Atlantic Council – Vom Thinktank zur Fabrik für Hetzschriften (Teil 1)
von Rainer Rupp
Das auf dem intellektuellen Niveau der Bild-Zeitung verfasste Papier des Atlantic Council dürfte allerdings selbst unter eingefleischten transatlantischen Kriegstreibern in Europa kaum begeisterte Leser finden. Es ist einfach zu primitiv in seiner Argumentation, zu dürr an belastbaren "Fakten", in sich selbst zu widersprüchlich, zu offensichtlich in seinem geifernden Hass auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin und zu blind in seinen einseitigen "Schuldzuweisungen" an den Kreml, der inzwischen für alle innen- und außenpolitische Probleme des Westens verantwortlich gemacht wird. Groteskerweise stellt der Atlantic Council das Papier als eine "in die Tiefe gehende Recherche" vor. Zugleich behaupten die beiden Autoren mit frecher Scheinheiligkeit, den Bericht aus Sorge um die Zukunft und das Wohlergehen des russischen Volkes verfasst zu haben.
Tatsächlich unterscheidet sich der vorliegende Bericht des Atlantic Council kaum noch von den anderen beschämenden Nachrichten, die in den letzten Jahren zunehmend aus den USA zu uns herüberschwappen. Wie ein hochansteckendes Virus wurden auch sie hier von Politik und Medien weiterverbreitet und haben das gesellschaftliche Leben vergiftet. Das gilt insbesondere für die Fake-Nachrichten über die Weltpolitik der USA als angeblicher Friedensmacht und Hüter der Menschenrechte, die von den sogenannten "Thinktanks" und selbst ernannten "Qualitätsmedien" mitsamt ihren vermeintlichen Konkurrenten wie Twitter, Facebook und Co. weiterverbreitet werden.
Dazu gehört aber auch die von der Führung der "Demokratischen Partei" der USA und von der Einheitsfront sogenannter "liberaler" Medien gepflegte Mär, dass der Ex-Präsident Donald Trump ein russischer Einflussagent wäre, der von seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin angeblich an der langen Leine geführt wurde. Das war kein idiotischer April-Scherz, sondern todernste Politik, die in den USA die letzten vier Jahre lang das Geschehen dominierte. Auch hierzulande wurde diese Mär von unseren Politikern und Medien fleißig im Sinne der neoliberalen, US-geführten Weltordnung weiterverbreitet.
Andere Meinungen dazu wurden nicht geduldet und werden es heute noch weniger. Wer den Wahnsinn trotzdem beim Namen nannte, wurde nicht selten "gecancelt"; verlor seinen Job und sein Einkommen und wurde zur Unperson. Die gleiche Strafe ereilte jeden, der berechtigte Zweifel an etlichen Aspekten der US-Briefwahl für das Präsidentenamt im November 2020 öffentlich artikulierte. Inzwischen wird man für die Äußerung solcher Zweifel von den selbsterklärten Wächtern der amerikanischen Demokratie und Toleranz bereits in die Nähe von Terrorismus gerückt. Das ist keine Übertreibung. Nach zwei Jahrzehnten pausenloser verbrecherischer US-Kriege gegen den angeblichen "globalen Terrorismus" arbeitet nun die Biden-Regierung an neuen Gesetzen zur Bekämpfung des "Internen Terrorismus", um die 74 Millionen "gefährliche" Trump-Wähler politisch oder "anderswie" zu neutralisieren.
Zugleich verbreitet sich nicht nur in den USA, sondern im gesamten Wertewesten der Wahnsinn der "Wokeness", "Black Lives Matter (BLM)", "LGBTQ2S+" und "Antifa"-Bewegungen immer schneller. Die verschwurbelten Ideologien dieser, der "Demokratischen Partei" nahestehenden Extremisten dominiert inzwischen auch weite Bereiche der Gesellschaftswissenschaften; sogar in den US-Eliteuniversitäten. Selbst die Beherrschung der Mathematik wird inzwischen von diesen BLM-Ideologen als Herrschaftssymbol der "weißen Herrenrasse" interpretiert. So hat etwa die afroamerikanische Lehrerin und BLM-Aktivistin Brittany Marshall im Juli 2020 auf Twitter im Rahmen einer Diskussion über den Rassismus der Weißen allen Ernstes behauptet:
"…die Idee von 2 + 2 gleich 4 ist kulturell bedingt, und nur wegen des westlichen Imperialismus/Kolonisierung betrachten wir dieses Ergebnis als die einzige Möglichkeit."
