Was ist los in Iran? Die Hintergründe der Proteste und die westlichen Narrative (I)
von Rainer Rupp
Wer immer noch glaubt, dass die allabendlich ausgestrahlten, so genannten Nachrichtensendungen des ZDF - Spötter sprechen von "Zentralem Dummfunk" - oder der ARD - auch gerne als "Allgemeiner Regierungsdienst" geschmäht - tatsächlich Nachrichten liefern statt Propaganda, der glaubt auch an die Glücksfee Merkel, dank deren Zauberkraft wir "in Deutschland gut und gerne leben". Wer sich jedoch über aktuelle Konfliktherde informieren will – wie derzeit über Iran – der ist bei den staatlichen Sendern fehl am Platz.
Allerdings sitzt in der Iranfrage die amtierende Bundesregierung derzeit zwischen zwei Stühlen. Einerseits verweist die deutsche Industrie seit der Aufhebung der UN-Nuklearsanktionen auf sehr verlockende Großaufträge des kaufkraftstarken Öl- und Gasproduzenten Iran. Aber andererseits will man es sich in Berlin mit der Anti-Iran-Achse aus Washington, Israel und Saudi-Arabien nicht verderben. Diese Unentschlossenheit wird auch in der aktuellen öffentlichen Berichterstattung über Iran reflektiert. Zudem werden die Unruhen in Iran in den pro-israelisch gestimmten Zirkeln in Washington immer noch anders bewertet als in Brüssel oder Berlin.
Verhältnismäßige verbale Zurückhaltung
Vor diesem Hintergrund hält sich die Intensität der medialen Hasspredigten von ARD und ZDF gegen die "Machthaber" in Teheran noch einigermaßen zurück. Die in solchen Fällen üblichen Steigerungsstufen wie "Gewaltherrscher", "Schlächter" oder "neuer Hitler" sind noch nicht erreicht. In den Redaktionsstuben der Öffentlich-Rechtlichen wartet man offensichtlich noch, bis die politischen Führungsstellen der so genannten Westlichen Wertegemeinschaft sich auf einen gemeinsamen Kurs geeinigt und das Signal zum medialen Abschuss des "Regimes in Teheran" gegeben haben, weil dieses "auf das eigene Volk schießen lässt".
Bis zur endgültigen Positionierung der Bundesregierung will man sich jedoch alle Türen offenhalten. Das erklärt, warum die "Nachrichten"-Macher aus ARD und ZDF den interessierten, aber wenig sachkundigen Zuschauer oder Leser mit einer Unmenge an Detailinformationen über Iran bombardieren, was den Eindruck einer umfassenden Information vermitteln soll, faktisch aber das Gegenteil bewirkt. Im angelsächsischen Sprachgebrauch wird diese Methode als "to blind someone with knowledge" bezeichnet - jemanden mit Wissen blind machen.
Viele Daten, wenige Zusammenhänge
Verfolgt man die derzeitige Iran-Berichterstattung in den Öffentlich-Rechtlichen, überschütten diese den Zuschauer und Webseitenleser mit Infohäppchen wie mit einer Unzahl von Puzzlesteinchen, für die es aber kein Bild und keine Vorlage gibt und die folglich schwer einzuordnen sind. Zugleich stiften sie durch falsche Schwerpunktsetzung und durch Auslassung wichtiger Hintergründe zusätzlich Verwirrung. So werden z. B. die geopolitischen Strippenzieher der Unruhen – vor allem die in Washington, Israel, Saudi-Arabien, in Paris und London – entweder gar nicht erwähnt oder sie treten als um Demokratie und Menschenrechte besorgte Politiker auf.
Die Berliner Rücksichtnahme auf Staaten, die im Nahen Osten um den ersten Platz als politischer Sponsor, Financier und Ausbilder von ISIS oder anderen islamistischen Terroristen rivalisieren, hat ihren guten Grund. Schließlich steht die Sicherheit Israels ganz oben auf der Liste der "nationalen Interessen" der Bundesregierung. Auch der Vorbild-Staat für Demokratie und Menschenrechte, Saudi-Arabien, ist Deutschlands "strategischer Partner" und vor allem die USA als unser wichtigster NATO-Verbündeter sind bei den vielen noch geplanten imperialen Abenteuern unverzichtbar.
