Im Kalten Krieg gegen China haben die USA schlechte Karten (Teil 1)

Auf Druck Washingtons wird derzeit in den EU-Ländern der Handel mit China – unter Verweis auf angebliche Menschenrechtsverletzungen in Chinas Provinz Xinjiang – durch westliche Sanktionen deutlich erschwert. Welche Folgen wird das für China und die Region haben?
Im Kalten Krieg gegen China haben die USA schlechte Karten (Teil 1)Quelle: www.globallookpress.com © Liu Jie/XinHua

von Rainer Rupp

Ein wichtiger Bestandteil des neuen Kalten Krieges, den die Vereinigten Staaten diesmal nicht nur gegen Moskau, sondern auch gegen Peking führen, ist der Wirtschaftskrieg. Mit Wirtschafts- und Finanzsanktionen aller Art sollen die Regierungen in China und Russland in die Knie gezwungen werden – und zugleich die globale, aber inzwischen stark bröckelnde Vorherrschaft des siechenden Hegemonen USA abgestützt und für einige Jahrzehnte verlängert werden.

Zu diesem Zweck hat man in Washington, D.C. ein komplexes Instrumentarium von erpresserischen Strafmaßnahmen entwickelt, die man sowohl gegen Staaten als auch gegen individuelle Firmen oder Konzerne einsetzt, wenn diese mit China und Russland in von Washington willkürlich bestimmten Branchen Handel treiben.

Selbst Unternehmen aus Staaten, die mit den USA verbündet sind, wie z.B. NATO-Staaten, sind von den US-Strafmaßnahmen nicht geschützt. Dass es für diese Strafen keine internationale juristische Grundlage gibt, stört die sich immer noch als Herren der Welt dünkenden Machthaber in Washington nicht, denn bisher haben vor allem westliche Unternehmen die oft exorbitant hohen US-Strafen bezahlt, wie etwa die französische Großbank BNP Paribas das tat. Zur Erinnerung:

Weil die BNP Kredite an Firmen vergeben hatte, damit diese Handelsgeschäfte mit Kuba und Iran vorfinanzierten, war sie vom US-Finanzministerium zu 11 Milliarden US-Dollar Strafe verurteilt worden. In Verhandlungen mit Schützenhilfe durch die französische Regierung wurde die Strafe auf 8,9 Milliarden reduziert. Am 1. Juli 2014 bekannte sich die BNP offiziell für schuldig und zur Zahlung bereit, und am nächsten Tag stiegen ihre Aktien um fast 4 Prozent. Bei Weigerung der Strafzahlung wäre die französische Großbank von jeglichen Geschäften mit den und über die USA ausgeschlossen worden, was vermutlich den Bankrott der Bank bedeutet hätte.

Die zunehmende Verlagerung des Schwerpunkts der globalen Wirtschafts- und Finanzaktivitäten nach Asien hatte jedoch zur Folge, dass Washingtons Macht schwindet, seine willkürlichen, extra-territorialen Strafen durchzusetzen. In Asien kommt auch niemand mehr an China vorbei. Erstens ist China sowohl der Welt größter Produzent von Sachen aller Art, aber zugleich auch der Welt zweitgrößter Konsument. Zweitens hat China, im Gegensatz zu der Verarmung in den USA und Europa, eine aufstrebende, kaufkräftige Mittelschicht, die größer ist als die in den USA und Europa zusammengenommen. Folglich sind für viele Akteure in Asien die guten Beziehungen zu China wichtiger geworden als die zu den USA.

Diese Entwicklung wurde im Jahr 2020 vor allem durch das "Regional Comprehensive Economic Partnership"-Abkommen (RCEP, dt.: Regionale, umfassende Wirtschaftspartnerschaft) in eine institutionelle Form gegossen. RCEP ist ein Freihandelsabkommen zwischen den zehn ASEAN-Mitgliedsstaaten und fünf weiteren Staaten in der Region Asien-Pazifik, das am 15. November 2020 – zum Abschluss des 37. ASEAN-Gipfeltreffens in der vietnamesischen Hauptstadt Hanoi – unterzeichnet worden war. Es ist die größte Freihandelszone der Welt, in welcher China – ob es will oder nicht – wirtschaftlich, politisch, demographisch und militärisch im Zentrum steht.

Von Bedeutung ist, dass mit Australien und Neuseeland auch zwei Länder der US-geführten "Five Eyes"-Geheimdienst-Allianz Mitglied von RCEP sind. (Zu den "Five Eyes" gehören neben diesen beiden Staaten und den USA noch das Vereinigte Königreich und Kanada.) Aber noch bedeutungsvoller ist, dass die USA, denen es in der Vergangenheit stets gelungen war, sich als "größte und wichtigste pazifische Macht" in jedem asiatischen Abkommen an die Spitze zu setzen – oder es zu torpedieren, wenn es Washington nicht passte – diesmal überhaupt nicht dabei sind.

