinen Willen in der Region durchzusetzen". Diese verdrehte Darstellung geschieht sicherlich in der Absicht, bei den Nachbarn Chinas Angst zu schüren und sie wieder enger an Washington zu binden, damit sie die zunehmend provokative, antichinesische US-Militärpolitik der letzten Jahre stützen. Die gleiche Absicht dürfte hinter den Warnungen vor der wachsenden Militärmacht Chinas stecken, die der DIA-Bericht an die westlichen US-Verbündeten richtet. Denn wie alle derartigen Berichte an den US-Kongress ist auch dieser stark eingefärbt und verfolgt innen- und außenpolitische Ziele.
So warnt denn auch der Direktor der Defense Intelligence Agency, Robert P. Ashley, Jr., am Ende des Vorwortes zum DIA-Bericht persönlich vor der neuen "Gelben Gefahr". Mit der Modernisierung der Volksbefreiungsarmee habe die Führung in "Peking sich einen außenpolitischen Arm für (Militär-)Expeditionen und Machtprojektionen geschaffen, die sich auf militärische Diplomatie und Operationen rund um die ganze Welt einlässt. Mit zunehmender Stärke und Zuversicht werden sich die Staatsoberhäupter unserer Nation einem China gegenübersehen, das darauf besteht, bei globalen Interaktionen eine stärkere Stimme zu haben, was zuweilen im Gegensatz zu den Interessen der USA stehen kann".
Implizit sagt der DIA-General damit, dass China schon bald rund um die Welt auch den Verbündeten der USA in ihr imperialistisches Hexengebräu spucken könnte, weshalb sie gut daran täten, die militärischen Provokationen der USA im Südchinesischen Meer und in der Straße von Taiwan zu unterstützen, mit denen Peking also – wenn es einen Krieg vermeiden will – politisch in Knie gezwungen werden soll.
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Als Antwort auf den DIA-Bericht sagte die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums, Hua Chunying, dass aus diesem Bericht die Mentalität des Kalten Krieges spreche.
"In dem Bericht wurden, unter Missachtung der Fakten, Annahmen zu Chinas Entwicklungspfad und strategischen Zielsetzungen gemacht, und zwar unter Anwendung einer Mentalität des Kalten Krieges und auf der Basis eines Nullsummenspiels", sagte Hua auf einer Pressekonferenz am Mittwoch letzter Woche. Weiter sagte sie: "China fordert das US-Militär auf, die militärische Entwicklung Chinas vernünftig und objektiv zu behandeln und die militärischen Bindungen zwischen den beiden Ländern zu wahren."
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