Zum Verständnis der aktuellen Vorgänge in Iran ist es wichtig zu wissen, dass die im Westen gängige Einteilung von politischen Parteien nach dem Rechts-Links-Schema nicht anwendbar ist. Als "links" werden im Westen gemeinhin gesellschaftlich fortschrittliche Parteien bezeichnet, die sich – je nach Ausrichtung - einer sozialen Markt- bis hin zu einer sozialistischen Planwirtschaft verpflichtet fühlen. Das heißt: Sie streben ein Wirtschaftssystem an, das vor allem der breiten Masse der unterer Bevölkerungsschichten wirtschaftlich und kulturell zugutekommt. Als "rechts" gelten Parteien, die gesellschaftlich konservativ sind und der so genannten freien, d. h. der ungezügelten Marktwirtschaft den Vorzug geben, die wiederum vor allem die besitzende Klasse, also die begüterte Oberschicht und die reicheren Segmente der Mittelschicht begünstigt.
Rechts-Links-Achse nicht auf Iran übertragbar
Die politischen Lager in Iran sehen dagegen ganz anders aus. Die Konservativen, vor allem die religiösen Parteien, sind kulturkonservativ, aber wirtschaftlich setzen sie sich für Programme zugunsten der Unterschicht und der Armen ein. Ihre Unterstützungsbasis finden die Konservativen in der Landbevölkerung, vor allem unter den Landarbeitern sowie den Industriearbeitern und den ärmeren Schichten der Stadtbewohner. Der letzte iranische Präsident, der aus diesen unteren Bevölkerungsschichten kam, war der kulturpolitisch erzkonservative, aber sozialpolitisch scharf linke Mahmoud Ahmadinedschad, der u. a. mit seiner Einführung von Barzahlungen an Bedürftige für den Kauf von Nahrungsmittel und anderen lebenswichtigen Gütern iranische Sozialgeschichte geschrieben hat.
Mit der Wahl des derzeitigen iranischen Präsidenten Rohani kam ein Hoffnungsträger des Westens in Teheran an die Macht. Er ist Mitglied des so genannten reformistischen Lagers, das seine Unterstützungsbasis bei den "Bazaris" hat, den kleinen und großen Kaufleuten und den anderen besitzenden Teilen der Gesellschaft hat. Kulturell ist er relativ fortschrittlich, aber seine Wirtschaftspolitik ist im Grunde neoliberal. Der neue Haushalt, den Rohani jüngst für 2018 vorgelegt hat, schafft die meisten von den Ahmadinedschad-Subventionen für die Armen wieder ab. Dadurch würden die ohnehin bereits stark gestiegenen Preise für Treibstoff und Grundnahrungsmittel um 25 bis 40 Prozent höher. Nachdem diese düsteren Aussichten publik geworden waren, kam es zu den ersten großen Protesten am 28. und 29. Dezember.
Proteste gegen soziale Verschlechterungen nicht ungewöhnlich
Bei den Massenkundgebungen der letzten Tage im Dezember 2017 richteten sich die mitgeführten Plakate und die skandierten Slogans ausschließlich gegen die sozialen Kürzungen und einige andere wirtschaftliche Entwicklungen. Vereinzelt zielten Proteste auch direkt auf Präsident Rohani und dessen Sozialabbau. Derartige Demos der Unterschicht gegen soziale Missstände hat es im Lauf der letzten Jahrzehnte in Iran immer wieder mal gegeben. Neu ist diesmal nur, dass gut organisierte kleine Gruppen mit einer offensichtlich ganz anderen politischen Agenda versucht haben, sich an die Spitze dieser Massendemonstrationen zu setzen und diese für ihre Ziele zu instrumentalisieren.
Mit lautstarkem Skandieren von Slogans gegen das iranische Regierungssystem und gegen Teherans starkes Militärengagement gegen die sunnitischen Terrorgruppen im Irak und in Syrien haben diese kleinen Gruppen versucht, der einheimischen und internationalen Öffentlichkeit den Eindruck einer Massenbewegung vorzutäuschen. Tatsächlich aber sind diesbezüglich die Mehrheitsverhältnisse in dem 80-Millionen-Volk Irans ganz anders verteilt. Jüngsten Umfragen zufolge ist nämlich in den letzten 12 Monaten die Unterstützung der iranischen Bevölkerung für die Militärhilfe ihres Landes im Irak und in Syrien kräftig gestiegen: Laut Umfragen sagten knapp 68 Prozent, dass Iran die Militärunterstützung gegen ISIS und andere Gruppen islamistischer Terroristen sogar noch weiter erhöhen sollte; vor einem Jahr waren das erst knapp 60 Prozent. Soweit eine grobe Übersicht über die Lage.
