EU-Kommission: "Georgien hat den Krieg begonnen" - CDU hingegen pflegt das Postfaktische
von Rainer Rupp
Vor fast genau einem Jahr war David McAllister vom damaligen Finanzminister Dr. Wolfgang Schäuble in der FAZ noch als möglicher Nachfolger der Kanzlerin gehandelt worden. Seither ist es still um den ehemaligen Ministerpräsidenten von Niedersachsen geworden, den seine Partei nach seiner Wahlniederlage 2013 ins Europäische Parlament weggelobt hatte. Nun erhofft sich McAllister offensichtlich ein Comeback in den Schlagzeilen der deutschen Qualitätsmedien und er weiß, was ein probates Rezept dafür darstellt - nämlich hemmungslos gegen Russland zu hetzen. Dabei orientiert er sich an der Forderung seiner potenziellen Konkurrentin Ursula von der Leyen, nämlich "nur aus einer Position der Stärke" mit den Russen zu sprechen.
In der Tat konnte McAllister mit seinen konfrontativen verbalen Attacken bereits einen medialen Teilerfolg verbuchen. Unter dem Titel "Zehn Jahre Georgienkrieg", für den er ganz allein das angeblich so aggressive Russland verantwortlich machte, forderte er am 10. August 2018 in einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel die lahmen Deutschen und die müde Europäische Union dazu auf, "endlich Russlands aggressives Verhalten im Südkaukasus konsequent zu verurteilen und angemessen zu sanktionieren", widrigenfalls "Europa seine Glaubwürdigkeit verlieren" würde.
Am Anfang stand der Artilleriebeschuss
Der Artikel wurde ironischer Weise unter dem hochtrabenden Tagesspiegel-Logo "Rerum und Causas Cognoscere" (lat. für: "die Dinge und Gründe erkennen") veröffentlicht. Tatsächlich profilierte sich der Autor mit seinem Gastbeitrag entweder als totaler Ignorant oder als böswilliger und manipulativer Intrigant. Tertium non datur, aber: Wahrscheinlich ist beides der Fall. – Denn wer, sehr geehrter Herr EU-Abgeordneter, wer hat denn in der Nacht vom 7. auf den 8. August die schlafenden Bürger von Dschinwali, der Hauptstadt von Südossetien, unter stundenlangen Beschuss mit schwerer Artillerie genommen?
Allerdings blieben die Vorwürfe der "westlichen Wertegemeinschaft" in unseren "Qualitätsmedien" damals aus. Kaum jemand berichtete, dass der vom Westen in der georgischen Hauptstadt Tiflis unterstützte Präsident Saakaschwilli mitten in der Nacht seine eigene Bevölkerung in Südossetien über viele Stunden mit schwerer Artillerie beschießen ließ. Es gab Hunderte von Toten und Verletzten.
Der Autor dieser Zeilen konnte sich knapp ein Jahr später vor Ort in Südossetien selbst ein Bild von dem ungeheuren Inferno machen, welches der von den USA und der EU unterstützte Kriegsverbrecher Saakaschwilli auf die schlafende Zivilbevölkerung der südossetischen Hauptstadt Dschinwali losgelassen hatte. Zwar waren dank massiver Hilfe Russlands damals schon die meisten Wohnhäuser Dschinwalis wieder repariert. So hatten z. B. weite Teile der Altstadt und der Wohnviertel neue Dächer mit aus Russland gelieferten roten Ziegeln. Und an diesen roten Ziegeln konnte man von einer Anhöhe über der Stadt das ganze Ausmaß der vom Artilleriefeuer zerstörten Wohnviertel erkennen.
Dann, nach dem Artillerieangriff, kamen die georgischen Panzer und die Infanterie. Doch die Aggressoren wurden in selbstlosen Einsätzen der heldenhaften, südossetischen Milizen zurückgeschlagen, lange bevor die erste russische Hilfe über die beschwerlichen Bergpässe und durch den einzigen, unendlich langen und engen Roki-Tunnel eingetroffen war. Noch ein Jahr später konnte der Besucher im Stadtbild von Dschinwali noch überall zerstörte georgische Panzer sehen. Das ausgebrannte Skelett eines solchen gepanzerten Kolosses, dessen abgesprengter Geschützturm einige Meter entfernt vor den leeren Fenstern der ebenfalls total ausgebrannten Universität der Stadt liegen blieb, hinterließ einen bleibenden Eindruck.
Willkürliche Grenzziehung - klares Votum
In allgemeinen und freien Wahlen ein Jahr nach der höllischen Erfahrung des Überfalls der Saakaschwilli-Führung entschied sich die ganz große Mehrheit der Bevölkerung Südossetiens für die Unabhängigkeit von Tiflis. Nie wieder wollte man zu Georgien gehören, bekam der Autor dieser Zeilen, der als Wahlbeobachter vor Ort war, allenthalben zu hören.