Und als alternative Rechenart nannte Frau Marshall die Methode der australischen Ureinwohner, die mit Bildern und nicht mit abstrakten Zahlen rechnen.
Die Vision des Amerika-Kenners und einstigen französischen Ministerpräsidenten Georges Clemenceau (1841-1929), dass die Vereinigten Staaten wohl das einzige Land seien, dessen "Entwicklung von der Barbarei direkt zur Dekadenz geht, ohne den Umweg über Kultur und Zivilisation zu machen", scheint sich heutzutage immer deutlicher zu bestätigen. Von dieser Entwicklung sind offensichtlich auch die sogenannten US-Thinktanks betroffen.
Zwar dienten diese "Denkfabriken" schon immer den Interessen derjenigen Kapitalfraktion, von der sie gerade bezahlt wurden. Aber selbst zu Zeiten des Kalten Krieges haben viele dieser Institute solide wissenschaftliche Arbeit über die internationalen Ursachen und Wirkungen von Krisen geleistet. Das weiß der Autor dieser Zeilen aus eigener Erfahrung. Er hat in den 1980er Jahren zu einigen Studien von namhaften US-Thinktanks im Auftrag des NATO-Generalsekretärs beigetragen, so beispielsweise zu dem 1984 unter dem Titel "China Policy for the Next Decade" erschienenen Bericht des Atlantic Council. Dass in den Schlussfolgerungen der damaligen Berichte stets eine einseitige, politische Gewichtung zugunsten der jeweiligen US-Position stattfand, war nicht anders zu erwarten. Aber verglichen mit dem, was heute aus diesen "Denkfabriken" kommt, war das eine lässliche Sünde.
Heute unterliegt die Arbeit der US-Denkfabriken den gleichen Verfallserscheinungen, die allgemein in Politik, Medien und Gesellschaft der USA zu beobachten sind. Sie sind zu primitiven Propaganda-Apparaten von Lobbyisten verkommen. Hinter der Maske der Wissenschaftlichkeit und mit angeblich "in die Tiefe gehenden Recherchen" tun sie nichts anderes mehr, als für ihre Auftraggeber aus den herrschenden Eliten heiße Luft zu blasen und Schaum zu schlagen. Der vorliegende Bericht des Atlantic Council über "Russland nach Putin" ist dafür ein Musterbeispiel.
Nach logischer Konsistenz sucht man in dem Bericht vergeblich. Interne Widersprüche sind den beiden Autoren Anders Åslund (ein schwedischer Laisser-faire-Ökonom) und Leonid Gosman (ein russischer, Laisser-faire-Exil-Politiker) ebenso egal wie den Verantwortlichen des Atlantic Council, die das primitive Machwerk mit viel Medien-Tam-Tam veröffentlicht haben; Hauptsache das dümmliche Narrativ vom bösen Putin und seinen Schergen in Moskau, die das russische Volk bis aufs Blut aussaugen, wird mit dieser billigen "Recherche" bedient.
Dabei wird bei der Lektüre des Papiers jedem politisch halbwegs gebildeten Menschen schnell klar, dass die von den Autoren gegen den Kreml erhobenen Vorwürfe im luftleeren Raum hängen. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Denn die von ihnen gegen den Kreml erhobenen Vorwürfe treffen fast alle passgenau auf die kriminellen Machenschaften der Kriegstreiber in Washington zu.
So werfen die Autoren z.B. dem "Putin-Regime" vor, Russland in zahlreiche Konflikte verwickelt zu haben, "sowohl in der Nähe seiner Grenzen als auch im Ausland, Südossetien (2008), Region Donezk (2015), Syrien (2017) und Bergkarabach (2020)".
Dieser Vorwurf ist geradezu lächerlich, und wenn er von Bewunderern des US-Systems kommt, dann ist es sogar pure Demagogie. Denn im Unterschied zu den Dutzenden von aktuellen Kriegen und kriegsähnlichen Operationen der USA und der Westlichen Wertegemeinschaft rund um die Welt, ist Russland in keinem dieser im Bericht genannten Fälle der Aggressor oder Besatzer! Vielmehr steht alles im Einklang mit dem Völkerecht, im Unterschied zu den westlichen Angriffskriegen, die laut Völkerrechtsdefinition das "schlimmste aller Verbrechen" sind, weil in ihnen alle anderen Verbrechen wohnen: Raub, Mord, Folter, Vergewaltigung. Totschlag usw.