Nun sollten wir uns mal anschauen, welches Bild z. B. der "Allgemeine Regierungsdienst" ARD von der Lage in Iran zeichnet. Dort heißt es, dass die Menschen zwar "über ihre wirtschaftliche Lage enttäuscht" seien, sich aber "ihre Kritik [...] auch grundsätzlich gegen den herrschenden Klerus richtet". Auf die selbst gestellte Frage "Was ist über die Demonstranten in Iran bekannt?", gibt die Tagesschau-Webseite "Iran - Frage und Antworten" gar nicht erst eine Antwort. Statt einer gesellschaftspolitischen Analyse wird unter der Überschrift "Wer sind die Demonstranten?" nur von einer "breiten iranischen Öffentlichkeit" gefaselt, die vereint in ihren Protesten gegen die Regierung sei.
Außenpolitik spielt untergeordnete Rolle
In einem anderen Abschnitt vermittelt ARD zwar in korrekter Weise, dass dabei "ursprünglich wirtschaftliche Themen im Mittelpunkt" standen. "Der Unmut" habe sich "gegen die vergleichsweise hohe Arbeitslosigkeit, Preiserhöhungen bei Grundnahrungsmitteln wie Eiern und einen Vorschlag der Regierung, die Treibstoffpreise zu erhöhen", gerichtet. Leider bleibt jegliche politische Analyse des Sozialabbaus aus. Stattdessen vermittelt man sofort im Anschluss der Eindruck, dass alle Massendemonstrationen sich dann auch gegen die Außenpolitik der Regierung in Teheran gewandt haben. Im ARD-Originaltext heißt das so:
Später kamen politische Themen hinzu, etwa die Kritik am seit 1979 herrschenden Klerus. Einige Demonstranten zeigten sich erzürnt wegen der finanziellen Hilfen für die Palästinenser und die Hisbollah-Miliz im Libanon. Sie fordern von der Regierung, sich stattdessen auf innenpolitische Themen zu konzentrieren. Auch Rücktrittsforderungen an den religiösen und politischen Führer Ajatollah Ali Chamenei wurden laut.
Tatsächlich haben sich bereits in den ersten Januartagen 2018 die zuvor in vielen Städten des Landes stattfindenden Massenproteste gegen den Sozialabbau aufgelöst. Allerdings demonstrieren und randalieren kleine und gut organisierte Gruppen lautstark weiter. Zusammen mit ihren westlichen Helfern fertigen sie seither Bilder und Videos, die den Eindruck vermitteln sollen, dass die Massenproteste - jetzt auch gegen die Außenpolitik - nicht nur weitergehen, sondern auch brutal niedergeschlagen werden. Sogar Fotos von gewalttätigen Polizeieinsätzen der Guardia Civil in Barcelona jubelt man inzwischen den naiven Betrachtern in den sozialen Medien als Beweis für die Brutalität der iranischen Sicherheitskräfte unter.
Regimewechsel unwahrscheinlich, weitere Sanktionen denkbar
Dennoch: Eine Farbrevolution oder ein gewalttätiger Umsturz hat in Iran so gut wie keine Erfolgschancen. Aber schon jetzt zeichnet sich ab, dass die Anti-Iran-Achse vor allem aus dem zu erwartenden, spektakulären Scheitern der Unruhen ihren Honig saugen will, indem sie nämlich die Niederschlagung der Revolte als Vorwand für zusätzliche Sanktionen und andere anti-iranische Maßnahmen nutzt.
Washingtons Antrag vom 2. Januar auf eine Dringlichkeitssitzung des UNO-Sicherheitsrats zur Lage in Iran, natürlich aus Sorge um Demokratie und Menschenrechte, ist bereits ein erster Schritt in diese Richtung. Vieles deutet darauf hin, dass die aktuellen Vorfälle nur ein Teil eines viel größeren Plans gegen Iran sind. Darauf, vor allem auf die westliche Wühlarbeit, werde ich in einem weiteren Beitrag in den nächsten Tagen eingehen.
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