Washingtons erpresserische Politik, andere Staaten zu Entscheidungen à la "Entweder-für-oder-gegen-mich" zu zwingen, hat sicherlich einen Teil dazu beigetragen. Auch eine zukünftige Mitgliedschaft der USA im RCEP ist höchst unwahrscheinlich. Denn mit RCEP wurde ein Paradigmenwechsel vollzogen. Mit RCEP hat sich Asien nämlich vom Laisser-faire, also von der neoliberalen Globalisierungsideologie des US-geführten Westens und seiner Konzerne abgewendet, um sich stärker den regionalen und zum gegenseitigen Vorteil gesteuerten Wirtschaftsentwicklungen der eigenen Völker Asiens zuzuwenden.

Chinas "Road and Belt Initiative" (RBI: Neue Seidenstraße), die bereits in den ersten Ansätzen umgesetzt wird, vermittelt eine Idee von den gigantischen, grenzübergreifenden Entwicklungsmöglichkeiten, die sich hauptsächlich auf die asiatische Region konzentrieren.

Vor diesem Hintergrund wird auch die Fähigkeit Washingtons schwinden, andere Länder und Unternehmen zu sanktionieren, denn diese werden sich vermehrt fragen, wo ihre wirtschaftliche Zukunft liegt: im Westen oder im Osten? Je mehr sich die US-Politiker wie wilde Bullen im asiatischen Porzellanladen benehmen, umso stärker schließen sie sich selbst von der Teilnahme an den asiatischen Entwicklungen aus.

Vor diesem Hintergrund fand am 28. März 2021 eine Zoom-Konferenz der "Geo-Political Economic Research Group (GERG)" der University of Manitoba, Kanada, mit dem Thema: "Unpacking China's New Trade Deals" (Das Entpacken von Chinas Handelsabkommen) statt.

An der dreistündigen Podiumsdiskussion nahmen acht internationale Kenner der Materie teil: Bruno Drweski, Historiker und Sozialwissenschaftler an den Pariser Sorbonne-Universität, John Ross, Senior Fellow am Chongyang-Institut für Finanzstudien an der Chinesischen Volksuniversität, Horace Campbell, Professor für Politikwissenschaften an der Syracuse University, USA, Tomoo Marukawa, Professor am Institut für Sozialwissenschaften an der Universität Tokio, C. P. Chandrashekhar, Professor am Zentrum für Ökonomische Studien und Planung an der Centre for Economic Studies and Planning, Jawaharlal Nehru University, Neu-Delhi, Mick Dunford, emeritierte Professor der University of Sussex, und Gastprofessor an der Chinesischen Akademie der Wissenschaften, Joseph Purugannan, Leiter des "Office of Focus on the Global South" auf den Philippinen, und Rainer Rupp, Autor dieses Artikels (und u.a. ehemaliger Sekretär des China-Ausschusses im NATO-Hauptquartier in Brüssel, der zwei Mal im Jahr tagte, unter Teilnahme von – auf China spezialisierten – Geheimdienstexperten aus den Mitgliedsländer).

In seinen einleitenden Bemerkungen machte Rupp deutlich, dass das außenpolitische Establishment der USA mit seiner Politik der bewussten Konfrontation Chinas nicht erst mit Präsident Trump, sondern bereits unter Präsident Obama mit dessen "Pivot to Asia" begonnen hatte. Mit dieser Obama-Initiative war eine Neuausrichtung und Umstrukturierung der politischen und militärischen US-Kriegsressourcen gegen Peking in die Wege geleitet, von bisher 40 Prozent gegen China und 60 gegen Russland zu jetzt 60 Prozent gegen China und 40 gegen Russland.

Allerdings, so Rupp, habe Washington diesen neuen Kalten Krieg gegen China, der sich ja zugleich auch gegen Russland wendet, bereits verloren, bevor er ernsthaft begonnen hat. Diese Realität sei aber bei den wichtigsten politischen Akteuren in Washington und ihren Helfern in den NATO-/EU-Ländern leider noch nicht angekommen, da sie aktuell mehr denn je von hegemonialer Hybris und Selbsttäuschung geblendet seien.

Diese Verkennung der Realität durch die USA sei besonders deutlich beim jüngsten chinesisch-amerikanischen Treffen auf Außenministerebene in Anchorage, Alaska zutage getreten. Dort war nicht nur das Klima frostig. Nachdem der US-Top-Diplomat Blinken sich angemaßt hatte, seinen chinesischen Amtskollegen ganz undiplomatisch vom hohen Ross aus öffentlich abzukanzeln – unter anderem wegen angeblicher chinesischer Menschenrechtsvergehen gegen Uiguren in Xinjiang – war die Stimmung in Anchorage tiefgefrostet. Denn nach der Attacke Blinkens zahlte der chinesische Außenminister dem US-Amerikaner mit gleicher Münze zurück, in Form einer langen Liste von US-Menschenrechtsvergehen und US-Kriegsverbrechen, ebenfalls prompt im Beisein der Journalisten. Für die US-Amerikaner war das – zumal von Chinesen – eine völlig ungewohnte Zumutung, sich sowas anhören zu müssen, was natürlich  die Empörung in den US-Medien über die bösen chinesischen Kommunisten auf Hochtouren anlaufen ließ.