Bei der Erklärung, warum Russland außenpolitisch vor den Forderungen des Westens einknickt und so handelt wie es handelt, machen es sich die beiden Russlandexperten des Atlantic Council sehr einfach. Sie recherchieren nicht, sondern behaupten nur, wobei sie die unter russophoben Falken verbreiteten Klischees und primitiven Stereotypen vom bösen russischen Zaren Putin und seinen kriminellen Kumpanen bedienen, wovon die nachfolgenden Ausschnitte aus ihrem Bericht zeugen:
"Die Grundidee von Putins Außenpolitik scheint darin zu bestehen, alle postsowjetischen Nachbarn Russlands, Europa und die Vereinigten Staaten zu verärgern, um das Sicherheitsgefühl der Russen zu verringern, während eine vernünftige Außenpolitik darauf abzielen würde, die nationale Sicherheit zu verbessern. Russlands Nachbarn wenden sich ab, soweit sie das können und es wagen. Die Vereinigten Staaten und Europa haben Russland schwere persönliche und sektorale Sanktionen auferlegt, die die wirtschaftliche Integration minimiert haben."
oder
"Russland würde von einem Ende des amoralischen und bedeutungslosen Krieges im Donbass profitieren, aber für die (Kreml)Elite ist dies ein Mittel, um ihre Macht zu legitimieren. Russland kann sich nicht normal entwickeln, solange diese Gruppe an der Macht bleibt."
oder
"Die Außenpolitik des Kremls hat ein ganz anderes Ziel, weit entfernt von den nationalen Interessen Russlands – nämlich das persönliche Prestige und die Achtung Putins zu bewahren. Putin macht sich keine Sorgen um die Lösung konkreter Probleme, sondern strebt danach, seinen Platz in der Geschichte zu sichern. Er will in Erinnerung bleiben ... als der Mann, der sich den Vereinigten Staaten und dem Westen entgegenstellte und sie besiegt hat. ... Da Putin solch unpragmatische Ziele verfolgt, kann er keine langfristigen Abkommen mit dem Westen erreichen. Schlimmer noch, er ist nicht einmal an einem solchen Unterfangen interessiert. Der Westen sollte dies besser erkennen und verstehen, dass er nur unbedeutende Vereinbarungen mit Russland treffen kann, solange Putin und seine Clique Russland regieren."
Daher kann die Schlussfolgerung für die Eliten der westlichen liberalen Weltordnung nur lauten: Solange Putin an der Macht ist, haben wir in dem an Bodenschätzen so unendlich reichen Russland nichts zu melden. Deshalb muss Putin weg. Das sehen auch die beiden Autoren so.
Kurioserweise machen die beiden Autoren Russlands starke Energiewirtschaft für die von der westlichen Wertegesellschaft beklagten Demokratiedefizite im Land verantwortlich:
"Der stärkste Grund für Russlands demokratische Rückständigkeit scheint seine große Abhängigkeit von Öleinnahmen zu sein. Angesichts des niedrigen globalen Ölpreises wächst daher die Hoffnung auf Demokratisierung in Russland. Die Regierung wird sich dann stärker aus Steuern finanzieren müssen, die von der Bevölkerung gezahlt werden, die mehr Einfluss auf die Regierungspolitik verlangen. Wenn die Staatseinnahmen knapper werden, kann die Regierung nicht mehr so viel für Repression ausgeben, was sie zwingt, das russische Volk ernster zu nehmen. Wenn die Öl- und Gasbarone an Glanz verlieren, werden andere Unternehmer – vermutlich vor allem die Hightech-Unternehmer – an Glanz gewinnen, und die Regierung wird zögerlicher werden, sie aus dem Land zu verjagen, wie sie es heute tut."
Aus diesem konfusen Durcheinander folgern dann die beiden akademisch gebildeten Autoren:
"Das Beste, was für Russlands demokratische und wirtschaftliche Entwicklung geschehen kann, ist also ein niedriger Ölpreis."
Da dies sicherlich ebenso für russische Gasexporte gilt, ließe sich daraus ableiten, dass es am besten für die Entwicklung der russischen Demokratie wäre, wenn Nord Stream 2 nicht vollendet wird und wir Deutsche auch sonst kein Öl und Gas mehr beim Russen, sondern nur noch beim Ami kaufen. Dann wird Russland in die Knie gehen, Putin wird vom Volk davongejagt, die demokratischen westlichen Ölkonzerne kommen dann nach Sibirien, um dort demokratische Aufbauarbeit zu leisten und schon bald können wir dann in Europa wieder russisches Gas kaufen – mit dem Unterschied, dass der Profit dann wenigstens in den Taschen westlicher Konzerne landet, statt im Haushalt des russischen Staates.
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