Auch ohne die schrecklichen Erfahrungen mit Saakaschwilli wäre dieser Wunsch nur allzu verständlich gewesen. Denn zu Zeiten der Sowjetunion war Südossetien der Sowjetrepublik Georgien zugeschlagen worden, was eine ähnliche Geschichte wie jene mit der Krim darstellte. Zwecks Verwaltungsvereinfachung machte das damals durchaus Sinn, denn Südossetien war vor dem Bau des Roki-Tunnels von Russland aus nur über beschwerliche Bergpässe zu erreichen, während der Weg in die Städte Georgiens verhältnismäßig einfach war.
Aber im Zuge der chaotischen Auflösung bzw. des vom Westen mitbetriebenen Zerfalls der Sowjetunion wurden die Menschen in Südossetien, wo hauptsächlich Russen wohnten, nicht gefragt, zu welchem Land sie gehören wollten. Sie wurden einfach dem ethnisch fremden Georgien zugeschlagen, das sich inzwischen zudem in eine Pro-NATO-Kraft gewandelt hatte. Damit waren die späteren Konflikte vorprogrammiert.
Nach all dem glaubt nun der CDU-Gernegroß McAllister, "gegenüber Präsident Wladimir Putin auf ein sofortiges Ende der illegalen Grenzziehung und jeglicher Gewalthandlungen in den besetzten Gebieten" drängen zu können. Zugleich beklagt er, dass "mit jeder russischen Provokation" die Verhandlungsbereitschaft der Georgier in Tiflis über eine friedliche Lösung abnehme, während "die Spannungen […] in den (von Russland) besetzten Gebieten" zunehmen.
Deshalb auch die Botschaft McAllisters im Tagesspiegel an die EU. Falls diese "im Umgang mit dem Kreml nicht an Glaubwürdigkeit verlieren" und ihrem "Ruf als Wertegemeinschaft gerecht werden" wolle, müsse sie von Russland fordern, "endlich das Militär aus den besetzten Gebieten abzuziehen und jegliche Aktivitäten zum Ausbau befestigter Grenzen unverzüglich zu beenden".
Komplexe Zusammenhänge überfordern McAllisters Weltbild
Mit seinen Forderungen verlangt McAllister von Moskau, die Bevölkerung Süd-Ossetiens zu verraten und sie der erneuten Willkür und Aggressivität der von den USA, der NATO und der EU weiterhin gefütterten Führung in Tiflis auszuliefern. Entweder gehen diese explosiven Zusammenhänge komplett an dem Möchtegern-Geostrategen der CDU vorbei oder er besitzt einfach nur alle Qualitäten, die von einem guten CDU-Kriegstreiber verlangt werden.
Da hilft es auch nicht, dass die Frankfurter Allgemeine Zeitung bereits ein Jahr nach dem sogenannten "Russland-Georgien-Krieg" unter Bezugnahme auf eine EU-Untersuchungskommission in einem Artikel vom 30. September 2009 getitelt hatte: "Georgien hat den Krieg begonnen". Die Untersuchungskommission war von der im Kaukasus und Russland sehr erfahrenen Schweizer Diplomatin Heidi Tagliavini geleitet worden. Zudem gehörten der Tagliavini-Kommission 19 renommierte Völkerrechtler, Historiker, Politikwissenschaftler und Militärs mit jahrelanger Kenntnis der Kaukasus-Region an. Für ihre Recherchen hatten sie mit den meisten der wichtigsten Akteure jener Tage gesprochen, sowohl in Moskau, Tiflis, Dschinwali und Suchumi in Abchasien als auch in der UNO, NATO und der OSZE.
In ihrem Bericht - so die FAZ – hat die EU-Kommission
einen zentralen Punkt in der georgischen Darstellung des Kriegsbeginns widerlegt: Der georgische Präsident Saakaschwilli hatte nämlich behauptet, der Beschuss der südossetischen Hauptstadt Dschinwali und der folgende Vormarsch der georgischen Truppen in das Gebiet der von Georgien abtrünnigen Provinz in jener Nacht sei Notwehr gewesen. Er, Saakaschwilli, habe mit dem Befehl dazu auf den Einmarsch russischer Truppen durch den Roki-Tunnel reagiert, der Südossetien durch den Kaukasuskamm hindurch mit Russland verbindet.
Weiter heißt es in der FAZ:
Hinweise für eine russische Invasion konnte die Kommission aber nicht finden. Sie kommt daher zu dem Schluss, die erste Reaktion der russischen Streitkräfte zur Verteidigung ihrer in Südossetien aufgrund eines gültigen internationalen Mandats stationierten 'Friedenstruppen' sei gerechtfertigt gewesen.
Über all das hätte sich McAllister schlau machen müssen, wenn er von ernsthaften Menschen auch ernst genommen werden will. Aber auf Fakten kommt es heute weder in der Politik noch in den Medien an. Hauptsache, man macht Schlagzeilen und profiliert sich für die "liberale Weltordnung" als entschiedener Gegner Russlands.
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