Es wird offensichtlich noch Zeit brauchen, bis die Biden-Administration einsieht – falls sie dazu überhaupt fähig ist –, dass die wenigen ökonomischen Siege, die die US-Supermacht in ihrem geschwächten Zustand gegen China noch erringen könnte, kostspielige Pyrrhussiege wären, die man besser gar nicht erst versuchen sollte. Ähnlich sieht das bei den militärischen Planspielen der US-Falken aus, die mit einer aktualisierten Version der Strategie, mit der Washington vor 80 Jahren Japan unterworfen hatte, jetzt gerne China in die Knie zwingen wollen. Aber auch diese wahnsinnigen Pläne aus den Thinktanks des Pentagon sind zum Scheitern verurteilt.

1941 hatte Washington mit Wirtschaftssanktionen und Blockaden der wichtigsten Meeresengen im asiatisch-pazifischen Raum das aufstrebende Japan von der Versorgung mit überlebenswichtigen Gütern, vor allem aber von Öl-Importen abgeschnitten. Damit sollte Tokio gezwungen werden, die US-Vorherrschaft anzuerkennen, sowohl im Pazifik als auch im umkämpften China, wo die USA die Gegner Japans militärisch unterstützten. Schließlich reagierte das in die Enge getriebene Japan, das ebenso wie die USA, Großbritannien und Frankreich in der Region seine imperialen Ambitionen mit militärischen Eroberungen verwirklichen wollte, mit dem Angriff auf Pearl Harbour. Diesen Angriff sah die japanische Kriegsführung als einen Befreiungsschlag an, was viele Japaner auch heute noch tun.

Der Historiker Walter LaFeber von der Cornell University in den USA stellte in seinem 1997 veröffentlichten, von der Kritik gefeierten Buch "The Clash: U.S.-Japanese Relations Throughout History" auch fest, dass Roosevelt sich zwölf Tage vor Pearl Harbor mit seinen Top-Beratern getroffen hatte, um mit ihnen zu besprechen, "wie wir sie (die Japaner) in eine Position manövrieren könnten, den ersten Schuss abzufeuern, ohne uns selbst zu gefährden."

Allerdings kann die ökonomische, militärische und geostrategische Position des heutigen China überhaupt nicht mit der von Japan im Jahr 1941 verglichen werden. Denn China hat einen militärisch mächtigen, strategischen Partner, nämlich Russland. Die beiden Länder haben eine lange gemeinsame Grenze mit guten Verkehrswegen und Energie-Pipelines, über die man sich gegenseitig unterstützen kann. Zudem verfügt Russland über fast alle wichtigen industriellen Rohstoffe und es ist inzwischen der größte Netto-Getreideexporteur der Welt. Diese und viele andere Vorteile, die für China sprechen, müssten auch in jedes US-Kalkül einer möglichen militärischen Auseinandersetzung in der Region einbezogen werden. Man kann nur hoffen, dass dies auch von den Falken in Washington wahrgenommen wird.

Trotz der immens verbesserten Korrelation der Kräfte zugunsten Chinas und Russlands ist es umgekehrt wichtig, dass die beiden Länder einen Krieg mit den USA möglichst vermeiden. Denn viele von Washingtons westlichen Verbündeten sitzen inzwischen auf dem Zaun und wollen sich auf Grund ihrer ökonomischen Interessen für keine Seite entscheiden. Käme es jedoch auch nur zu einer begrenzten, militärischen Auseinandersetzung zwischen China und den USA, dann würde das Washington die nötigen Druckmittel in die Hand geben, um seine Verbündeten und Vasallen vom Zaun zu holen und zum Bruch mit China zu zwingen. Das hätte eine Blockbildung gegen China und Russland zur Folge, die nicht nur Teile Europas, sondern vor allem auch ASEAN und das Abkommen zur "Regionalen, Umfassenden Wirtschaftspartnerschaft" (RCEP) spalten würde.

Solange sich daher Chinesen und Russen nicht dazu verleiten lassen, militärisch auf amerikanische Provokationen zu reagieren, wird ihre immer enger werdende strategische Partnerschaft letztlich ohne militärischen Konflikt zum Sieg führen, und zwar aus wirtschaftlichen und technologischen Gründen. Darüber mehr in einem nächsten, zweiten Teil.

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